Indischstämmiger Priester leitet Pfarrei im brandenburgischen Lübben

"Pfarrer Mathhew, haben Sie Angst vor der AfD?"

Veröffentlicht am 16.02.2024 um 00:01 Uhr – Von Steffen Zimmermann – Lesedauer: 

Lübben ‐ Pfarrer Anish Mathhew stammt aus Indien und leitet seit 2021 die Pfarrei im brandenburgischen Lübben. Wie blickt er als Migrant auf die auch in Brandenburg als rechtsextremer Verdachtsfall eingestufte AfD? Hat er Angst vor der Partei? Und hat er selbst schon Rassismus erlebt? Ein Interview.

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Im Januar berichtete das Recherchenetzwerk "Correctiv" über ein Treffen von Rechtsextremen in Potsdam, an dem auch hochrangige AfD-Mitglieder teilgenommen hatten. Bei der Versammlung soll es unter anderem um eine Strategie für eine massenhafte Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland gegangen sein. Pfarrer Anish Mathhew ist ein solcher Mensch mit Migrationshintergrund. Der gebürtige Inder leitet seit 2021 die Pfarrei St. Trinitas im brandenburgischen Lübben. Wie blickt er auf die auch in Brandenburg starke AfD und die diskutierten Vertreibungspläne? Hat er Angst vor einem weiteren Erstarken der Partei? Und wie sollte die Kirche mit AfD-Mitgliedern und -wählern umgehen? Darüber und über seinen bisherigen Lebensweg und seine Berufung als Priester spricht Mathhew im Interview mit katholisch.de.

Frage: Pfarrer Mathhew, seit knapp drei Jahren sind Sie Priester in Lübben. Wie gefällt es Ihnen in der brandenburgischen Diaspora?

Mathhew: Sehr gut, ich habe mich hier schnell eingelebt. Das lag sicher auch daran, dass ich 2010 bereits ein Praktikum in der Nachbarpfarrei in Lübbenau gemacht hatte. Die Region hier war mir also schon vertraut, als ich 2021 meine Pfarrstelle angetreten habe.

Frage: Was ist St. Trinitas für eine Pfarrei?

Mathhew: St. Trinitas ist vor allem eine sehr große Pfarrei, insgesamt umfasst sie rund 1.200 Quadratkilometer. Lübben als ihr Zentrum liegt ziemlich genau in der Mitte, im Norden erstreckt sich die Pfarrei fast bis Königs Wusterhausen und im Süden bis kurz vor Cottbus – das sind rund 100 Kilometer Entfernung. Auf diesem großen Gebiet leben aber nur etwa 1.000 Katholiken, die meisten davon in Lübben und den drei Kirchorten Straupitz, Gröditsch und Schwerin.

Frage: Sie haben gesagt, dass Sie sich in der Pfarrei schnell eingelebt haben. Würden Sie sagen, dass Sie in Lübben inzwischen heimisch geworden sind?

Mathhew: Ja, ich denke schon. Wobei man als Priester ja vor allem in der Kirche heimisch sein sollte. Die Gemeinde ist für den Priester wie eine Familie, in der er lebt und die er liebt. Und wenn das so ist, dann ist es eigentlich egal, wo genau man als Pfarrer tätig ist.

Frage: Sie stammen aus dem südindischen Bundesstaat Kerala und sind 2009 – nach Ihrem Theologiestudium in Bengaluru – nach Deutschland gekommen. Wie kam es dazu?

Mathhew: Das war eigentlich gar nicht geplant. Nach meinem Studium hatte mich in Indien ein italienischer Franziskanerpater angesprochen und gefragt, ob ich mir nicht vorstellen könne, ein Noviziat in seiner Ordensgemeinschaft in Italien zu machen. Da ich nicht abgeneigt war, bin ich kurze Zeit später für eine Kennenlernphase dorthin geflogen. Allerdings habe ich schnell gemerkt, dass das Ordensleben mich nicht anspricht. Während dieser Zeit hatte ich Kontakt zu einem befreundeten Priester aus meiner indischen Heimatgemeinde, der damals bereits im Bistum Görlitz tätig war. Ich habe ihm erzählt, dass es mir in Italien nicht gefällt ...

Frage: ... und deshalb hat er Ihnen Deutschland als Alternative vorgeschlagen?

Mathhew: So ungefähr. Es war aber vor allem auch göttliche Fügung im Spiel. Denn der Priester hatte bald darauf ein Gespräch mit dem damaligen Görlitzer Bischof Konrad Zdarsa. Und der sagte ihm, dass es in seinem Bistum aktuell zwar noch genug Priester gebe, in ein paar Jahren aber einige in Rente gingen. Ob er nicht mal gucken könne, ob das Bistum noch einen weiteren Priester aus Indien bekommen könne. Und da hat der Priester mich ins Gespräch gebracht.

„Natürlich fragen mich ab und zu Leute, wo ich herkomme – aber das ist für mich in Ordnung.“

—  Zitat: Pfarrer Anish Mathhew

Frage: Priester waren Sie zu dem Zeitpunkt aber ja noch nicht ...

Mathhew: Nein, das war allerdings ein Vorteil. Als ich schließlich in Deutschland war, hatte ich so genug Zeit, die Sprache und das Land kennenzulernen und mich mit dem kirchlichen Leben hier vertraut zu machen. Priester, die sonst aus dem Ausland hierherkommen, müssen meist direkt anfangen zu arbeiten und haben deshalb kaum Gelegenheit, die Sprache gut zu lernen.

Frage: Wie schwer war es für Ihre Familie, dass Sie so weit weg nach Deutschland gegangen sind?

Mathhew: Nicht so schwer wie meine Entscheidung, Priester zu werden. Denn in Indien ist es normalerweise so, dass die Töchter wegverheiratet werden und einer der Söhne sich um die Eltern kümmert, wenn sie alt sind. Söhne sind in Indien also so etwas wie die Alters- und Pflegeversicherung für ihre Eltern. Und da ich der einzige Sohn meiner Eltern bin, war diese Aufgabe für mich vorgesehen. Als ich mich entschieden habe, Priester zu werden, war jedoch klar, dass ich diese Aufgabe nicht würde übernehmen können. Schließlich haben meine Eltern das aber akzeptiert – auch, weil sie selbst tiefgläubige Menschen sind.

Frage: Die meisten der rund 200.000 Inder in Deutschland leben in Berlin und westdeutschen Großstädten. Sie dagegen sind durch Ihren Bekannten in der ostdeutschen Provinz gelandet. Hatten Sie vor Ihrer Ankunft eine Vorstellung von der Region?

Mathhew: Nein, überhaupt nicht. Ich wusste eigentlich nur, dass im Bistum Görlitz nur wenige Katholiken leben. Aber die Diasporasituation kannte ich ja schon aus Indien. Und das im Bistum Görlitz nur wenige andere Inder oder andere Ausländer leben, hat mich nicht gestört, weil ich mit dem anderen indischen Priester ja eine Bezugsperson aus meiner Heimat hatte.

Frage: Recht bald nach Ihrer Ankunft sind Sie in das Priesterseminar in Erfurt eingetreten – damals noch unter Regens Wolfgang Ipolt, der später dann Nachfolger von Konrad Zdarsa als Bischof wurde – und wurden 2013 zum Priester geweiht. Danach waren Sie als Kaplan zuerst in Cottbus und schließlich in Hoyerswerda – einer Stadt, in der es 1991 zu schlimmen rassistischen Ausschreitungen kam, die bis heute nachhallen. Wie ist es Ihnen als Ausländer dort ergangen?

Mathhew: Mir ist in Hoyerswerda nichts Schlechtes widerfahren. Ich bin dort – wie auch später – nie rassistisch beschimpft oder angegriffen, sondern immer ganz normal behandelt worden. Ungefähr parallel mit mir kamen 2015 aber die Flüchtlinge in die Stadt, und da habe ich schon erlebt, dass die bei einigen Einwohnern nicht willkommen waren. Teilweise kam es auch zu Auseinandersetzungen zwischen Einwohnern und Flüchtlingen. Mein Eindruck damals war: Probleme entstehen vor allem dann, wenn Menschen keinen Kontakt haben, sich nicht kennen. Menschen haben Angst vor Fremden, und so ging es den Einwohnern von Hoyerswerda mit den Flüchtlingen. Ich dagegen hatte viele Kontakte, war mit vielen Menschen bekannt – und hatte keine Probleme. Das ist vielleicht der Unterschied.

Frage: Weil der Migrantenanteil in Ostdeutschland bis heute sehr gering ist, fallen Sie aufgrund Ihrer Hautfarbe aber natürlich auf. Wie erleben Sie das?

Mathhew: Nicht negativ. Natürlich fragen mich ab und zu Leute, wo ich herkomme – aber das ist für mich in Ordnung. Ich verstehe aber, dass Migranten, die schon lange in Deutschland leben, eine solche Frage vielleicht nicht gut finden, weil sie dadurch möglicherweise das Gefühl bekommen, immer noch nicht voll akzeptiert zu sein. Aber wie gesagt: Für mich ist das kein Problem. Ich sehe nun mal so aus, wie ich aussehe, und habe einen Großteil meines bisherigen Lebens in Indien verbracht. Wenn mich jemand freundlich nach meiner Herkunft fragt, gebe ich gerne Auskunft.

Bild: ©katholisch.de/stz

Die katholische Pfarrkirche St. Trinitas im brandenburgischen Lübben ist seit 2021 die Wirkungsstätte von Pfarrer Anish Mathhew.

Frage: Sind Sie denn noch indischer Staatsbürger?

Mathhew: Nein, seit einem Jahr bin ich Deutscher. Und weil Indien keine doppelten Staatsbürgerschaften akzeptiert, habe ich tatsächlich nur noch den deutschen Pass.

Frage: In Brandenburg wird im Herbst ein neuer Landtag gewählt, bei dem die AfD nach aktuellen Umfragen stärkste Kraft werden könnte. Die Partei wird vom Verfassungsschutz bundesweit als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft, in drei ostdeutschen Bundesländern gilt sie sogar als "gesichert rechtsextrem". Was sagen Sie dazu, dass trotzdem so viele Menschen – auch in Brandenburg – diese Partei unterstützen und wählen?

Mathhew: Ich denke, der Erfolg der AfD beruht vor allem auf der Unzufriedenheit vieler Menschen mit den anderen Parteien. Und diese Unzufriedenheit wiederum beruht auf schlechter Kommunikation. Ich finde, die Parteien in der gesellschaftlichen Mitte machen sehr viel richtig, und Deutschland steht im internationalen Vergleich ja immer noch sehr gut da – aber die regierenden Parteien kriegen das nicht gut kommuniziert.

Frage: Aber schlechte Kommunikation allein darf ja eigentlich kein Grund sein, eine rechtsextreme Partei zu wählen ...

Mathhew: Wie gesagt: Ich denke, dass viele Menschen, die die AfD wählen, einfach unzufrieden sind und den anderen Parteien einen Denkzettel verpassen wollen. Ich glaube jedenfalls nicht, dass alle AfD-Wähler rechtsextrem oder ausländerfeindlich sind. Viele Menschen gerade hier in der Region haben Sorgen und das Gefühl, dass diese Sorgen häufig nicht ernstgenommen werden. Das habe ich auch bei den Corona-Demonstrationen wahrgenommen: Unter den Demonstranten waren damals auch Menschen aus meiner Pfarrei, von denen ich definitiv weiß, dass sie nicht rechtsextrem sind. Aber die hatten mit Blick auf die Corona-Politik halt Fragen und Kritik, die sie artikulieren wollten.

Frage: Zur AfD haben sich die ostdeutschen Bischöfe jüngst klar ablehnend positioniert. Wie fanden Sie dieses Gemeinsame Wort und welche Bedeutung hat es für Sie und Ihren Alltag in Lübben?

Mathhew: Ich bin für diese Erklärung sehr dankbar. Sie ist für mich hilfreich, weil ich bei entsprechenden Gesprächen jetzt auf sie verweisen kann. Es muss klar sein, dass wir als Christen bestimmte Positionen der AfD nicht akzeptieren können – etwa, wenn es um die Menschenwürde geht. Für uns sind alle Menschen ohne Ausnahme Kinder Gottes. Es ist gut, dass das durch die Erklärung noch einmal deutlich gemacht wurde.

Frage: Die guten Umfragewerte der AfD und mögliche Wahlerfolge der Partei machen insbesondere auch Migranten Angst. Ihnen auch?

Mathhew: Ich habe keine Angst um meine persönliche Sicherheit, wenn Sie das meinen. Trotzdem besorgt mich die rasante Radikalisierung der AfD sehr. Dass sich fast niemand aus der Partei von dem Treffen in Potsdam und den dort diskutierten Vertreibungsplänen distanziert, sondern diese Pläne eher noch bejubelt hat, finde ich erschreckend. Insofern müssen sich vor allem die gemäßigteren Wähler der AfD fragen, ob sie diese Radikalisierung der Partei wirklich mit ihrer Stimme unterstützen wollen.

„Auch wenn die AfD in Brandenburg an die Macht kommen sollte, hätte ich keine Angst, weiter als Priester in Lübben tätig zu sein.“

—  Zitat: Pfarrer Anish Mathhew

Frage: Wie würden Sie reagieren, wenn die AfD die Wahl im Herbst tatsächlich gewinnen würde? Würde das für Sie etwas verändern?

Mathhew: Auch wenn die AfD in Brandenburg an die Macht kommen sollte, hätte ich keine Angst, weiter als Priester in Lübben tätig zu sein. Ich würde dann einfach weiter von der Liebe Gottes erzählen und das katholische Menschenbild vertreten.

Frage: Stichwort Lübben: Auch hier haben schon in der Vergangenheit viele Menschen die AfD gewählt. Bei der Landtagswahl vor fünf Jahren gewann der AfD-Politiker Hans-Christoph Berndt das Direktmandat. Er ist inzwischen Fraktionsvorsitzender der Partei im Landtag, wird vom Verfassungsschutz als "erwiesener Rechtsextremist" eingestuft und hat die in Potsdam diskutierten Vertreibungspläne ebenfalls verteidigt. Herr Berndt ist laut eigenen Angaben außerdem katholisch. Kann jemand, der als "erwiesener Rechtsextremist" gilt und offenbar Menschen aus Deutschland vertreiben will, ein guter Katholik sein?

Mathhew: Jesus Christus hat gesagt "Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe". Das ist eine klare Aussage. Wer sich daran hält, wird andere Menschen nicht nach Kriterien wie der Hautfarbe oder der Herkunft in Menschen erster und zweiter Klasse sortieren. Wer es doch tut, muss sich fragen, ob er oder sie Jesus wirklich nachfolgt. Aus meiner Sicht ist klar: Nur wer andere Menschen ohne Ausnahme so liebt, wie Jesus sie geliebt hat, ist ein Christ.

Frage: Gibt es unter den Engagierten in Ihrer Pfarrei AfD-Mitglieder?

Mathhew: Nein, von den aktiven Gemeindemitgliedern ist niemand in der AfD. Was die Menschen an der Wahlurne machen, weiß ich aber natürlich nicht.

Frage: In der katholischen Kirche gibt es – auch von Bischöfen – Forderungen, AfD-Mitgliedern die Mitarbeit in kirchlichen Gremien zu verbieten. Was sagen Sie dazu?

Mathhew: Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee wäre. Wir würden uns dadurch möglicherweise die Chance verbauen, mit diesen Leuten in Kontakt zu bleiben und sie durch Gespräche vielleicht davon zu überzeugen, ihr Engagement in der Partei zu überdenken. Als Kirche müssen wir den Sündern immer auch die Chance zur Bekehrung geben! Jeder Mensch ist ein Abbild Gottes, und jeder hat auch etwas Gutes in sich – auch ein AfD-Wähler.

Frage: Das heißt, Sie würden auch mit AfD-Wählern reden?

Mathhew: Natürlich, die Türen der Kirche sind für alle Menschen offen, jeder ist willkommen. Wenn ein AfD-Wähler mit mir zum Beispiel über seine Sorgen rund um das Thema Migration reden möchte, kann er gerne zu mir kommen. Als Seelsorger nehme ich grundsätzlich alle Sorgen ernst, die Menschen mir vortragen; ich verurteile auch niemanden. Wenn ich nach meiner persönlichen Meinung oder der Haltung der Kirche zum Thema Migration gefragt werden würde, würde ich jedoch klar antworten.

Von Steffen Zimmermann