Ende einer dornigen Beziehungslosigkeit

Vor 30 Jahren begann die Diplomatie zwischen Vatikan und Israel

Veröffentlicht am 30.12.2023 um 12:02 Uhr – Von Johannes Schidelko (KNA) – Lesedauer: 

Vatikanstadt ‐ 1965 begann die Aussöhnung von Kirche und Judentum. Die Normalisierung zwischen Vatikan und Israel kam aber erst knapp drei Jahrzehnte später – und damit auch der Botschafteraustausch. Verantwortlich dafür waren politische Gründe.

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Vorsicht, Augenmaß und behutsames Abwägen gehören zu den Prinzipien der Vatikan-Diplomatie. Der Heilige Stuhl pflegt sich in politisch ungeklärten Situationen zunächst zurückzuhalten. So erkannte er weder die Teilung Deutschlands noch die Annexion des Baltikums durch die UdSSR politisch an. Nach den gleichen Kriterien lehnte er 46 Jahre lang die diplomatische Anerkennung des Staates Israel ab.

Dies geschah nicht aus religiösen, sondern aus politischen Gründen: wegen der völkerrechtlich ungeklärten Grenzfrage in Palästina nach Ende des britischen Mandats, wegen des Flüchtlingsproblems und wegen des komplizierten Status von Jerusalem, wie Vatikan-Diplomaten mantraartig betonten. Und auch aus Angst vor Repressalien gegen Christen in der arabischen Welt.

Erst als die Madrider Friedenskonferenz von 1991 und die Oslo-Konferenzen – mit dem Händedruck von Israels Premier Jitzhak Rabin und Palästinenser-Chef Jassir Arafat – Bewegung in den festgefahrenen Nahost-Status brachten, gab es auch für den Vatikan keinen Grund mehr zur Zurückhaltung. Rom beendete das merkwürdige Geflecht aus offizieller Beziehungslosigkeit und hilfreichen Arbeitskontakten. Im Sommer 1992 richteten Israel und der Vatikan eine Arbeitskommission ein. Eineinhalb Jahre später wurde der – freilich noch nicht komplett ausverhandelte – Grundlagenvertrag unterzeichnet, auf den im Juni 1994 planmäßig der Austausch von Botschaftern in Tel Aviv und beim Heiligen Stuhl in Rom folgte.

Auch "Nostra aetate" änderte zunächst nichts

Dabei hatte Israel schon bald nach seiner Staatsgründung am 14. Mai 1948 Interesse an Kontakten zum Heiligen Stuhl signalisiert. Hohe Politiker wie Ministerpräsidentin Golda Meir oder Außenminister Abba Eban waren zur Audienz beim Papst. Aber der lehnte die formelle Aufnahme von Beziehungen aus den genannten Gründen ab. Für ihn war das letzte völkerrechtlich verbindliche Dokument der UNO-Teilungsplan von 1947, der nie verwirklicht worden sei. Daher verweigerte er auch Jordanien, das 1948 die Westbank erobert und annektiert hatte, die diplomatische Anerkennung.

Daran änderte auch das Konzil und seine Erklärung "Nostra aetate" von 1965 mit den Äußerungen zum Judentum nichts. Darin hatte die Kirche ihr jahrhundertelang gestörtes Verhältnis zum Judentum neu orientiert, die gemeinsamen Wurzeln unterstrichen, den pauschalen Vorwurf der "Gottesmörder" zurückgezogen, alle Formen von Antisemitismus beklagt und einen vielversprechenden religiösen Dialog eingeleitet.

Aber erst der Friedensprozess von Madrid und Oslo ermöglichte dem Vatikan eine Neuorientierung. Er tauschte nicht nur mit Israel Botschafter aus, sondern kurz darauf auch mit Jordanien. Und im selben Jahr vereinbarte er feste Arbeitskontakte mit den Palästinensern, mit der PLO.

100 Jahre Diplomatie: Als der Papst für Deutschland Partei ergriff

Der Heilige Stuhl ist in der Politik ein gefragter Vermittler. Auch zu Deutschland gibt es diplomatische Beziehungen – und das seit genau 100 Jahren. Im Interview erklärt Kirchenhistoriker Stefan Samerski, wie es dazu kam und über welches Thema sich beide Länder heute besonders austauschen.

Der Grundlagenvertrag vom 30. Dezember 1993 regelt in 15 Artikeln die beiderseitigen Rechte und Pflichten, bekräftigt das Recht der Kirche auf Pfarreien, auf eigene Schulen und Sozialeinrichtungen. Beide Seiten verpflichten sich auf Religions-, Gewissens- und Kultfreiheit, zur Zusammenarbeit gegen alle Formen von Antisemitismus, Rassismus und religiöser Intoleranz. Sie versprechen, den Status quo an den Heiligen Stätten zu respektieren und christliche Pilgerfahrten ins Heilige Land zu unterstützen.

Allerdings blieben wichtige Punkte offen – etwa die Jerusalem-Frage. Und einige Rechts-, Wirtschafts- und Steuerangelegenheiten wurden vom Vertrag an zwei bilaterale Kommissionen verwiesen, die binnen zwei Jahren "in gutem Glauben ein umfassendes Abkommen" aushandeln sollten. Ein Rechtsabkommen wurde zwei Jahre später verabschiedet.

Weitere Einigungen stehen bis heute indes aus – etwa für die auf osmanische Zeiten zurückreichende Steuerbefreiung für kirchliche Konvente und Non-Profit-Organisationen wie Hospitäler, Schulen und Gästehäuser, die ohne diese Privilegien nicht überlebensfähig wären.

Immer wieder politischer Gesprächs- und Klärungsbedarf

Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen hat vieles erleichtert. Israel und der Heilige Stuhl haben seither einen direkten Draht zur Erledigung aller Geschäfte. Johannes Paul II. kam bei seiner Heilig-Jahr-Pilgerfahrt 2000 auch nach Israel. Erfolgreich war von Anfang an der Kulturaustausch. Die Vatikan-Museen konnten als erste in Europa Qumran-Rollen ausstellen.

Allerdings gab und gibt es immer wieder politischen Gesprächs- und Klärungsbedarf, zum Beispiel als in Nazareth eine Großmoschee direkt vor der christlichen Verkündigungsbasilika gebaut werden sollte – was Israel 2002 stoppte. Oder als Palästinenser 2003 die Geburtskirche in Bethlehem besetzten und die israelische Armee das Areal 39 Tage lang belagerte.

Auch nach dem brutalen Hamas-Überfall vom 7. Oktober, als israelische Diplomaten die Äußerungen von Papst und Vatikan zunächst als zu distanziert und überparteilich empfanden: weil sie nicht den Aggressor benannten, weil sie ein sofortiges Ende von Krieg, Terror und Gewalt forderten und Tod und Leid immer auf beiden Seiten gleichermaßen in den Blick nahmen. Fest steht unterdessen die Haltung des Vatikans zu einer Friedenslösung. Allen Einwänden zum Trotz hält er an einer Zwei-Staaten-Regelung fest – mit international garantierten Grenzen.

Von Johannes Schidelko (KNA)