Lokal oder gleich für alle? Die schwierige Arbeit in Großpfarreien
Eigentlich gründet Bastian Franken gerade einen Jugendverein in seiner Pfarrei im nordrhein-westfälischen Bad Münstereifel. "Bei uns in der Pfarrei fehlt ein Angebot für Kinder, die nicht etwa im Sportverein sind. Da gibt es bislang für Kinder und Jugendliche zwischen zwölf und 17 nichts. Wir wollen bei uns aber einen Ort für Begegnung schaffen. Die Vision ist, dann als Gemeinschaft zu einem Weltjugendtag zu fahren." Doch in einem Seelsorgebereich, der aus neun Städtchen und Dörfern sowie einer großen Fläche dazwischen besteht, stellt sich eine Frage, mit der Menschen an der Kirchenbasis deutschlandweit konfrontiert sind: Was lässt sich in einer Großpfarrei eigentlich noch lokal organisieren, was lieber überlokal – und wie sinnvoll ist das?
Im Fall vom ehrenamtlich Engagierten Bastian Franken ist die Lage wie so oft im ländlichen Deutschland alles andere als einfach. Zwischen den Dörfern und Kleinstädten liegen zum Teil erhebliche Strecken, die insbesondere für Kinder mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur schwer zu überbrücken sind. Der Initiativkreis um Franken, der sich auf einen Impuls des örtlichen Pfarrers zusammengefunden hat, ohne dass dieser direkt involviert ist, hat sich deshalb auf die zentral gelegene Stadt Bad Münstereifel und das angrenzende Feytal konzentriert. "Viele, vor allem ältere Jugendliche sind in einer Ganztagsbetreuung und dann sowieso schon im Stadtkern von Bad Münstereifel, weil hier die Schulen sind. Sie können dann einfach nach der Schule vor Ort bleiben." Im ersten Schritt wird der Jugendtreff in einem Container neben dem katholischen Angela-Gymnasium in der Stadt eingerichtet. Nach dem Provisorium streben die Aktiven an, auch künftig zentral zu bleiben. Denn damit der Treff für die Kinder und Jugendlichen überhaupt interessant wird, müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein. "Es muss ein attraktiver Raum sein, mit einem Kühlschrank mit Getränken, vielleicht einem Kicker. Man muss sich dort gern aufhalten können."
Das ist einer der Gründe, weswegen sich das Angebot für Jugendliche auf Bad Münstereifel beschränkt, auch wenn das Franken eigentlich nicht recht ist, denn der Grundidee einer Großpfarrei steht er kritisch gegenüber. "Dadurch geht viel lokale Identität verloren. Der Pfarrer ist nicht häufig vor Ort und jede Initiative muss möglichst viel inkludieren." Warum er trotzdem ein zentrales Angebot für alle macht? Weil sich etwas anderes kaum umsetzen ließe. In vielen der abgelegenen Dörfer gibt es nur wenige Jugendliche, zum Teil nur zwanzig. "Die haben eine Altersspanne zwischen zwölf und 19 Jahren. Die Jugendlichen von ihren Interessen auf einen gemeinsamen Nenner zu bekommen, ist unmöglich." Zudem ist die Immobiliensituation in den Dörfern schwierig. Nach mehreren Spar-Runden hat die Kirche nicht mehr überall passende Räumlichkeiten. Und mit einem Altenheim arbeite man in diesem Fall nicht zusammen – aus einem guten Grund: "In den Jugendräumen müssen die Jugendlichen auch mal bis 22, 23 Uhr bleiben können, das ist ihr geschützter Ort. Das geht in einem Umfeld mit Senioren natürlich nicht." Lokale Angebote zu machen, ist also schwer. Zwar wird im Initiativkreis auch über einen Shuttle-Service zwischen den Dörfern und Angeboten im Sommer draußen an verschiedenen Orten nachgedacht, das ist aber noch Zukunftsmusik.
Besonderheit der Innenstadt
Solche Probleme gibt es bei Christian Gellrich nicht. Er ist Pfarrer von St. Laurentius in der Erfurter Innenstadt. Die sieben Gotteshäuser der Stadtpfarrei liegen fußläufig voneinander entfernt. "Viele Menschen gehen hier sowieso unabhängig von ihrem Wohnort in verschiedene Kirchen, es wird schon lange übergreifend gearbeitet ", sagt er. Dementsprechend wird die Vorbereitung etwa auf Kommunion und Firmung zentral organisiert. Zwar gibt es lokale Gruppen der Katechetinnen und Katecheten, die Organisation wird jedoch gemeinsam aufgesetzt und die Kommunionfeiern finden am Ende in den zwei größten Kirchen statt. Natürlich hat dieses Vorgehen für Gellrich auch ganz handfeste Vorteile. "Das ist für uns die Möglichkeit, mit einer einzigen Vorbereitung und Begleitung den gesamten Kommunionkurs durchzuführen", sagt er. Dagegen gibt es sehr wohl lokales Vorgehen. "Alles, was mit Liturgie zusammenhängt, machen wir eher lokal." So finden etwa die Feiern der Kar- und Ostertage jeweils in den Kirchen vor Ort statt. "Das ist für den lokalen Bezug auch wichtig", sagt er.
Im Großen und Ganzen lebt die Innenstadtpfarrei jedoch vom Zusammenwachsen der verschiedenen ehemaligen Gemeinden. In Erfurt funktioniere das gut, bemerkt Gellrich – und sieht in die Zukunft. Es gibt vor Ort Pläne, auch institutionell enger miteinander zu arbeiten. Wo momentan noch einige ortsgebundene Gremien nur für einen kleinen Teil der Pfarrei arbeiten, könnten diese Strukturen zusammengefasst werden. Aber das ist noch alles im Prozess, deshalb kann und will Gellrich dazu nicht viel sagen.
Es scheint bei der Umsetzung des Prinzips Großpfarrei ein Gefälle zwischen Stadt und Land zu geben. Wo in der Stadt die Wege kurz und die Zusammenarbeit einfacher ist, stellen sich auf dem Land mit dünner Besiedlung und weniger Infrastruktur ganz neue Herausforderungen durch oft fehlende Mittel für lokale Arbeit.
Einen Einblick in beide Welten hat Pastoralreferent Werner Busch aus Neustadt an der Weinstraße, wo er in der Pfarrei Hl. Theresa von Avila arbeitet. Die Großpfarrei im Bistum Speyer bündelt Stadt- und Landgemeinden. Er kann den Eindruck der verschiedenen Geschwindigkeiten bestätigen. "In der Stadt findet man schneller zusammen, auf dem Land macht man lieber sein eigenes Ding – aber das ist sehr kurzsichtig ", sagt er. Denn auch auf dem Land werden die Gläubigen weniger, es gibt weniger Gebäude, Personal und Geld, aber auch weniger Traditionen und Kirchlichkeit. Das ist nicht immer einfach. "Wir sind mit mehreren Prozessen gleichzeitig konfrontiert", sagt Busch. Dazu kam 2020 die Corona-Pandemie, die vielerorts bestehende Netzwerke zerstört hat. "Kolping, kfd und so weiter, das ist bei uns alles nur noch die Verwaltung eines kläglichen Rests", sagt Busch. In Neustadt wird wie andernorts auch die Vorbereitung auf Kommunion und Firmung zentral angeboten, auch der Plan für die Gottesdienste ist auf die gesamte Pfarrei abgestimmt. Wie viel noch lokal passiert, hängt mittlerweile in erster Linie vom ehrenamtlichen Engagement ab. Busch nennt zwei Beispiele: "Eine unserer ländlichen Gemeinden hat eine Wallfahrtskapelle, zu der jedes Jahr gepilgert wird, da gibt es auch ein Fest. Die Gemeinde lädt aber inzwischen auch andere Gemeinden dazu ein. In der Stadt dagegen gibt es ein Weinhaus, das früher ein toller Treffpunkt war. Auch ein Ort für Geburtstage oder Hochzeiten. Aber seitdem sich kaum noch Leute finden, die das ehrenamtlich bewirtschaften wollen, ist es offen, wie es da weitergeht." Diese Frage stelle sich bei jeder lokalen Aktion mittlerweile, "zum Beispiel: Kriegen die die Fronleichnamsprozession noch hin? Da muss man realistisch sein". Aber es gebe auch Lichtblicke: So hätten sich die Begrüßungskomitees, die in der Corona-Pandemie den Einlass kontrollierten, in der Stadt verstetigt und es hätten sich neue Gruppen ergeben. Hier entwickele sich also wiederum neues Engagement vor Ort. "Das ist auch wichtig. Denn wenn die einmal im Monat nach der Messe ein Kaffee-Trinken anbieten, verlieren sie schon auf dem Weg zum Pfarrzentrum Leute. Deshalb muss der Kaffee idealerweise in der Kirche angeboten werden." Spannenderweise haben sich diese Gruppen nur in der Stadt gehalten, in den Dorfgemeinden haben sie sich wieder aufgelöst.
Auf Ökumene setzen
Ein weiterer Weg zur Weiterentwicklung des kirchlichen Lebens im Lokalen ist die ökumenische Zusammenarbeit. Wenn Kirchen geschlossen werden, sprechen sich auch in Neustadt Katholiken und Protestanten ab, damit bestenfalls wenigstens eine Kirche am Standort offenbleibt. "Machen wir uns nichts vor, für die meisten Leute sind die Unterschiede zwischen den Konfessionen nicht mehr verständlich. Einige mutige Pfarrer machen ökumenisch alles zusammen, mit gegenseitigen Mahleinladungen und Interkommunion – das wird unter Hand gemacht." Wichtig sei es, eine einladende Gemeinschaft zu sein, dem sei vieles andere unterzuordnen.
Die Balance zwischen kirchturm-lokal und pfarrei-weit ist also keineswegs einfach, egal ob auf dem Land oder in der Stadt. Warum das so ist, weiß der Religionssoziologe Michael N. Ebertz: "Der Grund für die Pfarreizusammenlegungen ist in allererster Linie der Priestermangel, da eine Pfarrei immer von einem Priester geleitet werden muss. Es geht also um die Erhaltung einer bestimmten Art von Organisation, nicht um die Bedürfnisse der Gläubigen." Das sei auch der Grund, warum lokales Engagement in einer Großpfarrei so schwierig werde. "Die Amtskirche hat eigentlich kein Interesse daran, dass die Gläubigen viel ohne Beteiligung des Pfarrers machen. Mal von Angeboten wie dem Rosenkranzbeten oder dem Tischgebet abgesehen, soll immer der Pfarrer auftreten", so der emeritierte Professor der Katholischen Hochschule Freiburg. Das führe auf Dauer zur Überlastung der verbleibenden Pfarrer und dadurch zu Problemen. "Diese Konflikte kann man auflösen: Etwa, indem man die Gültigkeit von Sakramenten nicht wie bisher durch die Weihe und ein bestimmtes Ritual definiert, sondern beides voneinander entkoppelt – oder den Zugang zum Weiheamt anders regelt." Bislang scheine beides jedoch in weiter Ferne zu liegen.
Doch die große Kirchenpolitik scheinen die engagierten Gläubigen vor Ort sowieso nicht beeinflussen zu können. Sie versuchen ganz pragmatisch, mit dem zu arbeiten, was da ist. Das klappt manchmal eben besser und andere Male schlechter. Bastian Franken bleibt für Bad Münstereifel zuversichtlich. "In den letzten Jahren haben die Rivalitäten zwischen den Dörfern hier extrem abgenommen. Da laden sich zum Beispiel die Junggesellenvereine gegenseitig auf das Dorffest ein. Das gab es früher nicht. So kann lokale Identität erhalten werden – gemeinsam."