Fünf Jahre Abu-Dhabi-Dokument: Meilenstein mit Diskussionspotenzial
Im Emirat Abu Dhabi gibt es genau fünf katholische Kirchen, die große Mehrheit der 2,8 Millionen Einwohner sind Muslime. Ein besonderer Ort, um ein Dokument zu unterzeichnen, das in der katholischen Kirche für Aufsehen gesorgt und in gewisser Weise eine neue Zeit eingeläutet hat. Denn in Abu Dhabi wurde 2019 von Papst Franziskus und Sheikh Ahmed el-Tayeb, dem Scheich der Azar-Universität und damit einem der angesehensten Vertreter des sunnitischen Islam, das "Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt" unterzeichnet. Weltweit bekannt wurde es nach seinem Entstehungsort als Erklärung von Abu Dhabi. Es stellt einen neuen Ansatz im Interreligiösen Dialog dar und sorgte mit einer Formulierung für Aufsehen.
Lange Zeit beschränkte sich die Beschäftigung der Kirche mit anderen Religionen darauf, sie als Irrtümer und Unheil zu deklarieren. Das änderte sich erst mit der Erklärung "Nostra aetate" (1965) in der Nachfolge des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65). Eigentlich als Neubestimmung zum Judentum gedacht, traf sie ganz allgemein einen neuen Ton gegenüber den nicht-christlichen Religionen: "Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist." Durch Formulierungen wie diese gilt das Dokument als Meilenstein in der Neubestimmung des Verhältnisses der Kirche zu den anderen Religionen und damit auch als offizieller Beginn des Interreligiösen Dialogs.
Fortan fand die Kirche in den Glaubensinhalten anderer Religionen Wertvolles und Positives. Zwar gab die Kirche den eigenen Absolutheitsanspruch nicht auf, würdigte jedoch die Ansätze anderer Glaubensrichtungen.
Gottgewollter Pluralismus
Das Dokument von Abu Dhabi geht einen Schritt weiter: Nun werden andere Religionen nicht mehr nur gewürdigt, sondern es hält fest: "Der Pluralismus und die Verschiedenheit in Bezug auf Religion, Hautfarbe, Geschlecht, Ethnie und Sprache entsprechen einem weisen göttlichen Willen, mit dem Gott die Menschen erschaffen hat." Zudem erkennt die Erklärung eine gemeinsame Sendung der Religionen darin, sich für Frieden, Brüderlichkeit und Menschenrechte weltweit einzusetzen. Aus Akzeptanz wird ein gemeinsamer Weg der Toleranz.
Katholiken und Muslimen sei "gemeinsam, dass sie die Kultur des Dialogs als Weg, die allgemeine Zusammenarbeit als Verhaltensregel und das gegenseitige Verständnis als Methode und Maßstab annehmen wollen", so der Text. Zudem verlange man "ein ernsthaftes Engagement zur Verbreitung einer Kultur der Toleranz, des Zusammenlebens und des Friedens; ein schnellstmögliches Eingreifen, um das Vergießen von unschuldigem Blut zu stoppen und Kriegen, Konflikten, Umweltzerstörung und dem kulturellen und moralischen Niedergang, den die Welt derzeit erlebt, ein Ende zu setzen". Daneben bekennen sich beide Seiten zur Bekenntnis-, Gedanken-, Meinungs- und Handlungsfreiheit, gegenseitigen Dialog sowie Rechten der Frau, von Kindern und älteren Menschen.
Der Frankfurter Dogmatiker Dirk Ansorge sieht die Erklärung als "wesentlichen Meilenstein". "Da sind Pflöcke eingerammt worden, die es nicht mehr ohne Weiteres ermöglichen, unüberbrückbare Differenzen, wenn nicht gar Feindschaft zwischen Christen und Muslimen zu legitimieren." Dabei sei unbestritten, dass es Unterschiede zwischen den Religionen gebe: In der Christologie und der Trinitätslehre etwa. Doch das stehe nicht im Vordergrund. Betont werde vielmehr "die gemneinsame Verantwortung für Welt und Gesellschaft", so Ansorge.
Zusammenhang mit Sozialenzykliken
Der Theologe sieht das Engagement von Franziskus für den Interreligiösen Dialog im Zusammenhang mit seinen Sozialenzykliken und seinen mahnenden Worten zum Klimaschutz. "Wenn wir auf der Welt unheilvollen Entwicklungen nicht wirksam entgegentreten, wird das katastrophale Folgen haben – sei es mit Blick auf die ökologische Krise oder internationale Migrations- und Fluchtbewegungen." Der Pontifex sehe die Religionen weltweit in der Pflicht: "Sie haben den Auftrag, die Geschwisterlichkeit unter den Menschen weltweit in Erinnerung zu rufen, zu einem gemeinsamen Handeln zugunsten der Menschheit und des Planeten aufzurufen und ein friedvolles Zusammenleben der Menschen voranzubringen."
Doch das Abu-Dhabi-Dokument hat vom Zeitpunkt seiner Veröffentlichung an auch für Kontroversen gesorgt. So analysierte der US-Theologe Chad Pecknold, dass es für manche rätselhaft sei, warum der Stellvertreter Christi auf Erden den Pluralismus der Religionen als gottgewollt ansehe. An diesem Passus störten sich auch konservative Kirchenvertreter, die auf die Kirchenlehre verwiesen, wonach die (katholische) Kirche der einzige Weg zum Heil sei. Dies hatte das Konzil von Ferrara/Florenz (1438-1445) als Dogma festgeschrieben. Nicht zuletzt bezog sich der damalige Glaubenspräfekt Joseph Ratzinger im Jahr 2000 in der Erklärung "Dominus Jesus" auf diesen Gedanken.
Doch Ansorge sieht fünf Jahre nach Veröffentlichung des Abu-Dhabi-Dokuments auch offene Fragen, die weiterhin Anlass zur Diskussion geben: Unter anderem gehe es um die Beziehung der Religionen zur säkularen Welt und zu nicht-religiösen Menschen. "Unter der Prämisse der Religionsfreiheit kann man auch Säkularität theologisch legitimieren", sagt er – und verweist gleichzeitig darauf, dass das bei weitem nicht alle Vertreter in Christentum und Islam so sehen. Zudem sorgen die im Dokument lediglich grob umrissenen Rechte der Frau weiterhin für Diskussionen.
Als neuer Akzent für die interreligiösen Beziehungen sorgt die Erklärung also auch fünf Jahre nach ihrer Unterzeichnung für Gesprächsstoff. Dafür spricht nicht zuletzt, dass sich zum Jubiläum Religionsvertreter zur Reflexion über das Dokument in Abu Dhabi treffen, darunter auch Ansorge. Ruhig wird es um den Interreligiösen Dialog erstmal nicht.