Standpunkt

Päpste sollten weniger in den Spiegel und mehr durchs Fenster schauen

Veröffentlicht am 15.04.2024 um 00:01 Uhr – Von Werner Kleine – Lesedauer: 

Bonn ‐ Die jüngste Vatikan-Erklärung "Dignitas infinita" widmet sich kaum biblischen Perspektiven, kritisiert Werner Kleine. Stattdessen stünden in dem Dokument 116 Fußnoten, von denen sich der größte Teil in päpstlicher Selbstredundanz übe.

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Das religiöse Wissen scheint in der modernen Gesellschaft noch nicht ganz verloren zu sein. Jedenfalls hat das RTL-Singspiel "Die Passion" vor Ostern durchaus zu emotionalen Reaktionen geführt. Freilich konnte man in Großaufnahme nicht nur die Ergriffenheit derer sehen, die in Kassel dem Live-Musik-Event folgten. Man sah auch, wie das Volk auf Regieanweisung die Freilassung des Barabbas und laut schreiend die Kreuzigung Jesu forderte. Dabei hätte man doch auch die Gelegenheit gehabt, die Freilassung Jesu zu fordern! Freilich ist das nicht vorgesehen. Die Geschichte der Menschheit wäre anders verlaufen ...

Nicht nur in Kassel wurde die Geschichte nicht neu geschrieben. Auch in der Kirche als solcher ändert sich wenig. Allen Forderungen nach einer "ecclesia semper reformanda" zum Trotz soll alles bleiben, wie es ist. Das kann man auch an der aktuellen Vatikan-Erklärung "Dignitas infinita" sehen. Natürlich definiert sich die Kirche dort als Garant der Menschenwürde, obschon die Gottebenbildlichkeit doch schon in der jüdischen Bibel ihren Ursprung hat. Ganze zwei Absätze widmen sich den biblischen Perspektiven. Irgendwas mit Jesus muss halt sein. Demgegenüber stehen 116 Fußnoten, von denen sich der größte Teil – angefangen mit Paul VI. - in päpstlicher Selbstredundanz übt. Da ist also offenkundig seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil viel mehr passiert als zu biblischen Zeiten. In der Tat gibt die Bibel keine direkten Hinweise zu neuzeitlichen Fragen wie der Gender-Theorie oder der Sterbehilfe. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Päpste doch mehr Vollmacht haben, als sie gerne zugeben.

Die Binde- und Lösegewalt (vgl. Mt 18,18) impliziert genau das: Auf neue Fragen müssen neue Antworten und für neue Probleme neue Lösungen gefunden werden. Die selbstreferentielle Fußnotenflut vatikanischer Einlassungen zeigt allerdings, dass die Päpste das eher mit einem Blick in den Spiegel tun und nicht mit einem durch das Fenster in die Welt von heute. Was allerdings bleiben soll, wie es ist, wird weniger werden. Irgendwas mit Jesus reicht deshalb genau so wenig, wie theologische Pirouetten, in denen man sich selbst umkreist. Der Botschaft Jesu immer neu Gestalt in neuen Zeiten und neuen Räumen zu geben, bleibt eine unaufgebbare Herausforderung. Offenkundig hat er diese Vollmacht doch erteilt!

Von Werner Kleine

Der Autor

Dr. Werner Kleine ist Pastoralreferent im Erzbistum Köln und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.