Absage an eine "Alles-oder- Nichts-Moral"
Frage: Herr Bischof Bode, die deutschen Bischöfe haben die Antworten der Gläubigen auf die Vatikan-Umfrage ausgewertet. Gibt es Antworten, mit denen Sie nicht gerechnet haben?
Bode: Völlig neue, überraschende Antworten sind mir nicht vor Augen gekommen. Gegenüber den Antworten zur Außerordentlichen Synode im vergangenen Jahr ist vieles differenzierter und intensiver bedacht worden. Viele Verbände, Einrichtungen, Berufsgruppen und Gemeinden haben sich offensichtlich sehr verantwortlich mit den Lineamenta befasst oder haben sich auf bestimmte Fragen konzentriert. Die Äußerungen sind zahlenmäßig weniger, gehen dabei aber zum größten Teil mehr in die Tiefe. Das finde ich sehr erfreulich.
Frage: Häufiger Kritikpunkt war die schwer zu verstehende Sprache des Fragebogens. Würden sie die Umfrage dennoch als Erfolg bezeichnen?
Bode: Die Kritik ist berechtigt. So manche Ausdrücke und Formulierungen sind der breiten Erfahrungswelt fremd. Sie resultieren aber auch aus der immensen Herausforderung der Übersetzung in viele Sprachen. Als Erfolg werte ich das hohe Interesse so vieler engagierter Christen und die größere Bereitschaft der Synodenverantwortlichen, wirklich mehr zu hören und zu erkunden, wie die Menschen über wichtige Lebensfragen denken und wie sie handeln. Ich bin Papst Franziskus dankbar für diesen neuen Stil, auch wenn er nicht gleich perfekt ist.
Frage: Ist die Stellungnahme nur eine Zusammenfassung der Antworten der Gläubigen, oder findet sich darin auch die Meinung der deutschen Bischöfe wieder?
Bode: Die Stellungnahme fasst die verschiedenen Antworten auf recht eigenständige Weise zusammen aus dem Blickwinkel der Bischöfe, die ja nicht nur "Briefträger" nach Rom sind. Der Text ist von den Bischöfen verantwortet und bestätigt. Sie haben sich die sorgenvollen und nachdenklichen Aussagen weithin zueigen gemacht, auch wenn es unterschiedliche Auffassungen über Lösungen und Hilfen gibt.
Frage: Welche Fragen sind die drängendsten für die deutschen Bischöfe?
Bode: Am dringendsten ist es wohl, das Evangelium, also die Frohe Botschaft von der Ehe als Sakrament und von der daraus entstehenden Familie in ihrer positiven und lebensdienlichen Kraft glaubwürdig und ansprechend zu verkünden. Ehevorbereitung, Ehebegleitung, Hilfe in schwierigen Zeiten, in und nach Krisen müssen immer auch wertschätzend und mit Achtung vor dem positiven Willen, zu einem verlässlichen Miteinander (zurück) zu finden, gestaltet werden. Das betrifft auch die Wahr-nehmung – also die Wahrheit in den Blick nehmen – der vorehelichen und nichtehelichen Partnerschaften und der verschiedenen Lebensformen. Sind sie wirklich alle im Status schwerer Sünde und bei den wiederverheiratet Geschiedenen in jedem Fall und für immer mit dem Ausschluss von den Sakramenten der Buße und der Eucharistie verbunden? Diese Fragen sind nicht die einzigen, auf die sich die Synode fokussieren sollte, aber sie sind sehr drängend, und mit ihnen sind viele Erwartungen verbunden.
Frage: Die Stellungnahme spricht von fehlender Wertschätzung für Lebensformen, die nicht dem Ideal der Kirche entsprechen. Sehen Sie das ähnlich? Wenn ja, was muss sich ändern?
Bode: Ja, ich sehe das ähnlich. Wir müssen unseren Blick mehr richten auf das, was an Verantwortung, Verlässlichkeit, Treue, Aushalten, an Lebensbewältigung, Hingabe und gutem Willen auch in diesen Lebensformen steckt, selbst wenn sie dem Vollsinn des Evangeliums von Ehe und Familie (noch) nicht entsprechen.
Frage: Wie erklären Sie sich den Zwiespalt zwischen der Wertschätzung von Partnerschaft auf der einen und dem Rückgang von Eheschließungen auf der anderen Seite?
Bode: Oft wird das besonders hoch geachtet und zutiefst ersehnt, was fast unerreichbar erscheint. Gerade weil viele die eheliche Partnerschaft sehr hoch werten, scheuen sie vor den letzten Schritten der Bindung zurück angesichts von so viel Nichtgelingen und Scheitern in ihrer Umgebung. Es scheint ein gewisser "Teufelskreis" zu sein: Die Ängste vor einem Misslingen verhindern die eheliche Bindung und lassen zugleich stärker ersehnen und schätzen, was nicht gewagt wird.
Frage: Wie kann die Kirche diesen Trend stoppen?
Bode: Kirche muss mit hoher Sensibilität für diese existenziellen Fragen um Liebe, Partnerschaft, Sexualität, Ehe und Familie immer wieder die ermutigende Kraft des Evangeliums von Ehe und Familie herausstellen. Sie muss die Freiheit sichtbar machen, die in Entscheidung und Bindung steckt, und gleichzeitig die Weite und Barmherzigkeit der Liebe Gottes vorleben, die immer größer ist als unser Herz (1 Joh 3,20). Mit einer Alles-oder-Nichts-Moral, die jede Abweichung zu schwerer Sünde macht, werden wir kaum Menschen erreichen. Die Aussagen darüber, was nicht sein darf, dürfen die Hilfen zu dem, was sein soll, nicht übermächtigen.
Frage: Kann die Synode dazu beitragen, die Kluft zwischen Lehre und Lebenswirklichkeit der Gläubigen zu überwinden?
Bode: Ich hoffe sehr darauf, dass wir in der Synode mit der Hilfe Gottes und der Kraft des Heiligen Geistes gute Brücken finden über diese unabweisbare Kluft. Das darf keinesfalls nur die Bestätigung der Lebenswirklichkeit bedeuten. Nötig ist eine prophetisch-kritische und zugleich wertschätzende und positiv herausfordernde Wahr-nehmung der Realität heute. Dem "hörenden Herzen" für die Wirklichkeit der Menschen in ihren Freuden und Hoffnungen, ihrer Trauer und ihren Ängsten (vgl. GS 1) wird die Wirklichkeit nicht zur Offenbarungsquelle, auch nicht zur Glaubensquelle, wohl aber zu einer Stimme Gottes, zu einer Äußerung seines Willens durch die "Zeichen der Zeit", die zu tieferen theologischen Einsichten führen können. Das erfordert die Kraft der geistlichen Unterscheidung und das unzerstörbare Vertrauen, dass Gott unsere Zeit und unser Heute nicht weniger liebt als vergangene Zeiten.
Das Interview führte Björn Odendahl