Stadt Trier und Pfarrei Liebfrauen schließen historischen Vertrag

Warum die Kirche nach 435 Jahren auf Zinsen eines "Hexers" verzichtet

Veröffentlicht am 07.04.2024 um 12:00 Uhr – Von Steffen Zimmermann – Lesedauer: 

Trier ‐ 435 Jahre musste die Stadt Trier Zinsen für den Kredit eines als Hexenmeister verurteilten Mannes an die katholische Kirche in der Moselstadt bezahlen. Doch damit ist jetzt Schluss: Stadt und Kirche haben sich auf ein Ende der Zahlungen geeinigt. Katholisch.de erklärt die historischen Hintergründe.

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Als Dietrich Flade am 18. September 1589 auf einem Scheiterhaufen vor den Toren Triers verbrannte, ahnte wohl keiner seiner Zeitgenossen, dass sein Tod für die Stadt an der Mosel jahrhundertelange Konsequenzen nach sich ziehen würde. Im Gegenteil, vermutlich vergaßen die meisten Trierer ihren einstmals hochgeachteten, dann aber umso tiefer gefallenen Mitbürger ziemlich schnell, schließlich war die Tötung vermeintlicher Hexen und Hexenmeister – als solcher war Flade zuvor verurteilt worden – damals in ganz Europa grausamer Alltag.

Tatsächlich aber wurde erst jetzt, nach sage und schreibe 435 Jahren, das letzte noch offene Kapitel aus Flades Leben abgeschlossen. Mitte März einigten sich Vertreter der Stadt Trier und der Trierer Innenstadtpfarrei Liebfrauen in einem historischen Schritt auf einen Vertrag, nach dem die katholische Gemeinde auf die ihr eigentlich zustehende jährliche Zahlung von 362,50 Euro Zinsen aus dem Nachlass Flades – und damit aus dem Haushalt der klammen rheinland-pfälzischen Kommune – verzichtet.

Warum stand die Stadt bis jetzt in der Schuld der Pfarrei?

Um zu verstehen, warum die Stadt bis jetzt in der Schuld der Pfarrei stand, muss man ein wenig in die Geschichte Triers und das Leben Dietrich Flades eintauchen. Dieser war Mitte des 16. Jahrhunderts lange Zeit einer der angesehensten und einflussreichsten Bürger Triers. Flade war Doktor beider Rechte, am Reichskammergericht in Speyer tätig, danach Vize-Schultheiß von Trier und damit ein wichtiger Beamter. Später wurde er vom Trierer Kurfürsten und Erzbischof zum kurfürstlichen Rat ernannt und vertrat seinen Dienstherren auf Reichstagen. 1571 stieg Flade zum Stadtschultheiß auf, bald darauf wurde er Professor und wenige Jahre später Rektor der Trierer Universität. Höhepunkt seiner Laufbahn war 1581 die Ernennung zum kurfürstlichen Statthalter. Daneben wirtschaftete Flade mit seinem Einkommen und der Mitgift seiner Frau so gut, dass er bald als reichster Mann Triers galt.

Der Dom Sankt Petrus und die Liebfrauenkirche in Trier.
Bild: ©KNA/Julia Steinbrecht

Seine Heimatstadt Trier (im Bild der Dom und die Liebfrauenkirche) war das Zentrum des Wirkens von Dietrich Flade. Hier wurde er außerdem der Hexerei bezichtigt und hingerichtet.

Dieser Reichtum ermöglichte es ihm auch, dem Rat der Stadt Trier 4.000 Goldgulden – nach heutiger Kaufkraft eine Millionensumme – zu leihen. Die Stadt brauchte das Geld, um vor dem Reichsgericht einen Prozess auf Reichsunmittelbarkeit führen zu können. Doch der Versuch, damit die Herrschaft des Kurfürsten abzuschütteln und Freie Reichsstadt zu werden, scheiterte. Flade dürfte das gelegen gekommen sein, denn obwohl er der Stadt den Kredit gewährt hatte, hatte er im Prozess den Kurfürsten unterstützt. Deshalb stand er gegenüber der Stadt nun als doppelter Gewinner da, denn die hatte nicht nur den Prozess verloren, sondern stand aufgrund des geliehenen Geldes auch finanziell tief in seiner Schuld.

Ob Flade deshalb allmählich die Gunst der Mächtigen verlor, ist nicht belegt. Allerdings dürfte er sich als mächtiger Kreditgeber in seiner Heimatstadt nicht nur Freunde gemacht haben. Hinzu kam, dass Europa zur selben Zeit vom Höhepunkt der Kleinen Eiszeit heimgesucht wurde und die dadurch ausgelösten extrem kalten Winter und verregneten Sommer zu häufigen Missernten und damit zu Lebensmittelknappheit führten. Dafür suchten die Menschen Schuldige. Auch dies könnte ein Grund dafür sein, dass Flade – der als privilegierter Stadtbewohner kaum von den Krisen seiner Zeit betroffen gewesen sein dürfte – sich 1587 erstmals dem lebensgefährlichen Vorwurf der Hexerei ausgesetzt sah.

Vom strengen Richter zum Gerichteten

Als bald darauf weitere Vorwürfe gegen Flade aufkamen – unter anderem wurde ihm vorgeworfen, eine Prozession von Hexen und Zauberern angeführt zu haben, die Unwetter heraufbeschworen und mit Schnecken die Ernte vernichtet hätten –, wurde er schließlich am 4. Juli 1588 auf Befehl des Kurfürsten verhaftet. In den folgenden Monaten unternahm er zwei erfolglose Fluchtversuch, ehe er im Frühjahr 1589 nach mehrmaliger Folter in einem Prozess als Hexenmeister verurteilt und zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt wurde. Immerhin: Auf seine Bitte hin wurde das Todesurteil noch abgemildert. Statt qualvoll zu verbrennen, strangulierte man ihn zuerst, ehe sein Leichnam dann auf dem Scheiterhaufen landete. Ein standesgemäßes Begräbnis, wie es Flade angesichts seiner Biografie eigentlich zugestanden hätte, blieb ihm wie anderen verurteilten Hexen verwehrt; seine Asche wurde verstreut.

Mit seiner Verurteilung als Hexenmeister und seinem Tod auf dem Scheiterhaufen ereilte Flade – auch wenn er als einflussreicher und wohlhabender Mann ein ungewöhnliches Opfer war – dasselbe Schicksal wie Tausende andere Menschen in der damaligen Zeit. Schätzungen gehen davon aus, dass allein im Heiligen Römischen Reich rund 28.000 Menschen – dreiviertel davon Frauen – als angebliche Hexen und Hexenmeister grausam hingerichtet wurden. Auch Dietrich Flade war zu seinen Lebzeiten als Hexenrichter tätig gewesen und dabei mit aller Strenge gegenüber Angeklagten aufgetreten und für zahlreiche Todesurteile im Raum Trier verantwortlich, ehe er am Ende selbst ein Gerichteter wurde.

Bild: ©Wissenschaftliche Bibliothek/Anja Runkel

Das historische Dokument zeigt die Verfügung von Kurfürst Johann von Schönenberg, mit der er den Kredit und die Zinsforderung nach dem Tod Dietrich Flades an die damaligen Trierer Innenstadtpfarreien übertrug.

Nach Flades Tod fiel der Schuldschein über die 4.000 Goldgulden an den als Erben eingesetzten Kurfürsten. Und der verfügte, dass die Stadt die Zinsen für den Kredit "zur Aufbesserung des Pfarrersgehalts" künftig an die fünf katholischen Innenstadtpfarreien zahlen sollte. Und weil diese Verpflichtung nie beendet, sondern im Laufe der Jahrhunderte lediglich die Summe an die jeweils gültige Währung angepasst wurde, fand sich im Haushalt der Stadt Trier bis zuletzt stets der Unterposten "Verpflichtungen aus dem Fladeschen Nachlass". Zur Aufbesserung des Pfarrersgehalts wurde die jährliche Summe von 362,50 Euro allerdings schon lange nicht mehr verwendet, stattdessen kam das Geld nach Angaben der Pfarrei sozialen Zwecken zugute.

Trotz Vertrag: Die Stadt Trier wird die Zinsen weiterbezahlen

Und zumindest das wird auch nach dem Vertragsschluss von Mitte März so bleiben. Wie Stadt und Pfarrei in einer gemeinsamen Erklärung mitteilten, wird die Stadt "im Gedenken an die Opfer der Hexenverfolgung" künftig "den gleichen Betrag jährlich für soziale oder karitative Zwecke einer gemeinnützigen Institution spenden". Das Geld solle jeweils an eine Organisation gehen, die in der Stadt Trier tätig sei und sich für Opfer von Verfolgung, Diskriminierung und Gewalt einsetzte. Wer das Geld bekommt, soll den Angaben zufolge jährlich im Einvernehmen zwischen Stadt Trier und der Pfarrei Liebfrauen bestimmt werden. "Für beide Seiten ist diese Regelung ein guter Weg, um an Opfer historischen Unrechts zu erinnern und zeitgemäß mit dem Erbe des Dr. Dietrich Flade umzugehen", sagte der zuständige Trierer Kulturdezernent Markus Nöhl.

Doch warum hat die Pfarrei Liebfrauen gerade jetzt auf die ihr zustehenden Zinsen verzichtet? Immerhin hatte sie laut Medienberichten noch vor einigen Jahren gegenüber dem damaligen Trierer Oberbürgermeister Klaus Jensen (SPD) mit Nachdruck auf die Fortsetzung der Zahlungen bestanden. Auf Nachfrage von katholisch.de will der zuständige Pfarrer Marcus Nicolay dazu nicht ins Detail gehen. Er teilt lediglich mit: "Den heute in der Pfarrei Verantwortlichen erschien es nach Abwägung aller Argumente angebracht, jetzt so zu entscheiden und hier einen Schlussstrich zu ziehen." Dies sei den Verantwortlichen in der Pfarrei umso leichter gefallen, als die gefundene Lösung die bisher Begünstigten nicht schlechter stelle. "Bisher hat die Pfarrei den jährlichen Zinsertrag caritativen Zwecken zugewandt, jetzt tut dies die Stadt Trier", so Nicolay.

Von Steffen Zimmermann