Generalsekretär des Bonifatiuswerks bei Beratungen zu Evangelisierung im Vatikan

Austen: Wir haben in Europa eine oftmals "ermüdete" Kirche

Veröffentlicht am 23.03.2024 um 11:50 Uhr – Von Roland Müller – Lesedauer: 

Rom ‐ Wenn es im Vatikan um das Thema Evangelisierung geht, lässt sich der Papst von Monsignore Georg Austen beraten. Der Leiter des Bonifatiuswerks ist einer der Konsultoren des entsprechenden Dikasteriums. Im katholisch.de-Interview berichtet Austen von seiner Teilnahme an den Beratungen in Rom.

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Im April 2023 wurde Monsignore Georg Austen von Papst Franziskus zum Berater des Evangelisierungsdikasteriums berufen. In der vergangenen Woche nahm der Generalsekretär des Bonifatiuswerkes in Paderborn zum ersten Mal in seiner Rolle als Konsultor an einer Sitzung der Vatikanbehörde in Rom teil. Im Interview mit katholisch.de berichtet er von seinen Erfahrungen mit den anderen Teilnehmern aus der Weltkirche und wie er den momentan gesundheitlich angeschlagenen Papst im persönlichen Gespräch erlebt hat.

Frage: Wie war die erste Sitzung des Dikasteriums für Evangelisierung, an der Sie in der vergangenen Woche teilgenommen haben, Monsignore Austen?

Austen: Es war interessant und spannend zu erleben, wie im Vatikan mit der Frage der Evangelisierung umgegangen wird. Bei unserem Treffen kamen Vertreterinnen und Vertreter aus der Weltkirche zusammen. Ich konnte erfahren, in welchen Kontexten über Evangelisierung nachgedacht wird. Ich bin beispielsweise mit Menschen aus Afrika und Brasilien ins Gespräch gekommen. Dabei wurden die unterschiedlichen Lebensrealitäten und die jeweiligen Fragen und Herausforderungen der Verkündigung deutlich. Wichtig ist vor allem, wie Evangelisierung im Leben der Menschen Fuß fassen kann. Dabei ist der Respekt voreinander und der Dialog miteinander – auch mit Andersdenkenden und -glaubenden – von enormer Bedeutung, um in der Zerrissenheit der Welt die notwendigen Herausforderungen anzugehen.

Frage: Wer sind die anderen Berater und woher kommen sie?

Austen: Es sind eine Reihe Laien dabei, aber auch viele Kardinäle. Der Pro-Präfekt dieser Abteilung des Dikasteriums ist Erzbischof Rino Fisichella, auch andere Bischöfe sind dort Mitglieder. Zudem sind viele Fachleute von Universitäten und verschiedenen kirchlichen Gemeinschaften dabei. Auch verschiedene Seelsorgebereiche sind vertreten, etwa aus der Polizei- oder der Pilgerseelsorge. Das ist wirklich sehr facettenreich.

Frage: Sie haben es schon gesagt: Im Dikasterium trifft sich die Weltkirche. Wie lässt sich sinnvoll über das Thema Evangelisierung diskutieren, wenn die Bandbreite der Mitglieder und Berater derart groß ist?

Austen: Das Treffen wird natürlich von den Verantwortlichen in Rom fachgerecht mit bestimmten Themen und Inhalten vorbereitet. Aber es gibt Diskussionen, in denen einzelne Redebeiträge platziert werden können. Von Bedeutung ist nicht nur der Austausch in den offiziellen Sitzungen, sondern man trifft sich auch in den Pausen oder vor und nach den Gesprächen. Dieser informelle Austausch ist mindestens genauso wichtig, um in einen Dialog untereinander zu kommen. So können wir voneinander lernen und Herausforderungen lassen sich gemeinsam bewältigen. Als einziger deutschsprachiger Konsultor war ich jetzt das erste Mal dabei, da habe ich zunächst hingehört und wollte verstehen, wie die Arbeit im Dikasterium abläuft. Inhaltlich ging es um die Fragen der Glaubensbildung und Katechese in den verschiedenen Ländern. Aber auch über das Pilgern und seine Bedeutung für die Gläubigen haben wir gesprochen, ebenso wie über die Glaubensweitergabe in der Familie. Das bevorstehende Heilige Jahr 2025 war ebenfalls Thema, da es federführend vom Dikasterium vorbereitet wird. Besonders wichtig erscheint mir, dass die Teilnehmer die Themen in ihre Bistümer und Arbeitsfelder einbringen.

Frage: Es geht bei den Treffen des Dikasteriums also auch darum, dass kirchliche Multiplikatoren bestimmte Themen aus dem Vatikan in ihre Heimat mitnehmen?

Austen: Das ist sicherlich ein bedeutender Punkt, aber es geht auch darum, dass Erfahrungen aus der konkreten Arbeit nach Rom mitgebracht werden.  Da kann ich aus dem Bonifatiuswerk viel berichten. Wir haben inzwischen seit 175 Jahren Erfahrungen mit einer Kirche in der Diaspora in Deutschland, Nordeuropa und im Baltikum. Dort sind die Ungleichzeitigkeiten sehr groß und die jeweiligen Situationen der Gläubigen könnten verschiedener nicht sein.

Monsignore Georg Austen und Erzbischof Rino Fisichella
Bild: ©Bonifatiuswerk

Monsignore Georg Austen mit dem Pro-Präfekten des Dikasteriums für Evangelisierung Erzbischof Rino Fisichella.

Frage: Was konnten Sie konkret aus Ihrer Arbeit bei den Beratungen des Dikasteriums einbringen?

Austen: Eine Herausforderung, die sich insbesondere in Deutschland immer wieder stellt, ist der große Vertrauensverlust in die Kirche. Auch die großen Um- und Abbrüche des kirchlichen Lebens sind eine wichtige Frage. Dazu gibt es in Deutschland Regionen, in denen bis zu 80 Prozent der Bevölkerung keiner christlichen Konfession angehören. Ich habe in Rom gesagt, dass wir Orte erleben, an denen Menschen vergessen haben, dass sie Gott vergessen haben. Wir müssen uns als Kirche fragen, wie diese Menschen von der christlichen Botschaft angerührt werden können. Oder in Nordeuropa: Dort gibt es eine materiell arme und wachsende Migrantenkirche, deren Mitglieder gerade über die Pfarreien eine Beheimatung in der Gesellschaft finden. Dazu kommen die Herausforderungen durch den Ukraine-Krieg, etwa im Baltikum. Ich habe zudem die Frage eingebracht, wie wir mit Menschen in einem Dialog bleiben können, die aus der Kirche ausgetreten sind – etwas, das in vielen anderen Ländern schlicht gar nicht möglich ist. Dazu bringen wir im September dieses Jahres ein Buch heraus. Es geht darin um die Frage, wie Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind, weiter pastoral begleitet werden können. Ich habe aber auch von unserer Unterstützung für innovative Ideen in der Kirche berichtet, etwa durch das bundesweite Förderprogramm "Räume des Glaubens eröffnen" des Bonifatiuswerkes.

Frage: Wie wurden Ihre Beiträge von den Dikasteriumsmitgliedern und Beratern aus anderen Regionen der Welt aufgenommen?

Austen: Es wird schon realistisch und nüchtern in der Weltkirche wahrgenommen, dass wir in Europa eine oftmals "ermüdete" Kirche haben. Aber wir müssen schauen, wo und wie wir miteinander lernen können. Ich habe die Reaktionen nicht als eine Wertung erlebt, sondern als eine Wahrnehmung der Realität gesehen. Wir sind als Weltkirche herausgefordert, mit der Spannung zwischen Realität und Ideal umzugehen. Umso wichtiger ist der Dialog untereinander, um gemeinsam einen Weg für die Zukunft der Kirche zu finden. Und da spielt die Evangelisierung eine tragende Rolle.

Frage: Wie würden Sie den Begriff Evangelisierung umschreiben? Und haben sich Ihnen durch die Tage im Vatikan vielleicht auch neue Nuancen mit Blick auf Evangelisierung erschlossen?

Austen: Bei allen Fragen, die sich uns als Kirche stellen, wird mir immer deutlicher, dass wir über unseren eigenen Kirchturm hinausblicken müssen. Wir können nicht nur mit der deutschen Brille auf die Weltkirche schauen. Bei allen Fragen, die zu Recht gestellt werden, müssen wir auch sehen, dass wir eine Kirche sind, die auf der ganzen Welt präsent ist. Das bedeutet, dass die Herausforderungen in Deutschland anders aussehen als die der Kirche etwa in Afrika oder auf den Philippinen. Diese Unterschiedlichkeit sollten wir wahrnehmen und uns gegenseitig bei der Bewältigung von Problemen helfen und auch Aufbrüche wertschätzen. Gleichzeitig müssen wir aber wissen, was die Substanz des Evangeliums ist – sozusagen sein Markenzeichen. Das ist besonders wichtig für die Verkündigung.

Frage: Ich habe die Ansprache des Papstes an die Teilnehmer des Treffens des Dikasteriums gelesen und dort bezeichnet er das von ihm geschaffene Katechetenamt als besonders wichtig für die Kirche. Er wünscht sich mehr junge Menschen in diesem Amt. In Deutschland spielt es aber keine große Rolle. Inwieweit ist es relevant für die Kirche in Deutschland, was im Dikasterium beraten wird, wenn die Themensetzung derart an der Realität der Kirche bei uns vor Ort vorbeigeht?

Austen: Wir können es uns in Deutschland noch – das sage ich ganz bewusst – leisten, mit vielen hauptberuflichen Mitarbeitern die Pastoral zu gestalten. Wir werden in Zukunft lernen müssen, dass es auch anders gehen muss. Ich finde es deshalb sehr interessant, dass der Papst sich nicht nur die älteren Gläubigen in der Katechese wünscht. Er traut auch den jungen Menschen zu, prophetisch wirken zu können. Das bedeutet aber auch, dass wir vermehrt Menschen dazu befähigen, auskunftsfähig über den Glauben zu werden. Auf anderen Kontinenten, etwa in Lateinamerika und Afrika, geschieht das schon weitaus mehr. Wenn ich an die Gemeinschaften und Verbände in der Kirche in Deutschland denke, haben wir dafür ein großes Potential. Das sollten wir ausbauen – und dabei können wir von anderen Teilen der Weltkirche viel lernen.

„Gleichzeitig wird es weniger hauptberuflich in der Pastoral tätige Gläubige geben – egal ob Priester oder etwa Gemeindereferentinnen und -referenten. Deshalb sind wir darauf angewiesen, dass viele Männer und Frauen von ihrem Glauben Zeugnis geben und die Inhalte des Glaubens weitergeben – und das nicht nur als Notnagel.“

—  Zitat: Monsignore Georg Austen

Frage: Meinen Sie, das neue Katechetenamt des Papstes könnte ein guter Baustein dafür sein? Denn in den deutschen Bistümern – mit Ausnahme von Regensburg – wurde es bislang kaum aufgegriffen.

Austen: Aber das haben wir in Deutschland de facto doch schon längst, wenn auch nicht in Form dieses Amtes. Wenn ich sehe, wie viele Ehrenamtliche sich etwa in der Vorbereitung auf die Erstkommunion oder Firmung in den Kirchengemeinden engagieren – natürlich mit Unterstützung der Hauptberuflichen. Dafür braucht es Ausbildung, Wertschätzung, aber auch das Bewusstsein, gemeinsam als Gläubige in der Kirche unterwegs zu sein. Ich weiß nicht genau, wie die Gestalt der Kirche in Deutschland in zehn Jahren aussehen wird, aber im Moment entstehen in vielen Bistümern immer größere Räume. Gleichzeitig wird es weniger hauptberuflich in der Pastoral tätige Gläubige geben – egal ob Priester oder etwa Gemeindereferentinnen und -referenten. Deshalb sind wir darauf angewiesen, dass viele Männer und Frauen von ihrem Glauben Zeugnis geben und die Inhalte des Glaubens weitergeben – und das nicht nur als Notnagel. Das sind gerade auch in der Diaspora wichtige Punkte. Die Kirche in Deutschland bewegt sich in ihrer Gänze in diese Richtung. Wir leben nicht nur in einer räumlichen Diaspora, sondern immer mehr auch in einer Glaubensdiaspora.

Frage: Was bedeutet das?

Austen: Glaubensdiaspora bedeutet, nominell zur Kirche zu gehören, aber den Glauben nicht zu praktizieren. Das erleben Sie auch in Bayern oder im Rheinland, also den vermeintlich noch sehr katholischen Regionen in Deutschland.

Frage: Wie haben Sie Franziskus bei seiner Ansprache erlebt?

Austen: Man merkt schon, dass der Papst im Moment gesundheitlich angeschlagen ist. Aber das Thema Evangelisierung brennt ihm unter den Nägeln, das merke ich immer wieder, wenn ich Franziskus treffe. Nicht umsonst steht er dem Dikasterium für Evangelisierung vor. Wir Berater hatten kurz Gelegenheit, einzeln mit dem Papst zu sprechen, und dabei habe ich ihn auf das 175-jährige Jubiläum des Bonifatiuswerkes hingewiesen. Vom Libori-Tusch aus Paderborn auf einer Klappkarte war er besonders angetan, wenn auch überrascht. (lacht)

Frage: Wie sieht Ihre weitere Arbeit als Konsultor des Dikasteriums aus? Wie oft treffen Sie sich mit den Mitgliedern und anderen Beratern?

Austen: Wir sind im Austausch miteinander und treffen uns im kommenden Jahr im Rahmen des Heiligen Jahres in Rom als Missionare der Barmherzigkeit, zu denen ich als Priester auch zähle. Ich nehme an, dass die nächste Vollversammlung dann wieder in zwei Jahren stattfinden wird. Das Programm des Heiligen Jahres ist sehr spannend. Es sollen viele unterschiedliche Gruppen nach Rom eingeladen werden: Von Gefangenen über Künstler bis hin zu Priestern – eine große Spannbreite. Das wird sicher eine große Herausforderung sowohl für den Vatikan als auch die Stadt Rom. Man muss aber auch fragen, inwieweit das, was dort geschehen wird, auch für die Gläubigen eine Bedeutung hat, die nicht nach Rom kommen können. Ich weiß nicht, wie der Vatikan und die Ortskirchen diese Aufgabe umsetzen werden.

Von Roland Müller