Johannes Röser über Glaube und Gesellschaft

Kirchenreform braucht Glaubensreform

Veröffentlicht am 29.05.2015 um 00:01 Uhr – Von Johannes Röser – Lesedauer: 
Standpunkt

Bonn ‐ Johannes Röser über Glaube und Gesellschaft

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Religion ist Privatsache? Das wurde dem Christentum gesellschaftlich "verordnet". Das haben die Christen gehorsam verinnerlicht. Es gibt kaum noch Gelegenheiten, bei denen ihr Glaube öffentlich in Erscheinung tritt. Ein wenig noch bei Katholikentagen oder evangelischen Kirchentagen. Oder an Fronleichnam. Aber selbst dann wagen etliche Pfarrgemeinden kaum noch die Prozession über die großen Straßen und Plätze der Städte. Vielfach zieht man inzwischen über "Schleichwege" oder versammelt sich in kircheneigenen "Hinterhöfen", um nur ja nicht aufzufallen, um nur ja nicht den Alltagsverkehr zu stören. Ich bekenne … ?

Einst war das große Bekenntnis der Kirchgang am Sonntag, am Tag der Hoffnung auf Auferstehung, zu Wochenbeginn. Doch davon haben sich die Getauften in überwältigender Mehrheit verabschiedet. Sogar Geistliche meinen angesichts des Besucherschwunds bereits, die Feier der Eucharistie oder des Abendmahls sei gar nicht so wichtig. Christsein entscheide sich vielmehr im Gutes-tun. Solche Selbstvertröstung, die das epochale Ausmaß des Glaubensverlustes verschleiert, ist jedoch nichts anderes als Opium des Kirchenvolkes wie des Klerus.

Stattdessen zieht man sich auf "Lebensthemen" zurück und redet sich in Rage über Kirche und Sex, Kirche und Geschiedene, Kirche und Homosexuelle, Kirche und Flüchtlinge, Kirche und Kurienreform … Aber dabei handelt es sich um Ablenkungsmanöver davon, daß der Glaube in seinem Kern selber brüchig geworden ist, weil er den evolutiven, wissenschaftlichen Erkenntnissen von Sein und Zeit, Gott und Welt nicht mehr standhält. Denn wenn es "Gott" tatsächlich gibt, muß er ganz anders sein, als "man" ihn sich vorstellt. Der Öffentlichkeitsverlust des Christlichen gründet im Glaubwürdigkeitsverlust seiner Vorstellungen.

Das aber heißt: Es ist nichts so dringlich wie eine Glaubensreform, eine Weiterentwicklung des Gottesverständnisses, des Christusverständnisses, des sakramentalen Verständnisses gemäß den aufregenden Erkenntnissen unserer Welterfahrung: angesichts des Wunders des Daseins wie der Katastrophe der Sterblichkeit. Nichts anderes spiegelt sich im Sakrament der Eucharistie, des Abendmahls so dicht wie diese existentielle Erschütterung und Unruhe angesichts von Leben und Tod, Materie und Geist.

Nicht als spießig-bürgerlicher Tag der Ruhe, sondern als Tag der Unruhe wäre der Sonntag wieder zu erkunden und zu feiern, wie es die frühen Christen taten. Öffentlich, in einem Glaubensbewußtsein, das die überholten magischen und mythologischen Sichtweisen von Dogma, Liturgie und Frömmigkeit hinter sich läßt und tiefer gräbt nach dem innerlich-öffentlichen Geheimnis des Glaubens, nach einer modernen Mystik moderner Leute: Christus gestern für heute - und morgen.

Der Autor

Johannes Röser ist Chefredakteur der katholischen Wochenzeitschrift "Christ in der Gegenwart".

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Von Johannes Röser