Agnes Mathy ist kirchliche Mitarbeiterin im Bistum Augsburg

Pfarrreferentin im Rollstuhl: Niemand musste sich nach mir richten

Veröffentlicht am 05.02.2024 um 00:01 Uhr – Von Madeleine Spendier – Lesedauer: 

Bonn ‐ Agnes Mathy ist Pfarrreferentin im Bistum Augsburg. Seit ihrer Kindheit sitzt die 30-Jährige im Rollstuhl, für sie gehört das zum Leben dazu. Doch erst heute hat sie gelernt, Forderungen für sich und ihre körperlichen Einschränkungen zu stellen. Ein Porträt.

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Seit ihrer Geburt hat Agnes Mathy eine periphere Querschnittslähmung. Die Erkrankung heißt Spina bifida und bedeutet eine Spaltung der Wirbelsäule. "Das ist bei mir angeboren", erklärt die Pfarrreferentin aus dem oberbayerischen Kaufering. Der Rollstuhl gehörte von Anfang an zu ihrem Leben dazu. Als Kind habe sie das nicht gestört, sagt Mathy. Für ihre Eltern war es immer wichtig, dass sie so normal wie möglich behandelt wird, trotz des Rollstuhls und der damit verbundenen Einschränkungen. So habe sie sich immer und überall an die Gegebenheiten angepasst, erklärt die 30-Jährige. "Niemand musste sich nach mir richten."

Daher hat Agnes Mathy erst spät gelernt, ihre eigenen Bedürfnisse zu formulieren oder auszusprechen, wie sie es beschreibt. Darüber denke sie erst heute nach und setze sich mit ihrer Identität als behinderte Frau auseinander. Als Kind sei ihr manches gar nicht aufgefallen. Auch in ihrer Kirchengemeinde in der Pfarreiengemeinschaft Kaufering. Etwa, dass der Kirchraum, in dem sie seit ihrer Kindheit die Gottesdienste regelmäßig besucht, nicht barrierefrei zugänglich war. Ihre drei Brüder haben dort ministriert und standen oben am Altar. Für Mathy war es nicht möglich. Sie schaute stattdessen von der Kirchenbank aus zu. "Das ging mit dem Rollstuhl einfach nicht", erinnert sie sich. Damals habe sie das nicht gekränkt. Sie fühlte sich auch nicht ausgeschlossen. Im Gegenteil. Die Kirche und der Glaube waren immer schon der sichere Boden, auf dem sie sich getragen wusste, sagt Mathy. Bis heute.

Nach dem Abitur wollte sie genau dort arbeiten, in der Kirche, für Gott und die Menschen. Über Umwege entdeckte sie schließlich die Möglichkeit zur Ausbildung für Pfarrreferentinnen und Pfarrreferenten im Bistum Augsburg. "Das war genau das, was ich machen wollte", so Mathy. Sie schließt den Würzburger Fernkurs für Theologie ab, schreibt Prüfungen, absolviert die zweijährige Berufseinführung und wird im September 2023 vom Augsburger Bischof Bertram Meier als ausgebildete Pfarrreferentin zu ihrem Dienst in der Kirche beauftragt. "Da war ich schon stolz", sagt die Seelsorgerin leise. Insgesamt gibt es im Bistum Augsburg rund 50 Frauen und Männer als Pfarrreferenten, eine Sonderform des pastoralen Dienstes neben dem Beruf des Pastoral- und Gemeindereferenten. So sind Pfarrreferenten vor allem für seelsorgliche und pastorale Aufgaben in der Gemeinde tätig und unterrichten etwa, anders als Gemeindereferenten, nicht an der Schule im Fach Religion.

Bild: ©Bistum Augsburg / Maria Rösch

Agnes Mathy bei ihrer Beauftragung zur Pfarrreferentin im September 2023 mit dem Augsburger Bischof Bertram Meier und zwölf weiteren pastoralen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen für den kirchlichen Dienst im Bistum Augsburg.

Seit Herbst 2023 ist Agnes Mathy hauptamtlich als Pfarrreferentin in der Pfarreiengemeinschaft Kaufering angestellt, also dort, wo sie aufgewachsen ist und bis heute wohnt. Das sei für sie praktisch wegen der kurzen Arbeitswege ins Büro und in die Gemeinde, sagt sie. Auch Mathys Mutter arbeitet in der Gemeinde - als Pfarrsekretärin. "Daher sind wir beide praktisch fast Kolleginnen", freut sich die Theologin. Miteinander tauschen sich die beiden über kirchliche Themen aus, sprechen über die Arbeit in der Pfarrei und über den Glauben. "Vieles geht bei uns über den kurzen Dienstweg. Davon profitiert auch die Gemeinde", erklärt Mathy. Und auch der gemeinsame Chef, Helmut Friedl, der der leitende Priester der Pfarreiengemeinschaft Kaufering ist, freut sich über Mutter und Tochter im Team. Mit ihm kommen die beiden sehr gut aus. Und auch mit dem Ruhestandsgeistlichen, einem älteren Pfarrer, der auch Gottesdienste übernimmt und in der Gemeinde aushilft. Gemeinsam sind sie für die rund 5.000 Katholiken in vier Pfarreien in Kaufering und Umgebung zuständig.

Auf ihre Behinderung wird sie kaum angesprochen

Als hauptamtliche Pfarrreferentin in Vollzeit ist Mathy beispielsweise für die Katechese der Erstkommunionkinder und der Firmlinge zuständig. Sie begleitet außerdem die Ministrantenarbeit und gestaltet Bibelkreise sowie pastorale Angebote für Kinder und Familien. Inzwischen ist sie auch Kommunionhelferin. Die Arbeit mit der Bibel liegt der Seelsorgerin besonders am Herzen. Nicht nur in Bibelkreisen für Erwachsene, sondern auch in Angeboten für Kinder. So bietet sie etwa während des Wortgottesdienstteils der Sonntagsmesse eine eigene Liturgie für Kinder an. Dabei erarbeitet sie das jeweilige Sonntagsevangelium altersgerecht mit den Teilnehmern. Das sei immer eine große Freude, schwärmt die Pfarrreferentin. Sie erhalte durchwegs positive Rückmeldungen zu ihrer Arbeit. Auf ihre Behinderung werde sie kaum angesprochen.

Ganz praktisch betrachtet ist der Weg von der Kirche ins Pfarrzentrum und wieder zurück für Agnes Mathy, die immer mit dem Rollstuhl unterwegs ist, reine Routine. "Das geht gut", meint die Seelsorgerin, die gerne mobil und dabei selbständig ist, wie sie betont. Am besten barrierefrei zugänglich für sie ist die größte Kirche der Pfarreiengemeinschaft, Maria Himmelfahrt in Kaufering. "Dort habe ich auch am meisten zu tun", freut sich die Seelsorgerin. Nur vorne beim Aufgang zum Altar wird es schwierig für sie. Dort ginbt es fünf Treppen nach oben. "Zum Ambo oder zum Altar hinauf reicht es einfach nicht", erklärt Mathy. Wegen der vielen Altarteppen in der Kirche bleibt Agnes Mathy daher im Gottesdienst lieber unten in ihrem Rollstuhl sitze und beteiligt sich von dort aus an der Feier. Zwar würde sie auch gerne zusammen mit den Ministranten und mit dem Pfarrer oben um den Altar sein oder vielleicht sogar einmal vom Ambo aus etwas vorlesen oder ansagen. Aber das geht alles nicht. 

Doch seit kurzem ist die Pfarreikirche Maria Himmelfahrt wegen Sanierungsarbeiten geschlossen. Daher wurde der Pfarrsaal im benachbarten Gemeindezentrum zum Gottesdienstraum umfunktioniert. Der ist barrierefrei zugänglich. Das erleichtert die Arbeit von Pfarrreferentin Mathy, denn dort trifft sie sich sowieso oft mit unterschiedlichen Gruppen aus der Gemeinde, mit denen sie zusammenarbeitet. Auch nach der Sanierung soll die Maria-Himmelfahrt-Kirche komplett barrierefrei zugänglich sein. 

Bild: ©Marek Skoczylas

Das pastorale Team der Pfarreiengemeinschaft Kaufering: Pfarrreferentin Agnes Mathy mit ihrer Mutter, der Pfarramtssekretärin, und Pfarrer Helmut Friedl.

Mittlerweile wurde aber schon etwas in Richtung mehr Barrierefreiheit in ihrer Gemeinde getan, lobt die kirchliche Mitarbeiterin. So wurde seit kurzem in der Kirche Maria Himmelfahrt eine Klapprampe über die Altartreppe zum Mikrofon hin installiert. Der Kirchenverwaltungsvorstand ist außerdem bemüht, die Eingänge in allen Kirchen der Pfarreiengemeinschaft und der dazu gehörigen Gemeindezentren barrierefrei zu gestalten, bestätigt Ulla Martin, die Vorsitzende des Pfarrgemeinderates ist. Geplant ist auch, in einer der Kirchen demnächst eine Rampe zum Altarraum anzuschaffen. "Uns ist es wichtig", sagt Martin weiter, "dass sich alle, Frau Mathy in ihrem Dienst als Pfarrreferentin, aber auch andere mobilitätseingeschränkte Menschen, in unseren Kirchen selbständig bewegen können." Das freut Agnes Mathy. Doch Treppen gibt es nicht nur in den verschiedenen Kirchräume. Auch viele Hauseingänge sind nur über Stufen erreichbar. Das macht es für die Seelsorgerin schwierig, ohne Hilfe in ein Haus zu gelangen und beispielsweise den Menschen die Krankenkommunion zu bringen. 

"Das ist mein Dienst in der Kirche"

Trotzdem. Die 30-jährige Seelsorgerin erfüllt ihre Arbeit in der Kirche sehr. Sie sieht ihre Wirkmöglichkeiten durchwegs positiv und ist dankbar, dass sie in der Kirche arbeiten kann. "Es ist mein Traumberuf", wiederholt sie mehrfach. Ein besonderes Berufungserlebnis oder eine innere Stimme, die sie dazu brachte, hatte sie nie. Für sie war es immer der Wunsch, das zu machen, was ihr am meisten Freude macht und woher sie die größte Kraft auch für ihr eigenes Leben holt. "Das ist mein Dienst in der Kirche", sagt sie. Deutlich. Kontakte zu anderen kirchlichen Mitarbeitern, die auch wie sie auf einen Rollstuhl angewiesen sind, hat sie kaum. Daher kann sie nur schwer einschätzen, was es für Möglichkeiten für Hauptamtliche im Rollstuhl gibt. 

In ihrer Freizeit macht Mathy gerne Sport. Seit einigen Jahren ist sie Mitglied im örtlichen Sportverein. Dort gibt es die Sportart Rollstuhlfechten. Sie ist mit der Trainerin dort befreundet. Die hatte die Idee dazu, dass Agnes Mathy es doch einmal mit dem Fechten auszuprobieren sollte. "Wir waren sehr erfinderisch dabei, damit es klappt", freut sie sich. Auch die sozialen Netzwerke inspirieren die 30-Jährige. Dort erlebt sie Menschen, die mit ihren körperlichen Einschränkungen sehr erfinderisch umgehen, Beiträge und Erfahrungen aus ihrem Leben mit anderen teilen. Das tue ihr gut und motiviere sie für ihr eigenes Leben und ihren Beruf, sagt Mathy.

Die Pfarrreferentin hat viel vor, auch beruflich. So würde sie sich beispielsweise wünschen, eines Tages einmal selbst eine Beerdigungsfeier zu gestalten. "Ich möchte Menschen beim Trauern beistehen, ihnen Trost spenden und sie auf ihrem letzten Weg begleiten", sagt die Seelsorgerin. Am liebsten würde sie die gesamte Kirche "barrierefrei" gestalten. Und zwar nicht nur, damit Rollstuhlfahrer und bewegungseingeschränkte Menschen sich ungehindert und damit überall im Kirchraum bewegen könnten, sondern auch, dass sich alle Menschen dorthin eingeladen fühlen, meint sie. "Gott schließt niemanden aus", davon ist Mathy überzeugt. "Ich will mich für diesen Gott und für diese Kirche mit ganzer Kraft einsetzen." Auch wenn es nach wie vor viele Treppen in den Kirchen gibt.

Von Madeleine Spendier