Anonym, aber notwendig: Über Sinn und Unsinn von Großpfarreien
"Mich anonymisieren Sie aber bitte, sonst bekomme ich Ärger mit meinem Bischof." Es ist einer der letzten Sätze im Gespräch mit Andreas Volker, der natürlich nicht so heißt. Er ist pastoraler Mitarbeiter in einer Großpfarrei in Deutschland und sieht das Konstrukt einigermaßen kritisch. "Es ist anonymer geworden, da findet viel weniger Kommunikation statt", sagt er. Damit ist er nicht allein – obwohl Großpfarreien oder ähnlich riesige Kircheneinheiten mit mehreren zehntausend Gläubigen unter verschiedenen Namen bundesweit seit Jahren entstanden sind und weiter entstehen. Die Kritik an ihnen reißt nicht ab. Sind sie also überhaupt eine gute Idee?
Eine gute Adresse für diese Frage hat in diesen Tagen eine 0761 vorneweg, die Freiburger Telefonvorwahl. Denn in dem südwestdeutschen Erzbistum arbeitet man gerade an einer groß angelegten Pfarreienreform, die die Zahl der Einheiten dramatisch verringern soll: von 1.000 Einzelpfarreien in 200 Seelsorgeeinheiten auf nur noch 36 Pfarreien ab 2026 – mit zum Teil über 100.000 Katholiken pro Pfarrei. Damit ist die Diözese nicht allein. Auch etwa in Trier, Köln, Essen, Speyer oder Aachen geht man ähnliche Wege. Die flächenmäßig größte Pfarrei befindet sich in Mecklenburg-Vorpommern. Die Gründe für die Schaffung der Großpfarreien nennt der Freiburger Generalvikar Christoph Neubrand beim Namen: Weniger Gläubige, weniger Ehrenamtliche, weniger pastorale Mitarbeitende, weniger Geld. "Das bisherige Pfarreisystem trägt nicht mehr."
Deshalb müssen weniger Hauptamtliche – und darunter vor allem weniger Priester – größere Flächen bespielen. Der Rückzug aus der Fläche ist einer der Hauptkritikpunkte von Andreas Volker. "Früher kam die Oma ins Pfarrbüro, um eine Messe für ihren toten Ehemann zu bestellen. Das dauerte fünf Minuten. Aber dann saß sie noch zwanzig Minuten da, weil sie auch über ihre Trauer sprechen wollte. Das war direkte Kommunikation, ein großes Pfund für uns als katholische Kirche." Doch durch die Schaffung von Großpfarreien gibt es die meisten Pfarrbüros nicht mehr. "Zwar stehen unsere Telefonnummern als Hauptamtliche überall. Aber das ist eine Hürde, die Leute wollen uns auch nicht die Zeit stehlen. Da geht viel Kommunikation verloren."
"Keine Kirchesein ohne Ehrenamtliche"
Ähnlich sieht das auch Bastian Franken, der im nordrhein-westfälischen Bad Münstereifel ein Jugendangebot aufbaut. Durch die Schaffung von Großpfarreien gehe "viel lokale Identität verloren", sagt er. Religionssoziologe Michel N. Ebertz ergänzt: "Der Grund für die Pfarreizusammenlegungen ist in allererster Linie der Priestermangel, da eine Pfarrei immer von einem Priester geleitet werden muss. Es geht also um die Erhaltung einer bestimmten Art von Organisation, nicht um die Bedürfnisse der Gläubigen."
Das möchte Generalvikar Neubrand so nicht stehen lassen. "Ohne Ehrenamtliche wird es in der Zukunft kein Kirchesein vor Ort mehr geben", sagt er. Denn die Zahl der Hauptamtlichen nehme ab, bei Priestern wie Nicht-Priestern. "Deshalb ist klar: Wir können nicht mehr das gesamte Angebot an jedem Ort machen." Er setzt auf verschiedene Dimensionen von Glaubensvermittlung, die an unterschiedlichen Orten präsent sein sollen: Schulen, Kindergärten, Altenheime etwa. "Innerhalb der Pfarreien wird es sehr bunt sein. An manchen Orten wird es viele Angebote geben, wenn sich die Menschen engagieren. An anderen wird es sich auf die liturgische Dimension beschränken. Unter Gemeinde verstehen wir: Liturgie, Verkündigung, Caritas und die Erfahrung von Gemeinschaft. Kirchort nennen wir es, wenn nur eine dieser Dimensionen vor Ort erfahrbar ist."
Eine Pfarrei, das sind vor allem liturgische Vollzüge – dieses Bild herrscht noch oft vor. Zu Unrecht, sagt Heribert Hallermann, emeritierter Würzburger Professor für Kirchenrecht. "Das ist eigentlich das Kirchenbild des 19. Jahrhunderts, wo Gläubige Objekte der Seelsorge waren, nicht Subjekte. Das hat das Zweite Vatikanische Konzil überwunden." Dies hielt im Dekret "Presbyterium ordinis" über Dienst und Leben der Priester 1965 fest: "Die Hirtenaufgabe beschränkt sich aber nicht auf die Sorge für die einzelnen Gläubigen, sondern umfasst auch wesentlich die Bildung einer echten christlichen Gemeinschaft." (PO 6) Die Einzelgemeinde dürfe "nicht nur die Sorge für die eigenen Gläubigen fördern, sondern muss, von missionarischem Eifer durchdrungen, allen Menschen den Weg zu Christus ebnen". Es gehe also darum, dass nicht mehr nur der Priester federführend handele, sondern die Gläubigen dazu führe, dass sie selbst aktiv werden, so Hallermann. "Verkündigung, das heißt in Deutschland oft Predigt oder Katechese. Dabei soll jeder Gläubige verkünden. Kirche ist nicht da, wo ein Hauptamtlicher ist, sondern wo Menschen authentisch ihren Glauben leben."
Die Schatten der Vergangenheit
Die Ehrenamtlichen sind einer der springenden Punkte bei der Pfarrei der Zukunft. Doch auch da sind die Schatten der Vergangenheit weit: Es ist nicht einfach, die Menschen für ehrenamtliches Engagement zu gewinnen, sagt Neubrand. "Oft ist es so, dass wir für manche Dienste nicht nur keine hauptamtlichen Ressourcen mehr haben, sondern auch keine ehrenamtlich Engagierten", sagt Neubrand. Das Ehrenamt verändere sich, es werde zeitgebundener und weniger langfristig. "Darauf wollen wir reagieren, etwa indem wir die Verwaltungslast Haupt- und Ehrenamtliche verringern."
Es gibt also viele Dissonanzen bei der Schaffung der neuen Großpfarreien, nicht zuletzt durch das Bild der Vergangenheit. "Da neigen wir dazu, die Vergangenheit zu idealisieren", gibt Hallermann zu bedenken: "Stellen wir uns das nochmal kurz vor: Da ist ein Pfarrer, der alle Zügel in der Hand hält, der alles bestimmt – das will doch eigentlich auch keiner." Die zahlreichen kleinen Pfarreien seien Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts gegründet worden, um Geistliche mit Pfründen zu versorgen. "Mit der geringen personellen Ausstattung waren die nie in der Lage, ein vollumfängliches Kirchesein zu ermöglichen." Er sagt deshalb: Pfarreien zusammenlegen, das sei mehr als notwendig. "Mehr als 5.000 Gläubige sollten es auf jeden Fall sein." Um die Pfarrei der Zukunft aber am Bild des Konzils zu orientieren, müsste auch in der Ausbildung des Personals noch einiges geändert werden. "Eine aktivierende Pastoral muss anders aufgestellt sein als eine begleitende."
Linktipp: St. Bernhard – Eine Großpfarrei auf der Suche nach ihrer Identität
Anfang 2020 wurde in Vorpommern mit St. Bernhard die flächengrößte Pfarrei Deutschlands errichtet. Wie hat sie sich seither entwickelt? Wie gehen Pfarrer und Gläubige mit den großen Entfernungen um? Und wie steht es um das Gemeinschaftsgefühl in der Großpfarrei? Katholisch.de hat sich umgehört.
"Es ist auch das Bild der Pfarrfamilie der 1970er und 1980er Jahre, von dem wir uns emanzipieren müssen", meint Neubrand. Statt dem Bild der Seelsorgenden als Gute Hirten brauche es unter anderem selbstbewusste Gremien, die eigene Impulse setzen. "Kirche ist nicht erst dort, wo wir als Kirche alles anbieten, sondern wo Menschen diese Welt aus dem Evangelium Jesu Christi gestalten wollen." Das soll nicht zuletzt dadurch ermöglicht werden, dass sich die Hauptamtlichen vor Ort deutlich mehr um die Aktivierung von Ehrenamtlichen kümmern. Die Verwaltung in den Pfarreien soll durch eigens dafür bestellte hauptberufliche Fachkräfte verantwortet werden.
Dazu sollen auch neue Entwicklungen in den Blick genommen werden. "Die meisten Besucher meiner Gottesdienste am Samstagabend sind mittlerweile über das Fernsehen dabei", erzählt Neubrand. Da habe Corona viel eröffnet, was vorher undenkbar gewesen sei. Damit das gelingt, sagt Neubrand: "Wir brauchen Kommunikation, Kommunikation und nochmals Kommunikation. Es gibt viele Ängste der Menschen, denen müssen wir mehr begegnen." An der Notwendigkeit dieser Strukturreform hält er jedoch fest: "Ich habe zur Gründung von Einheiten dieser Größe noch keine tragfähige Alternative gehört."
Die vielen geschlossenen Pfarrbüros werden also nicht wieder eröffnen. Dass es die nicht mehr gebe, sei immer noch nicht ganz verdaut bei den Gläubigen vor Ort, sagt Andreas Volker. "Der Seelsorger um die Ecke fehlt. Aber wir können nicht überall sein." Die Großpfarreien sind, obwohl es sie zum Teil seit vielen Jahren gibt, noch nicht ganz angekommen in den Köpfen – weder der Gläubigen noch der haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden. Alle Teile der Pfarreien müssen also noch ein gutes Stück an sich arbeiten.