Dillinger-Aufarbeitung "Stückwerk"? – Ermittler ziehen Zwischenfazit
Sonderermittler haben bei der Aufklärung der Missbrauchsvorwürfe gegen den Priester Edmund Dillinger aus dem Bistum Trier ein ernüchterndes Zwischenfazit gezogen. "Gelingt es nicht, die an verschiedenen Stellen vorliegenden Erkenntnisse zusammenzuführen, besteht die Gefahr, dass die Aufarbeitung insgesamt Stückwerk bleibt", hieß es am Mittwoch bei der Vorstellung des zweiten Berichts der Ermittler. Das Bistum verteidigte sich zugleich gegen neue Vorwürfe, im Jahr 2012 Hinweise auf Taten Dillingers Taten "ignoriert" zu haben.
Der 2022 gestorbene Priester steht im Verdacht, jahrzehntelang Jugendliche und junge Erwachsene nackt fotografiert und missbraucht zu haben. In seinem Haus wurden Fotos und Unterlagen gefunden, die diesen Verdacht nahelegen. Der ehemalige Koblenzer Generalstaatsanwalt Jürgen Brauer und der frühere stellvertretende Leiter der Staatsanwaltschaft Trier, Ingo Hromada, untersuchen den Missbrauchskomplex – im Auftrag der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch im Bistum Trier (UKA).
Am 20. September war ihr erster Zwischenbericht veröffentlicht worden. Daraus ging hervor, dass es schwierig ist, Vorwürfe gegen Dillinger zu belegen, der Priester in mehreren Kirchengemeinden im Saarland und in Rheinland-Pfalz war. In Dillingers Besitz wurden nach seinem Tod tausende Fotos gefunden - darunter laut Staatsanwaltschaft Mainz zehn strafrechtlich relevante jugendpornografische Aufnahmen und zwölf Fotos im Grenzbereich zu Jugendpornografie.
Neun Betroffene namentlich bekannt
"Wir hoffen weiterhin, dass sich Betroffene an uns wenden", betonten die Sonderermittler am Mittwoch. "Insgesamt haben wir bisher sechs Interviews mit Betroffenen und 26 Interviews mit Zeitzeugen geführt", so Brauer und Hromada. Inzwischen seien neun Betroffene namentlich bekannt. Zudem seien "auch alle jungen Menschen, die D. in sexualbetonten Posen ablichtete, Opfer eines sexuellen Missbrauchs geworden". Deren Zahl lasse sich "nicht seriös abschätzen".
Die Sonderermittler kritisierten die von der Staatsanwaltschaft Saarbrücken angeordnete und vollzogene Vernichtung zahlreicher Unterlagen – insbesondere der Jahresterminkalender Dillingers aus rund vier Jahrzehnten ab 1967. Die vorhandenen "Restakten" seien für die Aufarbeitung eines von Dillinger verübten sexuellen Missbrauchs "ohne Erkenntnisgewinn", hieß es. Dies gelte "erst recht" für eine mögliche Beteiligung an einem Ring von Sexualstraftätern. Dass die ab 1967 vorliegenden Kalender vernichtet worden seien, sei ein "herber, in seinen Ausmaßen nicht abzuschätzender Verlust für die Aufarbeitung", kritisieren Brauer und Hromada. Dies gelte auch angesichts des Informationsgehalts der "akribisch" geführten Kalender Dillingers aus den Jahren 2013 und 2016, die sichergestellt und nicht vernichtet wurden.
Zusätzliche Erkenntnisquellen hätten "leider nicht erschlossen werden" können, heißt es in dem 40-seitigen Bericht. Die Sonderermittler beabsichtigen, die Aufarbeitung im ersten Halbjahr 2024 abzuschließen und einen Abschlussbericht vorzulegen, "sofern sich keine unerwarteten oder neuen Rechercheansätze auftun".
Bisherige Ergebnisse sprechen nach ihrer Einschätzung dafür, dass Dillinger (1935-2022) seit den 1960er-Jahren sexuell übergriffiges Verhalten zeigte. Die ältesten Aufnahmen durch Dillinger seien bei Schulausflügen, Klassenfahrten, Messdienerfahrten, Ferienlagern, Sportfesten oder Pfadfindertreffen entstanden. "Die hierbei entstandenen Fotos sind überwiegend unauffällig, jedoch befinden sich schon unter diesen frühen Lichtbildern Aufnahmen, die auf eine homophil-päderastische Neigung hindeuten", hieß es nun. Etwa Bilder spärlich bekleideter männlicher Jugendlicher in Waschräumen von Sportstätten oder Jugendherbergen.
Dillinger, der die Hilfsorganisation CV-Afrika-Hilfe gegründet hatte, war zudem in vielen afrikanischen Ländern unterwegs. Deshalb hatten die Sonderermittler mehrere Organisationen um Mithilfe nach möglichen Betroffenen aus Afrika gebeten – darunter das Hilfswerk missio, das Auswärtige Amt sowie international agierende Organisationen wie SNAP (Survivors Network of those Abused by Priests). Doch: Antworten stünden noch aus. Die Sonderermittler erklärten, auch in diesem zweiten Zwischenbericht soll "von einer Gesamtbewertung abgesehen werden".
Die UAK im Bistum Trier erklärte hingegen, die Fakten seien erschreckend und belastend. "Die Taten des Edmund Dillinger erstrecken sich über viele Jahrzehnte und viele Kontinente – oft unter Ausnutzung seiner ehrenamtlichen und vor allem kirchlichen Kontakte", so die UAK. Bedrückend sei das Ausmaß der Fälle, "aber mehr noch die weitgehende Untätigkeit nicht nur des Bistums in diesem Fall". Beim jetzigen Erkenntnisstand scheine es "fahrlässig, dass die vielen Hinweise auf Edmund Dillinger soweit ersichtlich nicht zu Reaktionen der jeweiligen Aufsichten führten". Die UAK resümiert: "Vor allem im Bistum, aber auch in anderen Behörden herrschte anscheinend Wegsehen und Versagen."
UAK: Bistum hat Hinweise auf Taten Dillingers "ignoriert"
Die Sonderermittler verwiesen darauf, dass eine Anzeigenerstattung durch das Bistum gegen Dillinger im Jahr 2012 aus heutiger Sicht "Fragen aufwirft". Aus Sicht der UAK hat das Bistum im Jahr 2012 Hinweise auf Taten Dillingers "ignoriert".
Das Bistum Trier betonte am Mittwoch, diese Bewertung könne "nach aktuellem Kenntnisstand nicht nachvollzogen werden". Eine erneute Überprüfung der im Bistum vorliegenden Informationen habe ergeben, dass sich derzeit nicht sagen lasse, ob über gesicherte Informationen hinaus "die Bistumsverantwortlichen den Gesprächspartnern bei der Staatsanwaltschaft die Hinweise von pastoral Mitarbeitenden in Bezug auf Dillinger mitgeteilt haben". Ein umfassendes Protokoll über das damalige Gespräch liege nicht vor.
Den damals Verantwortlichen seien 2012 "keine neuen Tatverdächtigungen" vorgetragen worden. "Vielmehr handelte es sich um Gerüchte, die sich auf die Vergangenheit Dillingers bezogen haben", erklärte das Bistum, fügte aber hinzu: "Wir teilen die Auffassung der Ermittler, dass es hier weiterer Klärung bedarf."
13.12., 16 Uhr: Ergänzt um Stellungnahme des Bistums Trier.