Religionsfreiheit global unter Druck – doch Vergleiche sind schwierig
Die Schlagzeilen scheinen eindeutig: Demnach ist die Religionsfreiheit weltweit unter Druck. Als die Deutsche Bischofskonferenz am 26. Dezember, dem Stephanustag, auf zwei Jahrzehnte des jährlichen Gedenktags für die verfolgten Christen weltweit zurückblickte, klang das so: "Der Gebetstag für verfolgte und bedrängte Christen bringt zugleich das Bekenntnis der Kirche zur Religionsfreiheit aller Menschen zum Ausdruck."
Es folgte der jährliche Aufruf zum Gebet für verfolgte und bedrängte Christen, für die eigenen Glaubensgeschwister. Was das Bekenntnis zur Religionsfreiheit für alle Menschen genauer bedeutet, ließen die Bischöfe in ihrem Appell offen. Offen bleibt daher auch, ob alle Adressaten dasselbe darunter verstehen. Ist es grundsätzlich die freie Ausübung der Religion? Was ist aber, wenn widerstreitende Traditionen sich auf ihre jeweilige Freiheit berufen?
Welche Rolle spielen politische Interessen?
Ist es das Recht auf Nicht-Diskriminierung? Wo beginnt dann Benachteiligung von Minderheiten - und sind diese tatsächlich religiös begründet – oder beklagenswertes Resultat einer Minderheitensituation? Welche Rolle spielen politische Interessen bei der Förderung oder Einschränkung von Religionsausübung? Dass es hier Unterschiede der Situation in Nicaragua, in Saudi-Arabien oder in Russland gibt, liegt auf der Hand.
"Die Religionsfreiheit ist ein fundamentales Menschenrecht", erklärte der Beauftragte der Bundesregierung für Religions- und Weltanschauungsfreiheit, Frank Schwabe (SPD). Er wird nicht müde zu betonen, dass er "eben nicht das Amt des Religionsbeauftragten" bekleide, sondern seine Aufgabe auch darin sehe, dass jeder Mensch die Freiheit haben solle, "seine Religion oder seine Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft sichtbar zu bekennen, zu wechseln oder eben auch keiner Religion oder Weltanschauung anzugehören".
In seinem aktuellen Bericht zur Lage der Religions- und Weltanschauungsfreiheit setzt Schwabe einen Schwerpunkt auf die Rechte indigener Völker und ihrer Spiritualitäten. Zudem betont er im Klang der Ampel-Schwerpunktsetzung die Bedeutung der Religionsgemeinschaften bei der Umsetzung der nachhaltigen Entwicklungsziele. Das klingt für manche zu allgemein und im politischen Mainstream.
Christliche Hilfswerke und kirchliche Organisationen setzen ihre Schwerpunkte oft aus ihrem Selbstverständnis heraus. "Kirche in Not" hat den Fokus schon im Namen formuliert. Bei öffentlichkeitswirksamen Aktionen wie dem "Red Wednesday" lässt "Kirche in Not" Kirchen und Gebäude in blutrotem Licht anstrahlen, um auf die blutigen Verfolgungen von Christen hinzuweisen. Die Aktion "Open Doors" sieht mit ihren Berichten zum "Weltverfolgungsindex" die Situation von Christen von Jahr zu Jahr mehr unter Druck, vor allem durch den Islam. Objektiv anmutende Berichte fußen zwangsläufig auf subjektiven Erfahrungen der Organisationen vor Ort.
Staaten wie Nicaragua oder Kuba setzen Vertreter von Religionsgemeinschaften unter Druck, um deren Loyalität zur Staatsführung zu erpressen, während im Iran, Myanmar oder Indien und Pakistan Minderheiten sich religiösem Extremismus in enger Kooperation mit der Staatsführung ausgesetzt sehen. Mit ihrer Nähe zur Staatsführung hat die russischen Orthodoxie sich gerade in der moralischen Allianz beim russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine weltweit isoliert.
Verfolgte Jesiden sind einem anderen Schicksal ausgesetzt als christliche Bauern in Nigeria, die von muslimischen Nachbarn überfallen werden – mit ganz unterschiedlichen Hintergründen. Antisemitismus auf deutschen Straßen hat wieder völlig andere Ursachen und Wirkungen. Die eine Linie zur Religionsfreiheit gibt es dazu nicht.
So sind die Befunde – so ähnlich sie sich im Tenor anhören – doch komplex und pauschale Aussagen, auch wenn sie mit scheinbar objektiven Zahlen aufwarten, mit Vorsicht zu genießen. Zahlen setzen eine Definition und Messbarkeit voraus, was bei der Religionsfreiheit oft nicht einheitlich gegeben ist. Begriffe wie "bedrängt", "verfolgt" oder "diskriminiert" können vieles bedeuten – von der subjektiv empfundenen Benachteiligung bis zur tödlichen Attacke.
Konkretisierung könnte Verengung bedeuten
Der Präsident des Hilfswerkes Missio Aachen, Dirk Bingener, rief zum Stephanustag dazu auf, den Blick auf konkrete Schicksale zu richten. Darin liegt das Dilemma: So sehr es die Konkretisierung der ansonsten allgemein gehaltenen "Religionsfreiheit" im Blick auf einzelne Personen und Schicksale braucht, so verengend könnte dieser Blick eine nicht vergleichbare Situation einer einzelnen Gruppe fokussieren.
Das Dilemma vieler Berichte: Je allgemeiner sie formuliert sind, desto weniger werden sie beachtet. Gerade für die spendensammelnden Organisationen ist das problematisch; für sie ist Aufmerksamkeit Kapital. Je konkreter und illustrierender die Berichte aber sind, desto größer ist die Gefahr, sich dem Vorwurf einer verengten Sichtweise auszusetzen. Das wiederum wäre für das Anliegen der Religionsfreiheit für alle Menschen mindestens genauso kontraproduktiv.