Beirat im Erzbistum sieht noch Verbesserungsbedarf

Ein Jahr Freiburger Missbrauchsbericht: Betroffene ernüchtert

Veröffentlicht am 18.04.2024 um 00:01 Uhr – Von Volker Hasenauer (KNA) – Lesedauer: 

Freiburg ‐ Hunderte Betroffene und Täter, Vertuschung durch frühere Erzbischöfe: Der Expertenbericht zu Missbrauch erschütterte vor einem Jahr das Erzbistum Freiburg. Der Betroffenenbeirat sieht Handlungsbedarf für schwer traumatisierte Betroffene.

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"Für die meisten Betroffenen hat sich in ihrer persönlichen Wahrnehmung zwölf Monate nach Veröffentlichung der Studie zu Missbrauch durch Priester und Seelsorger im Erzbistum Freiburg wenig zum Positiven verändert." Zu dieser ernüchternden Bilanz kommt der Betroffenenbeirat im Erzbistum Freiburg.

Zwar habe der vor genau einem Jahr (18. April) vorgelegte 600-seitige Bericht die Öffentlichkeit und die Katholiken aufgeschreckt und erschüttert, weil er die Dimension von sexualisierter Gewalt und deren jahrelanger Vertuschung schonungslos offenlegte. "Aber die Verantwortlichen haben seitdem nicht gefragt, wie es den Betroffenen mit dem Bericht ergangen ist und welche Wünsche zur Unterstützung sie nun haben", sagte ein Mitglied des Beirats am Freitag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Erst auf Initiative des Beirats wird nun beispielsweise die Zusammenarbeit mit externen Beratungsstellen gesucht. Ihren Namen möchte die seit Jahren in der Arbeit für Betroffene engagierte Beirätin nicht öffentlich nennen.

"Sicher, dass es heute keine Vertuschung mehr geben kann"

Gleichzeitig würdigt die Beiratssprecherin, dass die katholische Kirche im Südwesten bei Aufarbeitung, Prävention und Hilfen für Betroffene viel erreicht hat. "Ich bin sicher, dass es heute keine Vertuschung mehr geben kann, wie sie Betroffene über Jahrzehnte erleiden mussten. Ich kenne mehrere Fälle, in denen die Kirchenleitung jetzt konsequent und schnell reagiert hat."

Auch dass das Erzbistum Freiburg Betroffene in finanziellen Notlagen monatliche mit bis zu 800 Euro finanziert, sei bundesweit einzigartig und für viele Personen sehr hilfreich, betont die Sprecherin.

Bild: ©katholisch.de/ Madeleine Spendier (Symbolbild)

Bei Aufarbeitung, Prävention und Hilfen für Betroffene habe das Erzbistum Freiburg viel ereicht, heißt es aus dem Betroffenenbeirat. Doch es gebe weiter viel zu tun.

Zuletzt habe der Betroffenenbeirat die Zusage der Bistumsleitung erhalten, diese Zahlungen fortzuführen. Auch die Kosten für Therapien werden weiter übernommen. "Auch dann, wenn die Therapeuten nicht von den Krankenkassen approbiert sind, was beispielsweise bei Heilpraktikern oft der Fall ist."

Bundesweit fehlt es an Traumatherapeutinnen und -therapeuten. Betroffene müssen oft lange auf einen Therapieplatz waren. "Wichtig wäre deshalb, wieder eine erste Anlaufstelle zur Überbrückung von Wartezeiten zu schaffen. Bis im vergangenen Jahr stand dazu eine Psychotherapeutin bereit, die aber jetzt im Ruhestand ist."

Akuter Hilfebedarf

Sehr positiv würdigt die Sprecherin die Bereitschaft des Erzbistums, in den kommenden Wochen im Rahmen einer "Hilfekonferenz" ein Treffen zu organisieren, bei dem es darum gehen wird, wie Betroffene von kirchlichem Missbrauch dezentral und in Zusammenarbeit mit externen Beratungsstellen Hilfen finden können.

Wie akut der Hilfebedarf weiter ist, zeigt die Schilderung der Sprecherin, wonach mehrere Betroffene nach Veröffentlichung des Missbrauchsberichts vor einem Jahr erneut in einen psychischen Ausnahmezustand kamen. "Es hat sie retraumatisiert, schwarz auf weiß das nachzulesen, was ihnen widerfahren ist. Und auch zu sehen, wie sie jahrelang keine Chance hatten, weil das System Kirche die Täter schützte und den Opfern nicht glaubte. Mehrere liefen Gefahr, sich deshalb das Leben zu nehmen".

Eindringlich fordert der Beirat eine weitere Studie, die sich mit den psychologischen und seelischen Folgen von Vertuschung und Verschleierung von Missbrauchstaten in der Kirche befasst. "Betroffene mussten sich oft über Jahrzehnte als Lügner und Nestbeschmutzer fühlen. Sie rannten gegen Mauern. Niemand glaubte ihnen. Was hat diese Täter-Opfer-Umkehr mit den Betroffenen gemacht? Dazu gibt es in ganz Deutschland keine Studie. Das muss sich schnell ändern", fordert die Sprecherin.

Robert Zollitsch, emeritierter Erzbischof vom Freiburg
Bild: ©KNA/Harald Oppitz (Archivbild)

Das Gutachten belastete den früheren Erzbischof Robert Zollitsch schwer.

Und auch das von der katholischen Deutschen Bischofskonferenz beauftragte bundesweite Verfahren, bei dem Missbrauchsbetroffene in Anerkennung ihres Leids Gelder erhalten können, müsse transparenter werden, kritisiert die Sprecherin. "Positiv ist aber, dass zuletzt höhere Geldsummen gezahlt wurden. Wohl auch unter dem Eindruck von mehreren Zivilprozessen gegen Bistümer mit hohen Schmerzensgeldforderungen von Betroffenen."

Unabhängige Experten hatten den Freiburger Missbrauchsbericht am 18. April 2023 veröffentlicht. Die Untersuchung analysierte beispielhaft 24 Fälle aus der Zeit von 1945 bis in die Gegenwart. Die vier Autoren hatten Zugang zu allen Personalakten der Priester des Erzbistums. Zusätzlich werteten sie Protokolle der diözesanen Leitungsrunde aus. Schließlich wurden 180 Zeugen befragt - darunter Betroffene und Beschuldigte.

Schweres Fehlverhalten von Saier und Zollitsch

Der Bericht sprach von mindestens 540 Missbrauchsopfern und mehr als 250 nachweislich schuldigen oder des Missbrauchs beschuldigten Priestern seit 1950. Die Studie dokumentierte insbesondere schweres Fehlverhalten im Umgang mit den Fällen vor allem bei den früheren Freiburger Erzbischöfen Oskar Saier (1978-2002) und Robert Zollitsch (2003-2013). Ihnen wird vorgeworfen, Verbrechen vertuscht, Täter geschützt und Betroffenen nicht geholfen zu haben.

Eine kirchenrechtliche Anzeige gegen Zollitsch liegt seit mehr als zwei Jahren in Rom. Bislang ohne jede Reaktion und ohne Kommentar des Vatikans. Der Betroffenenbeirat bezeichnet dies als skandalös.

Von Volker Hasenauer (KNA)