Wie Christine Göttler-Kienzle "ihre" Taufe eines Kindes erlebt hat

Gemeindereferentin: Taufe ist das erste Sakrament für uns Frauen

Veröffentlicht am 12.01.2024 um 00:01 Uhr – Von Madeleine Spendier – Lesedauer: 

Stuttgart ‐ Seit wenigen Monaten ist es in der Diözese Rottenburg-Stuttgart auch Nicht-Klerikern – und damit erstmals Frauen – erlaubt, die Taufe zu spenden. Gemeindereferentin Christine Göttler-Kienzle aus Stuttgart hat sich intensiv auf ihre erste Taufe vorbereitet.

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"Das Kind hat gar nicht gefremdelt", berichtet Gemeindereferentin Christine Göttler-Kienzle. Im November letzten Jahres hat sie in der katholischen Kirchengemeinde St. Konrad in Stuttgart ein Kind getauft. Ein Mädchen, es heißt Amelie. Auf den Fotos von der Feier erkennt man deutlich ihre Freude darüber. Die 59-jährige Stuttgarter Seelsorgerin hält das Taufkind fest im Arm. Dass ihr die Eltern das Kind nach der Taufe von sich aus in den Arm gegeben haben, habe sie sehr gefreut, weiß Göttler-Kienzle noch. Die Taufe des siebenmonatigen Mädchens war ihre "erste". Denn die Gemeindereferentin ist erst seit kurzem offiziell eine von 26 hauptamtlichen Taufspenderinnen und Taufspendern im Bistum Rottenburg-Stuttgart.  

Dass man für ein Kind Verantwortung übernimmt und es mit Würde und Respekt behandeln sollte, von Anfang an, das ist Christine Göttler-Kienzle wichtig. Daher hätte sie das Kind von sich aus während der Feier nicht in den Arm genommen, erklärt sie. Die Seelsorgerin ist selbst Mutter von zwei erwachsenen Töchtern und möchte auch im Umgang mit anderen Menschen und vor allem mit Kindern sensibel sein. 

Dieses Thema auch bei einer Taufe zu thematisieren, findet sie wichtig. "Gerade in der Kirche, wo wir den Missbrauchsskandal aufarbeiten", meint sie. Über das Thema Missbrauch in der Kirche hat sie deshalb auch mit der Familie von Amelie, ihrem Taufkind, gesprochen. Für die Taufvorbereitung hat sie diese zu Hause besucht und dort gab es genügend Zeit für den Austausch, erinnert sie sich. An dem Thema vorbeizureden oder es nicht anzusprechen, sei nicht richtig, meint die Gemeindereferentin. "Diese Verantwortung haben wir als Seelsorgende."

Auch am Tag der Feier hat sie die Tauffamilie gefragt, noch draußen an der Kirchentür von St. Konrad in Stuttgart, ob sie sich aus freien Stücken auf die Kirche und deren Institution einlassen möchten. Denn "es ist heute nicht selbstverständlich, dass sich jemand bewusst dazu entscheidet", weiß die Seelsorgerin. Immer wieder treten Menschen aus der Kirche aus, kehren ihr den Rücken zu. In der Großstadt Stuttgart erlebe sie das häufig. Daher ist es Göttler-Kienzle wichtig, den Menschen zu vermitteln, "dass wir als Kirche um deren Zweifel und Sorgen wissen". Und diesen Weg mitgehen, sie nicht alleine lassen, hebt sie hervor. Daher hat sich die Gemeindereferentin sehr darüber gefreut, als sich die Tauffamilie eine besondere Stelle aus der Bibel als Evangelium ausgesucht hat. "Ihr seid das Salz der Erde, ihr seid das Licht der Welt", hieß es da. Diese Worte klingen wie ein Auftrag, denn es gebe viel Dunkles in der Kirche und viel Helles, erklärt Göttler-Kienzle. Das Helle, Leuchtende will sie als Seelsorgende den Menschen nahebringen, auch in einer Taufe.

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Auf ihre erste selbst gestaltete Tauffeier hat sich die 59-jährige Seelsorgerin intensiv vorbereitet. Ein Jahr lang hat sie gemeinsam mit über 20 anderen pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Diözese Rottenburg-Stuttgart Kurse besucht, die das diözesane Institut für Fort- und Weiterbildung in Rottenburg organisierte. Begleitet von Seelsorgern und Priestern aus dem Bistum ging es bei der Fortbildung um kirchenrechtliche Fragen zur Taufe, die Katechese, also die Begleitung und Gestaltung des Sakramentes, sowie Fragen zur Tauftheologie und zum Ritus. In dieser Vorbereitungszeit hat Christine Göttler-Kienzle die verschiedenen Möglichkeiten kennen gelernt, wie man einen Erwachsenen oder ein Kind taufen kann. "Es gibt das Ganzkörperbecken, in dem der Täufling in das Taufwasser hineinsteigt oder untertaucht, es gibt Gefäße, mit denen man das Taufwasser ausgießt, sogar eine Jakobsmuschel ist erlaubt", berichtet die Gemeindereferentin.

Am schönsten fand Göttler-Kienzle es jedoch, mit ihrer eigenen Hand zu taufen. Es hat sich "besonders schön angefühlt, mit der Hand das lauwarme Wasser über das Köpfchen und die Stirn des Kindes fließen zu lassen", erinnert sie sich. Die Hand sei ein Symbol für Gottes Hand, die "uns Menschen hält", bemerkt sie. Auch mit dem Chrisamöl die Stirn, den Mund und die Arme des Kindes zu berühren und zu segnen, fand sie schön. Das kleine Mädchen habe ihr während dieses Effata-Ritus sogar ins Gesicht gefasst. "Das war ein inniger Moment", weiß die Seelsorgerin noch

"Das ist das erste Sakrament für uns Frauen"

Doch das eigentlich Revolutionäre bei dieser Taufe war für Göttler-Kienzle die Tatsache, dass sie als Frau nun endlich ein Sakrament spenden durfte. Es ist "das erste Sakrament für uns Laien und für uns Frauen", sagt die Gemeindereferentin nicht ohne Stolz. Daher ist sie überzeugt, dass die Taufspenderinnen aus der Diözese Rottenburg-Stuttgart Vorbilder für andere Kirchengemeinden weltweit sein könnten.

Weil die Taufe für sie ein starkes Zeichen der Kirche ist, hat sie sich ebenso intensiv und lange mit den Texten der Taufliturgie befasst. Vieles hat sie während der Feier frei und aus dem Herzen heraus formuliert, berichtet Göttler-Kienzle. Sie habe sich auch genau überlegt, was genau sie sagen möchte, "damit ich für die Menschen verständlich bin und ihre Lebenssituation in den Blick nehme", so die Gemeindereferentin. An einer Stelle habe sie von Gott gesprochen, der "wie Vater und Mutter für uns ist". An einer anderen Stelle von "Gott als mütterlichen Quelle des Lebens". Die weibliche Form der Liturgiesprache liegt ihr als Seelsorgerin besonders am Herzen.

Bild: ©Stadtdekanat Stuttgart / Nicole Höfle

Christine Göttler-Kienzle (2.v.l.) mit Stadtdekan Christian Hermes und drei weiteren pastoralen Mitarbeiterinnen des Stadtdekanats Stuttgart, die zu Taufspenderinnen im Bistum Rottenburg-Stuttgart beauftragt wurden.

Weil "Sakramente von Gott geschenkte Zeichen seiner Liebe" sind, wünscht sich Christine Göttler-Kienzle, dass die Kirche ihre Sakramententheologie neu überdenke und es irgendwann den Laien ermögliche, weitere Sakramente zu spenden, wie zum Beispiel die Krankensalbung. Damit "die Menschen nicht sakramental verhungern müssen", fügt die Gemeindereferentin hinzu. Und auch wegen des Priestermangels in der Kirche. Oft begleite sie als Seelsorgernde kranke und sterbende Menschen und müsse dann für das Sakrament mit dem Chrisamöl extra einen Geistlichen holen, erklärt sie. Das verletze sie auch in ihrer Kompetenz als Seelsorgerin. "Ich liebe meine Arbeit", sagt die 59-Jährige überzeugt, "an der Kirche hängt mein ganzes Herz."

Seit über 40 Jahren ist Christine Göttler-Kienzle hauptamtliche Quartierseelsorgerin in Stuttgart, plant in einzelnen Stadtteilen Angebote für Familien und ältere Menschen, betreibt gemeinsam mit Ehrenamtlichen ein Trauercafé an einem großen Friedhof, organisiert Bildungsarbeit und ist vor allem Seelsorgerin. "Ich nehme mir Zeit für Einzelne, höre zu", sagt sie. Weil sie ihr pastoraler Dienst sehr erfülle, will sie weiterhin für die Kirche und die Menschen da sein. "Bislang bin ich noch nicht verbittert oder verzweifelt wegen der starren Strukturen der Institution oder einzelner Vertreter darin", sagt Göttler-Kienzle. Auch, dass sie jetzt taufen dürfe, ganz offiziell, sehe sie als Hoffnungszeichen.

Ihr nächster Tauftermin ist schon in drei Wochen. "Turnusmäßig wechseln wir uns im Pastoralteam ab", erklärt Göttler-Kienzle. Das ist ähnlich geregelt wie beim Beerdigungsdienst in der Gemeinde. "Jeder ist reihum dran und nicht nur, wenn die Priester fehlen oder nicht wollen", lacht sie. Dass das gesamte Team hinter ihr als Taufspenderin stehe, auch die Kleriker, freut sie sehr. Selbst der Stuttgarter Stadtdekan Christian Hermes war bei ihrer Beauftragung durch den Bischof damals in Rottenburg dabei. Das stärke und ermutige sie, betont die Gemeindereferentin. Auch wenn es einzelne Gemeindemitglieder gebe, die sich doch lieber einen Priester oder Diakon bei der Beerdigung oder bei der Taufe als Vorsteher wünschen. "Wir neuen Taufspenderinnen sind Pionierinnen", ist Göttler-Kienzle überzeugt. "Wir machen das, damit wir als Kirche für die Menschen relevant bleiben und weil es sich viele Familien so wünschen."

Von Madeleine Spendier