Der Pontifex plaudert aus dem Konklave und den Jahren danach

Darüber spricht Papst Franziskus im neuen Interview-Buch

Veröffentlicht am 05.04.2024 um 00:01 Uhr – Von Ludwig Ring-Eifel (KNA) – Lesedauer: 

Vatikanstadt ‐ Wieder hat der Papst ein langes Interview gegeben. Wieder ist es ein Buch geworden. "El sucesor" enthält etliche Neuigkeiten – nicht nur über Franziskus' Zerwürfnis mit Erzbischof Georg Gänswein, sondern auch über den Synodalen Weg.

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Unzählige Interviews hat Papst Franziskus in den vergangenen elf Jahren gegeben. Manche dieser Gespräche wurden zur Grundlage für Bücher, wie die unlängst erschienene sogenannte Autobiografie "Leben – Meine Geschichte in der Geschichte". Nicht mal einen Monat danach kam in der Osterwoche, zunächst nur auf Spanisch, das nächste Interview-Buch auf den Markt. In "El sucesor" (Der Nachfolger) schildert der spanische Journalist Javier Martinez-Brocal auf der Grundlage langer Gespräche mit dem Papst dessen Sicht der heiklen Phase des Nebeneinanders von regierendem und zurückgetretenem Papst im Vatikan von 2013 bis 2022.

Mehr als ein Jahr nach den weltweit erfolgreichen Memoiren des ehemaligen Benedikt-Sekretärs Georg Gänswein verbreitet der Papst nun seine Sicht auf das zehnjährigen "Zusammenleben zweier Päpste". Martinez berichtet in dem Buch auch, wie Franziskus mit ihm gemeinsam an dem Buch arbeitete und wie er immer wieder seine Blickwinkel und Perspektiven in das Werk einbrachte. Das ermöglicht dem Leser, Autor und Papst gewissermaßen bei der Arbeit am Buch über die Schulter zu schauen und macht das Werk besonders spannend.

Erzbischof Georg Gänswein bei einem Gottesdienst
Bild: ©KNA/Paolo Galosi/Romano Siciliani

Erzbischof Georg Gänswein kommt in dem neuen Interview-Buch nicht gut weg.

Inhaltlich betonen Martinez und Franziskus vor allem die Kontinuität im Denken beider Päpste. Dadurch ergibt sich ein anderes Gesamtbild als in Gänsweins Memoiren, in dem auch von einigen offenen und von manchen unausgesprochenen Konflikten die Rede war. Martinez unterfüttert dies durch Hinweise auf Schriften des deutsch-italienischen Religionsphilosophen Romano Guardini (1885-1968), der das Denken beider Päpste entscheidend geprägt habe. 

Neben dem Miteinander der beiden Männer in Weiß kommen aber auch zahlreiche andere Begebenheiten der vergangenen 20 Jahre zur Sprache – manche erstmals und manche mit neuen, überraschenden Details. Einige davon ragen besonders heraus.

Details aus dem Konklave 2005

Besonders spannend sind die Auskünfte über die Papstwahlen von 2005 und 2013, über die der Papst als einziger ohne Androhung von Kirchenstrafen freimütig berichten kann. Franziskus erzählt, wie er in dem Konklave, das am Ende Ratzinger zum Papst wählte, zunächst für zwei Wahlgänge als "Zählkandidat" für die fortschrittlichen Gegner von Kardinal Ratzinger benutzt wurde. So erhielt er rund ein Drittel der Stimmen als "Verhinderungskandidat". Dann aber winkte Kardinal Bergoglio ab, und Ratzinger wurde mit seiner Unterstützung Papst. "Ratzinger war mein Kandidat", erzählt er und fügt hinzu, dass die Zeit für sein eigenes Pontifikat damals noch nicht reif gewesen wäre.

Details aus dem Konklave 2013

Zum Konklave 2013 enthüllt Franziskus, dass er die alles entscheidende "Bewerbungsrede" beim Vorkonklave gar nicht schriftlich konzipiert, sondern spontan nach einem Gespräch entwickelt habe. In der Rede hatte er davon gesprochen, dass die Kirche sich von ihrer Konzentration auf sich selbst lösen und wieder rausgehen müsse zu den Menschen und ihren existenziellen Nöten.

Erstmals berichtet Franziskus auch, dass der italienische Kardinal Scola, der sein stärkster Konkurrent im Konklave war, am Ende gesagt habe: "Stimmt für Bergoglio!" Franziskus führt ferner aus, die ersten Schritte und Gesten als Papst seien ihm spontan eingefallen. Dazu gehörte die Wahl des Namens Franziskus, der Verzicht auf ausschmückende Kleidungsstücke und das Gebet für den Vorgänger mit den Menschen auf dem Petersplatz.

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Der spannendste Moment im Vatikan, sagen Beobachter, ist die Papstwahl. Doch auch sonst geht vom kleinsten Staat der Welt eine große Faszination aus. Wie ist es, dort zu leben? Was offenbaren die vatikanischen Archive? Wir schauen hinter die Kulissen.

Audio: © Gabriele Höfling

Neue Konklave-Regeln

Medienspekulationen über eine grundlegende Reform der Konklave-Regeln werden in "El Sucesor" pauschal dementiert. Er habe 2005 und 2013 erlebt, dass die Papstwahl nach den geltenden Normen gut funktioniere und sehe keinen dringenden Bedarf für Veränderungen, erklärt Franziskus. Zugleich schließt er nicht aus, dass einige Details geändert werden sollten. Auch sein Vorgänger Benedikt XVI. hatte das von Johannes Paul II. im Jahr 1996 erlassene Regelwerk "Universi dominici gregis" nur an einigen wenigen Punkten verändert.

Das Zerwürfnis mit Gänswein

Auf sein Zerwürfnis mit Gänswein geht der Papst an mehreren Stellen ein. Franziskus bestätigt, dass er bereits nach dem Streit um das Buch von Kardinal Robert Sarah zum Thema Zölibat im Jahr 2020 Gänswein aufgefordert habe, um seine Entpflichtung vom Amt des Präfekten des Päpstlichen Hauses zu bitten. Über Sarah sagt er, es sei möglicherweise ein Fehler gewesen, ihn zum Chef der Liturgie-Abteilung zu machen. Der afrikanische Kardinal sei eigentlich ein guter Mann, doch sei er in seiner vatikanischen Rolle möglicherweise "verbittert".

Harte Worte findet der Papst über Gänsweins Buch "Nichts als die Wahrheit", aus dem Anfang Januar 2023 erste Auszüge durchsickerten, noch bevor Benedikt XVI. begraben war. Franziskus warf dem ehemaligen Papstsekretär in diesem Kontext einen Mangel an Anstand und Menschlichkeit vor.

Meinungsverschiedenheiten mit Benedikt XVI.

Der Papst betont, dass er mit seinem Vorgänger Benedikt XVI. in den ersten Jahren über alles freimütig habe reden können. Später sei der Austausch infolge der Altersschwäche Benedikts selten geworden. Manchmal habe der ehemalige Papst angemerkt, dass er eine Entscheidung des Nachfolgers nicht verstehe, dann habe Franziskus sie ihm erklärt.

Mögliche Divergenzen deutet er an zwei Stellen an. So sagt er, dass der Vorgänger vielleicht manche Dinge anders sah, dies aber nicht zum Ausdruck gebracht habe. Und er räumt ein, dass er mit Benedikt XVI. nicht über die bei konservativen Katholiken sehr umstrittene Entscheidung zur Einschränkung des alten Messritus im Juli 2021 gesprochen habe. Der Vorgänger hatte im Jahr 2007 noch das genaue Gegenteil beschlossen und die alte lateinische Messe als gleichberechtigten Ritus in der gesamten katholischen Kirche zugelassen.

Ein Ministrant in einer Messe in der vorkonziliaren Form
Bild: ©KNA-Bild

Bei der Neuregelung zur vorkonziliaren Messform stimmte sich Franziskus nicht mit seinem Vorgnger ab.

Das Ende der mächtigen Privatsekretäre

In Bezug auf päpstliche Privatsekretäre sagt Franziskus unmissverständlich, dass er selbst keinen "allmächtigen Sekretär" mehr haben wolle. Anders als Benedikt XVI. und Johannes Paul II., deren jeweilige Sekretäre sehr einflussreich waren, beauftrage er nur noch Sekretäre für die Dauer von einigen Jahren. Schon als Erzbischof in Argentinien habe er bemerkt, dass manche Bischöfe bei ihren Reisen nach Rom Geschenke für den Papstsekretär einpackten. Dies zeige eine Fehlentwicklung.

Die Vereinfachung der Papst-Begräbnisfeier

Drastische Veränderungen hat der Papst für das eigene und wohl auch für künftige Papstbegräbnisse verfügt. Benedikt XVI. sei der letzte Papst gewesen, dessen Leichnam im Vatikan auf einem Katafalk offen aufgebahrt wurde, erklärt Franziskus. Auch weitere Rituale hätten er und der Zeremoniar für das nächste Papstbegräbnis bereits gestrichen. Er selbst wolle unmittelbar nach dem Requiem im Vatikan in die Basilika Santa Maria Maggiore übergeführt und dort beigesetzt werden.

Der Synodale Weg in Deutschland

Das Reformprojekt deutscher Katholiken gehörte laut Franziskus zu den Themen, über die sich auch Benedikt XVI. Sorgen machte. Er habe mit seinem Vorgänger darüber gesprochen und ihm den Brief gezeigt, den er 2019 eigenhändig an das "pilgernde Gottesvolk in Deutschland" schrieb. Benedikt XVI. habe das Werk als sehr wichtig und sehr tiefgründig gelobt.

Eine Regenbogenfahne hängt am Turm der Kirche Sankt Paul in München
Bild: ©KNA/Robert Kiderle

Auch zum Segensdokument "Fiducia supplicans" äußert er sich.

Mitschuld am Wirbel um "Fiducia supplicans"

Franziskus meint, die innerkirchlichen Konflikte könnten besser gelöst werden, wenn die Beteiligten mehr miteinander sprechen. Er sage immer: "Stellt Fragen, sprecht miteinander und trag die realen Probleme nach Rom – und nicht die vermuteten Probleme."

Den Segnungsstreit nach der Erklärung "Fiducia supplicans" schmerze ihn ein wenig; er räumt auch eigene Schuld dabei ein: "Vielleicht versteht man nicht, dass ich so unordentlich bin, denn ich bin unordentlich. Ich müsste vorsichtiger in diesen Dingen sein." Zugleich betont er: "Aber ein Papst kann nicht statisch sein, die Kirche ist unterwegs und der Papst ist mit der Kirche auf dem Weg."

Der Rücktritt als Möglichkeit

Zu Spekulationen um die wahren Rücktrittsgründe von Papst Benedikt XVI. erklärt Franziskus, sein Vorgänger sei "wegen seiner Aufrichtigkeit" zurückgetreten, er habe überhaupt nicht an der Macht gehangen. Nun sei diese Tür geöffnet. Die Möglichkeit habe schon immer bestanden, aber Benedikt habe sie geöffnet. Und über sich selbst sagt Franziskus: "Manche fragen mich, ob ich die Absicht habe, zurückzutreten. Es ist eine mögliche Möglichkeit, aber im Moment habe ich noch nicht die Notwendigkeit verspürt."

Von Ludwig Ring-Eifel (KNA)