Es mag sein, dass die Volkskirche passé ist – aber ...
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Zwei Veranstaltungen haben mich bei uns in der Kölner Agnespfarrei zuletzt nachdenklich gemacht. Im November haben wir zum ersten Mal einen Martinszug für alle Menschen – nicht nur für Kinder und ihre Eltern – veranstaltet. Dabei hat ein syrischer Geflüchteter den Martin gespielt und einer aus der Gemeinde den Bettler. Anschließend sind wir mit rund 700 Menschen durchs Viertel gezogen und haben dann in der Kirche noch eine Agape mit Glühwein und Punsch gemacht und große Weckmänner geteilt.
Vor einer Woche haben wir zum vierten Mal einen Karnevalsgottesdienst gefeiert, den wir auch im Internet gestreamt haben. Dabei wurde mir erneut klar, wie sehr gerade die kölsche Musik in der Lage ist, Menschen in ihren Bedürfnissen und Sehnsüchten anzusprechen und zu verbinden. Denn diese Musik bringt – sicher: niederschwellig und in gewisser Weise volkstümlich – auch religiöse, spirituelle und sogar biblische Haltungen zum Ausdruck: "Jetzt sinn mer all he hinjekumme – mir sprechen hück all dieselve Sprooch" ("Jetzt sind wir alle hier hingekommen, wir sprechen heute alle dieselbe Sprache" – Bläck Fööss) – ein deutlicher Hinweis auf das Pfingstereignis der Apostelgeschichte.
Oder wenn die Menschen nach dem Totengedenken "Sing mich noh Hus! Mach et wärm in d´r Brust!" singen ("Sing mich nach Hause! Mach es warm in der Brust!" – Kasalla) – dann ist dieses Bild sicher mehr als die Erinnerung eines inzwischen erwachsenen Kindes an die Geborgenheit, die es durch die Eltern erfahren hat. "Sing mich noh Hus!" – darin ist, wie ich meine, auch der Gedanke an so etwas wie Auferstehung ziemlich genial auf den Punkt gebracht. Etwa 800 Menschen, darunter viele Kirchenferne haben an dem Gottesdienst teilgenommen. Die Klickzahlen im Internet liegen inzwischen bei rund 20.000.
Es mag sein, dass die Volkskirche passé ist. Und doch gibt es Narrative, die tief in den Menschen stecken und eine stärkende Bedeutung haben. Zum Beispiel die Erfahrung des Teilens. Zum Beispiel die Sehnsucht nach Vergemeinschaftung über (Standes-)Grenzen hinweg. Das Bedürfnis nach Heimat, Ankommen, Teilhabe, Vertrauen oder Trost. Das Martinsspiel mit seinen Bräuchen oder auch die Karnevalsmusik im Rheinland scheinen Beispiele zu sein, wie sich diese Narrative in einer gewissen volkstümlichen Weise Ausdruck verschaffen. Sterbende Volkskirchen tun gut daran, für diese Volkstümlichkeit einen Blick zu haben.
Der Autor
Peter Otten ist Pastoralreferent in der Pfarrgemeinde St. Agnes in Köln. Seit einigen Jahren bloggt er unter www.theosalon.de.Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.