Aachener Generalvikar: Sehe nicht die Gefahr eines Einschreitens Roms
Man wende sich "in brennender Sorge um das Seelenheil der katholischen Christen im Bistum Aachen" an die Verantwortungsträger in Rom: Gläubige kritisieren die Beschlüsse zur Strukturreform im Bistum Aachen und sendeten vor wenigen Wochen zwei Protestschreiben an den Vatikan und die Apostolische Nuntiatur in Deutschland. Die auf lange Sicht geplante Struktur mit acht Großpfarreien sei "allenfalls dazu angetan, die Wirtschaftlichkeit des Bistums zu stabilisieren", hieß es vonseiten der Initiatoren, "Reformen im Sinne der Glaubensvermittlung und dessen Weitergabe an zukünftige Generationen sind sie aber gewiss nicht". Wie geht das Bistum mit dieser Kritik um? Schon in seiner vorherigen Funktion war Aachens Generalvikar Thorsten Aymanns am Prozess beteiligt. Im Interview nimmt er Stellung und erklärt, wie kirchliches Leben in den künftigen Strukturen gedacht ist.
Frage: Herr Aymanns, den Entscheidungen zur Strukturreform im Bistum Aachen ging ein längerer Dialogprozess voraus. Wie haben Sie diesen erlebt?
Aymanns: Er war sehr komplex. Aber er hat auch große Freude gemacht; und Veränderung wird auch künftig unser Handeln bestimmen. Insgesamt dürften mehr als 5.000 Menschen in den verschiedenen Phasen des Prozesses im gesamten Bistum beteiligt gewesen sein. Entscheidend war, dass dann in einem synodalen Gremium, dem Synodalkreis, die inhaltlichen Themen definiert wurden. Sie dienen uns als Leitplanken für die vielen unterschiedlichen Projekte, die seit mehr als einem Jahr mit großer Akribie umgesetzt werden. Die Konsent-Methode, die wir im Synodalkreis angewendet haben, basiert nicht darauf, dass sich Mehrheiten durchsetzen, sondern Einwände ausgeräumt werden. Das heißt: Niemand konnte sich qua Funktion durchsetzen. Für den Bischof waren die Beschlüsse von Anfang an bindend.
Frage: Wie kann die geplante neue Struktur – zunächst 44 Pastorale Räume, schließlich acht Großpfarreien – mit den genauen Zuschnitten zustande?
Aymanns: Perspektivisch werden die acht Pfarreien das Dach für die 44 Pastoralen Räumen bilden. Diese leben wiederum von vielfältigen Orten von Kirche. Über den Zuschnitt der Pastoralen Räume haben im vergangenen Jahr sämtliche Gremien unter Koordinierung von acht Regionalteams jeweils vor Ort votiert. Die Ergebnisse sind durchaus unterschiedlich ausgefallen. In Krefeld haben die Gremien entschieden, dass sie einen Pastoralen Raum für die ganze Stadt wollen. Im ländlichen Bereich erleben wir Situationen, wo wir kleinere Pastorale Räume haben, in denen die wünschenswerte Mindestanzahl von 15.000 Katholikinnen und Katholiken nicht erreicht wurde. Bischof und Bistum tragen diese Lösungen mit, sie sind vor Ort erarbeitet worden.
Frage: So wie sie das beschreiben, waren viele Gläubige ganz konkret am Prozess beteiligt. Das Bistum spricht von großer Zustimmung in den Gremien. Manche fühlen sich offenbar trotzdem nicht gehört, wie man an den zuletzt öffentlich gewordenen Protest-Briefen an den Vatikan und den Nuntius sieht. Was sagen Sie zu der Kritik, die dort formuliert wurde?
Aymanns: Es ist ganz normal, dass sich in derlei komplexen Veränderungsprozessen immer wieder auch kritische Stimmen mischen. Inhaltliche Kritik nehmen wir selbstverständlich immer ernst. Allerdings überrascht mich gelegentlich die Schärfe der Kritik an den territorialen Zuschnitten, da diese Vorschläge unter Einbindung sämtlicher Gremien vor Ort erarbeitet wurden. Ich kann mich nur wiederholen: Wir laden grundsätzlich alle, die sich mit Sorgen an uns wenden, zu Gesprächen ein. Das wird auch jetzt der Fall sein.
Frage: Wie viel Rückhalt hat diese Kritik aus Ihrer Sicht unter den Gläubigen insgesamt?
Aymanns: Genau kann ich das nicht beziffern. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass diese flächendeckend aus dem ganzen Bistum kommt. Aber natürlich finden derlei Briefe auch eine große mediale Resonanz.
Frage: Und was ist mit den Priestern? Ein Brief-Initiator sprach von "liturgischen Erfüllungsgehilfen", zu denen die Priester degradiert würden, die nicht an der Spitze der Großpfarreien stünden.
Aymanns: Ein Priester ist mehr als der Leiter einer Pfarrei oder ein Zelebrant. Er hat zunächst einmal einen Verkündigungs- und Zeugnisauftrag. Und vor allem ist er Seelsorger. Als Kirche kommen wir aus einer Sozialstruktur, die kleinteilig war, um ein Dorf oder einen Stadtteil herum orientiert war. Die Bedürfnisse und die Lebensbezüge von Menschen haben sich aber fundamental gewandelt. Menschen verorten sich zwar auch lokal, bewegen sich aber durch unterschiedliche Sozialräume. Das merken wir gerade in einer Stadt wie Krefeld: In dieser Großstadtsituation haben die Teams von sich aus größer gedacht, denn ihr eigener Lebensraum oder der ihrer Kinder liegt in der gesamten Stadt. Es ist naheliegend, dass sich mit der Sozialstruktur auch das Priesterbild verändert. Der Priester ist nicht mehr für einen fest zugeschnittenen Raum zuständig, in dem er die Leitung hat, in dem er seelsorglich und sakramental tätig ist. Natürlich werden wir Priester in der Leitung brauchen. Zukünftig werden wir aber in der Leitung konsequent auch weitere haupt- und ehrenamtlich Engagierte sehen. Zwangsläufig wird sich Leitung immer mehr auch auf neue Inhalte und Initiativen für unterschiedliche Bedürfnisfelder etablieren.
Frage: Die Brief-Initiatoren fahren verbal schweres Geschütz auf. Da ist die Rede davon, dass man sich um das Seelenheil der Gläubigen im Bistum Sorgen angesichts der geplanten Strukturreform macht. Nehmen Sie denen das ab? Oder stecken da einfach nur Verlustängste dahinter, weil eventuell in der bisherigen Pfarrkirche sonntags nicht mehr jede Woche eine Messe stattfinden soll?
Aymanns: Verlustängste müssen wir ernstnehmen. Menschen wünschen sich gerade in der Kirche Beständigkeit, weil sich vieles um sie herum so rasant ändert. Dann müssen wir gemeinsam schauen, welche Angebote, welches diakonische und pastorale Wirken vor Ort wirksam werden muss. Die Abschaffung einer Pfarrei heißt nicht, dass keine Eucharistie mehr gefeiert wird. Nur findet eben nicht mehr alles rund um die Kirchturmspitze statt. Dass die Veränderung von Strukturen das Seelenheil gefährdet, erschließt sich mir nicht. Um die Sorge um den Verlust seelsorglicher Nähe indessen müssen wir uns kümmern.
„Die Abschaffung einer Pfarrei heißt nicht, dass keine Eucharistie mehr gefeiert wird. Nur findet eben nicht mehr alles rund um die Kirchturmspitze statt.“
Frage: Wie soll dafür gesorgt werden, dass kirchliches Leben in diesen neuen geplanten Strukturen nicht zum Erliegen kommt – wovor manche ja offensichtlich Angst haben?
Aymanns: Wir wollen an Strukturen arbeiten, die kirchlichem Leben in einer veränderten Gesellschaft und Lebenssituation möglichst gute Voraussetzungen bieten. Wo wird Gottesdienst gefeiert? Wo findet soziales Engagement statt? Wo Glaubensweitergabe? Bleiben wir realistisch: Wir werden das nicht mehr in jedem Stadtteil, an jedem Ort, um jeden Kirchturm herum machen können. Es wird aber dort möglich, wo sich Menschen einsetzen, im karitativen Bereich, in der Weitergabe des Glaubens. Dafür brauchen wir einen Rahmen, der diese Angebote so in den Lebensraum hineinträgt, dass sie den Menschen zugänglich werden, dass sie gefördert werden, an diesen Orten Gutes zu tun. Wir brauchen einen Rahmen, der es unseren Mitarbeitenden in der Pastoral möglich macht, die ehrenamtlich Engagierten zu befähigen und zu motivieren.
Frage: Wie stellen sie sich das kirchliche Leben in den Pastoralen Räumen oder Großpfarreien in Zukunft konkret vor?
Aymanns: Dazu stützen wir uns auf eine neue Pastoralstrategie, die genau danach fragt, welche Bedürfnisse Menschen haben. Es gibt die klassisch kirchlich gebundenen Menschen. Es gibt diejenigen, die bei uns eher Dienstleistungen suchen. Das meine ich überhaupt nicht negativ: Wer einen Kindergartenplatz für sein Kind sucht, tut das berechtigterweise und hoffentlich bei uns. Und es gibt Menschen, die auf der Sinnsuche sind. Vielleicht finden sie in unserem klassischen Gottesdienstangebot nicht die richtigen Antworten. Deshalb bieten wir ihnen andere Andockstellen. Alle drei Bedürfnisgruppen schließen sich nicht aus. Wer einen Kita-Platz sucht, ist vielleicht froh, wenn diese Kita einen Gesprächskreis für Eltern anbietet, in dem man sich mit Lebensfragen auseinandersetzt. Und die Kita hat dann vielleicht auch eine Vermittlungsfunktion in den Kindergottesdienst. Wir wollen kein Selbstbedienungsladen der Beliebigkeit sein. Wir schauen, wie sich die Lebenswelt der Menschen mit unserer Botschaft dem Evangelium in guter Weise begegnen können.
Frage: Die Rede ist von "Orten der Kirche", an denen kirchliches Leben stattfindet. Was ist darunter zu verstehen?
Aymanns: Wir meinen damit jeden Ort, an dem sich etwas zeigt, was eine große Offenheit für kirchliches Leben hat. An dieser Stelle reden wir nicht mehr über territoriale Angebote, sondern über inhaltliche. Innerhalb des Pastoralen Raums besteht die Aufgabe darin, diese vielfältigen und bestenfalls sprühenden Orte gut untereinander und miteinander zu vernetzen und dafür auch Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Entscheidend ist, Begegnung zu ermöglichen: Menschen sollen sich begegnen und die Kraft des Evangeliums spüren.
Frage: Ist damit alles gemeint, wo irgendwie "katholisch" oder "Kirche" draufsteht?
Aymanns: Wo "katholisch" draufsteht, sollte auch katholisch drin sein. Es geht aber nicht um ein nach außen sichtbares Label, sondern um gelebte Vielfalt – soziales Miteinander, den Glauben gemeinsam leben. Auch ein digitaler Raum kann ein Ort von Kirche sein; die Kita, der Seniorenkreis oder die Eheberatungsstelle. Wir nehmen die Bedürfnisse der Menschen in den Blick, nicht die der Institution. Dies bedeutet einen tiefgreifenden Haltungs- und Kulturwandel. Jederzeit verbunden mit einer Offenheit für die kirchlichen Bezüge und die Sakramentalität.
Frage: Zunächst soll es ab 2025 die 44 Pastoralen Räume geben. Was passiert bis dahin genau?
Aymanns: Wir sind im Moment unterwegs mit Promotorinnen und Promotoren. Für jeden der Pastoralen Räume haben wir einen pastoralen Mitarbeiter beauftragt, die lokale Gremien zusammenzubringen, Gespräche zu führen und die nächsten Schritte zu erklären. Aber auch, den Kontakt zu den Fachleuten herzustellen. Die Kirchenvorstände wollen wissen, was das alles kirchenrechtlich bedeutet, was das für die Angestellten in den Gemeinden heißt. Die bestehenden Gremien der alten Strukturen versuchen wir in die neuen zu überführen oder neu aufzustellen – da wo man den Pastoralen Raum komplett neu umschrieben hat. Dann gibt es zwei Schritte: Zum 1. Juli dieses Jahres werden wir rund die Hälfte der Pastoralen Räume errichten – dort, wo das territorial unkompliziert ist. Und zum 1. Januar 2025 werden wir dann die errichten, in den es völlig neuem Zuschnitte gibt. Wir denken das Ganze von 2028 her: Dann soll die neue Gremien- und Leitungsstruktur endgültig etabliert sein. Bis dahin schauen wir, was nötig ist, um einen guten Übergang hinzukriegen.
Frage: Sind die acht Großpfarreien ab 2028 in Stein gemeißelt – oder wäre das Bistum, wenn es doch zu einer anderen Einschätzung kommt, bereit, da auch nachzuarbeiten?
Aymanns: Die Zahl acht kommt auch aus dem Synodalkreisbeschluss, der acht bis 13 Pfarreien vorgeschlagen hat. Aus den weiteren Beratungen heraus schien dann die Zielmarke acht am sinnvollsten zu sein. Diese Größenordnung deckt sich auch mit den Kommunalstrukturen und den bisherigen Regionen. Natürlich fragt der ein oder andere nach, ob die Grenzziehung stimmt. Ob wir genau auf den Punkt 2028 zu diesen acht Pfarreien kommen, werden wir sehen. Sie sind als Ziel definiert. Und davon rücken wir auch nicht ab. Wir müssen realistisch sein: Kleinere Pfarreien können nicht mehr in die Gesellschaft hineinwirken. Auch unsere pastoralen Möglichkeiten geben das nicht mehr her. Unsere Strukturen müssen ein Stück bescheidener werden – immer so, dass sie unserem Anliegen dienen. Eine wirkliche Herausforderung ist, zu vermitteln, dass die Seelsorge auch in Zukunft in kleineren Einheiten, den Pastoralen Räumen, stattfindet. Die größere Pfarrei hat diese dann im kirchenrechtlichen Sinne abzusichern und zu koordinieren.
Frage: Sehen Sie die Gefahr, dass sich der Vatikan – wie vor wenigen Jahren im Bistum Trier – zum Einschreiten genötigt sieht?
Aymanns: Dass es Menschen gibt, die in Rom nachfragen oder Kritik äußern an dem, was wir tun – das ist so. Was ich aber auch sagen kann: Bischof Dieser ist im guten Austausch mit Rom. Wir bemühen uns natürlich, die Dinge nicht kontrovers anzugehen, sondern auch im Dialog mit den römischen Stellen. In diesem Sinne ist das ein gutes Miteinander. Daher sehe ich die Gefahr nicht, dass Rom einfach einschreitet. Wir nehmen von römischer Seite wahr, dass diese sagt: Macht die Dinge Schritt für Schritt, macht Erfahrungen. Dekretiert nicht schon jetzt, was erst später relevant wird. Der wichtigste römische Hinweis ist: Bleibt mit den Gläubigen im Gespräch. Das tun wir.