Auf der Suche nach einem neuen Kardinalvikar für Rom
Eine Personalentscheidung von Papst Franziskus hat in dieser Woche für Aufsehen gesorgt: Das Kirchenoberhaupt versetzte den bisherigen Generalvikar seines Bistums Rom, Kardinal Angelo De Donatis, am Samstag in den Vatikan. Dort ist De Donatis ab sofort als Großpönitentiar für die Fragen rund um Beichte, Sündenvergebung und Ablass zuständig. Für De Donatis dürfte die Versetzung auf diesen Posten keine Beförderung bedeuten. Ganz im Gegenteil: Für viele Vatikan-Beobachter ist klar, dass Franziskus sich seines Kardinalvikars entledigen wollte. Der Kardinal leitet fortan die Apostolische Pönitentiarie, eine päpstliche Verwaltungsbehörde, die als ein Gerichtshof des Vatikan aufgebaut ist und deren Aufgabe etwa in der Absolution von kirchenrechtlichen Straftaten oder der Gewährung von Dispensen besteht. Im Großen und Ganzen besitzt das Amt des Kardinalgroßpönitentiars also keine kirchenpolitische Bedeutung.
Die Gründe für die Abberufung sind unter anderem wohl in der Person des 70-jährigen Kirchenmannes zu suchen – und das, obwohl De Donatis zu Beginn des Pontifikates von Franziskus eine steile Karriere hingelegt hat. Bei dem ersten Zusammentreffen der beiden nach der Chrisammesse 2013 muss der aus Süditalien stammende Pfarrer, der über Jahrzehnte Aufgaben im Vikariat Rom ausgeübt hat, den argentinischen Pontifex stark beeindruckt haben: Franziskus beauftragte den früheren Spiritual des Priesterseminars in Rom damit, die Fastenexerzitien für die römische Kurie 2014 zu halten. Ein Jahr später ernannte der Papst den damaligen Pfarrer einer Kirche im historischen Zentrum Roms zum Weihbischof seiner Diözese und weihte ihn persönlich in der Lateranbasilika. 2017 wurde De Donatis schließlich Generalvikar im Bistum des Papstes und ein Jahr später zum Kardinal erhoben.
Doch mit der Corona-Pandemie scheint das sich Verhältnis zwischen dem Papst und seinem Kardinalvikar spürbar verschlechtert zu haben: Nach nur einem Tag musste De Donatis im März 2020 eine Verfügung zur Schließung der Kirchen in Rom zurückziehen, nachdem Franziskus in einer Predigt zu harsche Eindämmungsmaßnahmen gegen Covid kritisiert hatte. 2021 ordnete der Papst eine Wirtschaftsprüfung des Vikariats Rom an. Zuletzt wirkte De Donatis, als würde er mit Blick auf die Missbrauchsvorwürfe gegen den früheren Jesuitenkünstler Marko Rupnik zu spät und zu zögerlich vorgehen. Rupnik war als Ordensmann zwar nicht in der Diözese Rom inkardiniert, sein geistliches Zentrum mit Werkstatt ist dem Vikariat aber seit 2019 als kanonischer Verein unterstellt. Zudem warf der Kardinalvikar im Jahr 2022 den Medien vor, "das Gottesvolk durch Berichte über diesen Skandal zu verwirren", und wandte sich gegen eine Vorverurteilung Rupniks. Der slowenische Priester, dem mehrere Ordensfrauen vorwerfen, sie sexuell ausgenutzt zu haben, wurde inzwischen von seinem Orden ausgeschlossen, offiziell wegen seiner Weigerung zum Gehorsam gegenüber den Ordensoberen.
Aber nicht nur De Donatis wurde am vergangenen Wochenende auf einen neuen Posten versetzt, auch eine weitere Führungsperson des Vikariats Rom "beförderte" der Papst nun in den Vatikan. Franziskus ernannte den römischen Weihbischof Daniele Libanori zu seinem Beauftragten für das Ordensleben – ein Amt, das es bis dahin im Vatikan noch nicht gab. Der 70-jährige Libanori gehört wie Franziskus dem Jesuitenorden an und war als Weihbischof zuständig für die Seelsorge im römischen Stadtzentrum. Im Klerus der Stadt galt er als Mann mit starkem Durchsetzungswillen, der eher auf Befehle und weniger auf Konsens setzte. Libanori spielte jedoch eine zentrale Rolle in der teilweisen Aufklärung des Skandals um Rupnik. Sein neues Amt als Beauftragter für das Ordensleben könnte mit seinem Einsatz im Fall des slowenischen Priesters zusammenhängen.
Trotz allem scheinen die wahren Beweggründe für die Versetzung der beiden Bischöfe vom römischen Vikariat an die päpstliche Kurie nicht im Verhältnis von Franziskus zu den Kirchenmännern zu liegen. Vielmehr dürfte die Reform der Leitungsstrukturen im Bistum Rom, die der Papst im Januar vergangenen Jahres verfügt hat, den Ausschlag für die nun getroffenen Personalentscheidungen gegeben haben. Damals hatte Franziskus mit der Apostolischen Konstitution "In ecclesiarum communione" ("In der Gemeinschaft der Kirchen") die Verwaltung des nichtvatikanischen Teils der Diözese Rom reformiert. Seitdem muss der Papst in alle wichtigen pastoralen, administrativen und wirtschaftlichen Entscheidungen eingebunden werden. Der Kardinalvikar erstattet ihm vor bedeutenden Änderungen und Initiativen Bericht, was in dieser Form zuvor nicht galt. Bis dahin übte der Vertreter des Bischofs von Rom in dessen Namen und Auftrag die episkopale Leitungsfunktion aus. "In ecclesiarum communione" betont jedoch, dass der Papst selbst der Diözese Rom vorsteht und lediglich aufgrund des "umfangreichen Engagements, das die Leitung der Weltkirche erfordert", umfassende Unterstützung in der Führung seiner Diözese benötigt.
Franziskus will personellen Neuanfang im Vikariat Rom
Durch diese Reform will Franziskus das Vikariat Rom langfristig missionarischer und synodaler machen, wie er in der Apostolischen Konstitution schreibt. Das römische Bistum solle zu einem "geeigneten Werkzeug für die Evangelisierung der heutigen Welt" werden, im Gegensatz zu nur auf Selbsterhaltung ausgerichteten Strukturen, wie sie nach Ansicht von Franziskus wohl zuvor bestanden. Konkret bedeutet das eine Stärkung des Bischofsrats, dem die sechs Weihbischöfe der Diözese angehören, gegenüber dem Kardinalvikar, der seitdem offiziell nur noch als Generalvikar bezeichnet wird. Außerdem beschloss der Papst, dass in allen Pfarreien der Diözese Rom ein Pfarrgemeinderat eingerichtet werden soll und dem Wirtschaftsrat des Vikariats auch sachkundige Laien angehören können. Wie Franziskus Synodalität versteht, wird in den Bestimmungen zu seiner Diözese weiterhin dadurch deutlich, dass er für sich als Oberhirte umfangreiche Kompetenzen in Anspruch nimmt – so wie es für einen Diözesanbischof normal ist. Dazu zählen etwa die Genehmigung pastoraler Leitlinien, des Haushalts und der Ernennung von Pfarrer sowie der Auswahl von Weihekandidaten. Ob im Bischofsrat anwesend oder nicht: Ohne Franziskus geht in seinem Bistum seit vergangenem Jahr kaum etwas – eine echte Neuerung zum vorherigen Zustand. Und eine problematische noch dazu, denn als Oberhaupt der Weltkirche hat der Papst bereits so viele Termine, Aufgaben und Pflichten, dass die Sorge um seine Diözese dabei eigentlich nur zu kurz kommen kann.
Kritiker werfen Franziskus deshalb auch Herrschsucht und mangelnde Bereitschaft zum Delegieren von Aufgaben vor – so ziemlich das Gegenteil von dem, was man unter Synodalität verstehen muss. Es kann gemutmaßt werden, dass sich der Kardinalvikar und vielleicht auch Weihbischof Libanori damit schwergetan haben, dass der Papst in seinem Bistum nun die Zügel in der Hand halten will. In jedem Fall sah Franziskus die Zeit für einen personellen Neuanfang gekommen. Aufgrund der für viele Beobachter überraschenden Personalentscheidung war jedoch von einer "Enthauptung" des Vikariats Rom die Rede. Und in er Tat: Bislang hat der Papst noch keinen Nachfolger für De Donatis präsentieren können. Bislang führt der sogenannte "Vizegerent", Weihbischof Baldassare Reina, übergangsweise die Amtsgeschäfte als Stellvertreter des Papst-Stellvertreters.
Ein Bistum, zwei Vikariate – die Diözese Rom
Das Bistum Rom besteht aus einem vatikanischen und einem italienischen Teil, für die jeweils ein Vikariat zuständig ist, das in der Regel von einem Generalvikar im Kardinalsrang geleitet wird. Das Vikariat Rom umfasst den Teil außerhalb des Vatikan, das Vikariat Vatikanstadt das Territorium des Kirchenstaats. Das Vikariat Rom wurde seit 2017 bis 2024 von Kardinal Angelo De Donatis geleitet, dem Vikariat Vatikanstadt steht der Erzpriester des Petersdoms vor, derzeit Kardinal Mauro Gambetti. Die Konstitution "In ecclesiarum communione" ersetzte 2023 die bisherige Ordnung, die von Papst Johannes Paul II. 1998 mit der Apostolischen Konstitution "Ecclesia in Urbe" ("Die Kirche in der Stadt [Rom]") in Kraft gesetzt wurde. Mit seiner Konstitution regelte Franziskus die Zuständigkeit der Weihbischöfe seines Bistums neu, der Weihbischof Baldassare Reina wird künftig "Vizegerent", eine Funktion, die vergleichbar mit dem Generalvikar in anderen Bistümern ist.
Der richtige Mann für die Leitung des Vikariats Rom scheint schwer zu finden zu sein. Deshalb teilte das Bistum Rom am Montag mit, dass Franziskus sich Zeit nehmen werde, um zu einer guten Unterscheidung zu gelangen, wer De Donatis nachfolgen könne. "Wegen der besonderen Bedeutung der Aufgabe des Kardinalvikars", heißt es als Begründung. Zuvor hatte sich der Papst mit dem Bischofsrat seiner Diözese getroffen und die Weihbischöfe dazu ermutigt, in der Übergangsphase die bereits begonnenen "pastoralen und administrativen Tätigkeiten fortzusetzen". Ein Hinweis darauf, dass ein neuer römischer Generalvikar erst in ferner Zukunft ernannt werden wird?
Als aussichtsreiche Kandidaten gelten unter Vatikanisten neben dem derzeitigen Vizegerenten Reina vor allem zwei Oberhirten mit einer Vergangenheit als römische Weihbischöfe: Zum einen Kardinal Augusto Paolo Lojudice, der seit fünf Jahren Erzbischof in Siena ist. Und zum anderen der aktuelle Vorsitzende der Italienischen Bischofskonferenz, Kardinal Matteo Zuppi. Der Erzbischof von Bologna wurde in den vergangenen Jahren immer wieder als "papabile" bezeichnet, erscheint vielen also als möglicher Papst-Kandidat in einem nächsten Konklave. Bevor er 2015 nach Bologna versetzt wurde, erlangte Zuppi als Kaplan der karitativ ausgerichteten Gemeinschaft Sant’Egidio Bekanntheit. Für die Bewegung soll er ab 1990 immer wieder zwischen den Konfliktparteien des jahrzehntelangen Bürgerkriegs in Mosambik vermittelt haben.
Wer auch immer die Nachfolge von De Donatis übernehmen mag, steht vor keiner leichten Aufgabe. Der künftige Kardinalvikar wird die von Franziskus verfügten Reformen im Vikariat Rom umsetzen und daher auch mittragen müssen. Dabei kommt sicherlich auch der Vermittlungsarbeit zwischen dem Papst, dem römischen Bischofsrat, dem Stadtklerus und den Gläubigen der Diözese eine wichtige Bedeutung zu. Immens sind auch die Aufgaben rund um das Heilige Jahr 2025, das in etwa acht Monaten in Rom beginnt und viele Millionen Pilger und Touristen motiviert, in die Ewige Stadt zu reisen. Hinzu kommen die immer noch nicht umfänglich aufgearbeitete Causa Rupnik, die sinkenden Einnahmen des Bistums Rom, die Kürzungen in der Verwaltung nach sich ziehen werden, und der Prozess im Vatikan um den italienischen Blogger Marco Felipe Perfetti, dem Verunglimpfung des Papstes und Geheimnisverrats vorgeworfen werden. Perfetti hatte mutmaßliche Missstände im Vatikan, aber auch im Bistum Rom angeprangert. Diese und weitere Herausforderungen machen das Amt des Kardinalvikars aktuell nicht unbedingt zu einem Wohlfühlposten in der Kirche.