Theologe Müller: Katholiken lassen sich nicht mehr von Rom belehren
Der katholische Theologe Wunibald Müller hat mit Empörung auf den jüngsten Brief von Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin an die deutschen Bischöfe reagiert. "Katholiken lassen sich nicht mehr von Rom belehren, über was sie diskutieren dürfen und was sich verändern muss in der Kirche, damit die Kirche für sie weiterhin ein Ort ist oder wieder zu einem Ort wird, an dem sie mit Überzeugung ihren Glauben miteinander leben können", sagte Müller am Sonntag katholisch.de. Die Zeiten seien endgültig vorbei, in denen Rom habe glauben können, die Menschen mit "irgendwelchen Schreiben" gängeln und einschüchtern zu können.
Die Liebe zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern – auch da, wo sie sexuell zum Ausdruck gebracht werde – sei Liebe und bleibe Liebe. "Diese Liebe steht grundsätzlich genauso unter dem Segen Gottes, wie das für die Liebe heterosexueller Partner und Partnerinnen zutrifft. Darüber muss auch nicht mehr diskutiert werden", so Müller weiter. Sie müsse in der Kirche als selbstverständlich betrachtet werden und zumindest in der deutschen Kirche sei das zunehmend der Fall. "Da gibt es kein Zurück und da wird es kein Zurück geben, mögen sich manche im Vatikan auch noch so sehr dagegen sträuben."
Abwertung der Frau in der Kirche ist "der eigentliche Skandal"
Die Zulassung der Frauen zu allen Weiheämtern stehe dagegen noch aus. "Darüber wird diskutiert und muss diskutiert werden, auch wenn Papst Johannes Paul II. das untersagt hat, soweit es um die Zulassung von Frauen zum Priesteramt geht", betonte der Theologe. Wenn hier keine Änderung erfolge, werde es mit der Kirche weiter rapid abwärtsgehen. "Denn der eigentliche Skandal ist die dieser Verweigerung zugrundeliegende Abwertung der Frau in der Kirche, die einfach nicht hinnehmbar ist und die es Frauen und Männern zunehmend unmöglich macht, weiterhin sich zu dieser frauenfeindlichen Kirche zu bekennen."
Am Freitag war eine an die Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) adressierte Note von Kardinalstaatssekretär Parolin bekannt geworden, in der dieser den Bischöfen mit Blick auf den laufenden Reformdialog in Deutschland mitteilt, dass der von Johannes Paul II. (1978-2005) 1994 im Schreiben "Ordinatio Sacerdotalis" bekräftigte Ausschluss von Frauen von der Priesterweihe und die Lehre der Kirche zur Homosexualität nicht verhandelbar seien. Damit stellte sich der Vatikan erneut gegen zentrale Reformvorhaben des Synodalen Wegs der katholischen Kirche in Deutschland.
Müller erklärte, dass sich Frauen und Männer, die der Kirche weiterhin angehören wollten, die vatikanische Haltung nicht länger gefallen lassen dürften; sie sollten aufstehen und Verantwortung in der Kirche übernehmen. "Im Bewusstsein, dass das eigentliche Fundament allen Lehrens in der Kirche die Gemeinschaft aller Getauften ist, Männer und Frauen." Alle seien gleichwürdig und gleichberechtigt. Dies zeige sich auch darin, "dass Frauen und Männer mit der größten Selbstverständlichkeit an der Weihevollmacht partizipieren, von der Diakonin und der Priesterin bis hin zur Bischöfin und Päpstin". So weit sei die Kirche zwar noch nicht, "aber so weit muss sie kommen", sagte Müller. Solle es für die Kirche eine Zukunft geben, gebe es dazu keine Alternative. Ansonsten verkümmere sie zu einem "bedeutungslosen Verein".
"... wie die letzten Zuckungen einer sterbenden Institution"
Nach Ansicht von Müller wird die Kirche immer mehr vor Ort erlebt. "Dabei kristallisiert sich eine Kirche heraus, in der die sogenannten Laiinnen und Laien zusammen mit den Klerikern ein Kirche gestalten, an der Männer und Frauen gleichberechtigt mitwirken." Davon gehe eine Dynamik aus, die, so seine Überzeugung und Hoffnung, stärker sei als die Dynamik, die von Rom ausgehe, "die einem eher wie die letzten Zuckungen einer sterbenden Institution vorkommt". Die Menschen bräuchten eine Kirche, in der sie spirituelle Heimat fänden und Geborgenheit erführen. "Auf eine Kirche, die das nicht geben kann, können sie gut verzichten."
Müller war von 1991 bis 2016 Leiter des Recollectio-Hauses in Münsterschwarzach. Das Recollectio-Haus ist eine Einrichtung der Benediktinerabtei Münsterschwarzach. Es soll Priestern, Ordensleuten und Mitarbeitern in der Seelsorge die Möglichkeit geben, sich körperlich, psychisch und geistlich-spirituell zu sammeln, um sich für die pastorale Aufgabe zu stärken. (stz)