André Uzulis über die Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs

Erinnerungsschatten

Veröffentlicht am 08.05.2015 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Standpunkt

Bonn ‐ Andre Uzulis über die Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs

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Heute vor 70 Jahren ging der Zweite Weltkrieg zu Ende. Es war ein Tag der Befreiung für die Deutschen und für die Welt – die Befreiung von einem verbrecherischen System, das Millionen Menschen ermordet und viele weitere Millionen in Not und Verzweifelung gestürzt hat. Nach dem Schweigen und der Sprachlosigkeit der ersten Nachkriegsjahre ist in der Aufarbeitung des nationalsozialistischen Regimes inzwischen vieles erforscht worden, vieles gesagt worden, viele Zusammenhänge sind aufgedeckt worden.

Und doch gibt es auch rund zwei Generationen nach Kriegsende immer noch Themen im Zusammenhang mit der Herrschaft der NSDAP, dem Zweiten Weltkrieg und den Folgen, die bislang unterbelichtet waren. Bundespräsident Gauck erinnerte dieser Tage zu Recht an das Schicksal von Millionen sowjetischer Kriegsgefangenen in Deutschland, das bislang von der Öffentlichkeit wenig beachtet wurde. Der Bundespräsident sprach von einem "Erinnerungsschatten". Gauck, dessen Vater Jahre in sowjetischen Lagern zubringen musste und von dort gebrochen zu seiner Familie zurückkehrte, zeigt damit Größe: an die Schuld des eigenen Volkes zu erinnern, obwohl der eigene Vater von einem anderen Volk gequält wurde.

In der Dunkelheit eines Erinnerungsschattens lagen bislang auch die Massenvergewaltigungen deutscher Frauen durch sowjetische Soldaten in der letzten Kriegs- und in der ersten Nachkriegsphase. Diesem Thema wendet sich aktuell die Geschichtswissenschaft verstärkt zu und leuchtet damit einen der bislang weitgehend verborgenen Winkel des Grauens aus. In Lüneburg läuft außerdem zurzeit ein Prozess gegen einen Greis, der als Buchhalter in Auschwitz tätig war – eines der vielen Rädchen, die das System am Laufen hielten. Geschichtswissenschaft und Justiz sind also nach wie vor an diesem Thema dran.

Doch 70 Jahre nach Kriegsende ist absehbar, dass es bald keine Täter und keine Opfer mehr geben wird. Von daher drängt die Zeit, die Aufarbeitung voranzutreiben. Aber sie wird nicht abgeschlossen sein, selbst wenn der letzte Zeitzeuge verstorben sein wird. Die Ausleuchtung weiterer Erinnerungsschatten wird eine Daueraufgabe bleiben. Unser Bild der Katastrophe von 1933 bis 1945 in all ihren schrecklichen Facetten wird sich weiter komplettieren müssen – und trägt so hoffentlich dazu bei, dass derartiges nie wieder geschieht.

Der Autor

André Uzulis ist Pressesprecher und Kommunikationschef des Bistums Trier.

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