Der katholisch.de-Selbstversuch: Quer durch Deutschland in 72 Stunden
Von Donnerstag 17:07 Uhr bis Sonntag 17:07 Uhr fand die 72-Stunden-Aktion des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) mit über 80.000 Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen statt. 2.720 Gruppen organisierten bundesweit soziale, politische und ökologische Projekte. Auch international waren dem BDKJ zufolge 40 Gruppen aktiv: in Amerika, Asien, Afrika und im europäischen Ausland. Katholisch.de hat dreizehn Orte der 72-Stunden-Aktion zwischen Bodensee und Hannover besucht. Ein Reisebericht.
Donnerstag, 16:58 Uhr, Friedrichshafen (Baden-Württemberg) – Innenstadt: Sebastian Schmidt, Aaron Sternagel und Lars Wolfsdörfer sind gespannt – in 9 Minuten erfahren die Messdienerleiter, welches Projekt sie die nächsten 72 Stunden am Bodensee beschäftigen wird. "Hoffentlich wird es draußen sein", sind die Jungs sich einig. Ihre Chancen stehen gut: Sie haben vor ein paar Tagen die Info bekommen, wetterfeste Kleidung und Werkzeug bereitzuhalten. Sebastian, Aaron und Lars bekommen einen XXL-Luftballon – darin ist ihre Überraschungsaufgabe für die nächsten Tage versteckt. Noch ein paar Minuten, dann dürfen sie ihn aufstechen. Die Aufregung steigt.
Donnerstag, 17:30 Uhr, Friedrichshafen (Baden-Württemberg) – Stadtrand: Sebastian, Aaron und Lars sitzen im Gruppenraum der Pfarrei St. Columban. Vor ihnen ein Kuvert mit den Infos für ihr Projekt. Sie telefonieren mit ihren Leiterrundenkollegen. "Entfernt im Stadtwald Friedrichshafen Äste und Geäst von den Wegen und baut damit fünf Landart-Objekte" steht auf ihrem Aufgabenzettel. Sebastian hat schon einmal gegoogelt was "Landart" ist. "Das ist ja spannend", sagt er und zeigt seinen Kollegen Bilder von kleinen Kunstwerken aus Holz und Zweigen. Die Ministranten klären Treffpunkt und Ablauf des ersten Aktionstags am Freitag und bereiten ihr Bettenlager im Pfarrheim vor. Die nächsten Tage werden sie dort schlafen.
Donnerstag, 19:30 Uhr, Altshausen (Baden-Württemberg): Benedikt Hermle steht am Beckenrand. Im Übungsbecken der Grund- und Hauptschule Altshausen schwimmen fünfzehn Jugendliche der DLRG-Ortsgruppe. Eigentlich gehört die DLRG nicht zum BDKJ, aber Hermle kennt die 72-Stunden-Aktion aus seiner KjG-Zeit. Seine KjG-Gruppe gibt es nicht mehr – also hat er seinen Schwimmkollegen vorgeschlagen, in diesem Jahr bei der BDKJ-Aktion mitzumachen. Eine Projektidee war schnell gefunden: "Wir machen das, was wir am besten können – schwimmen!", sagt Hermle. In den nächsten Tagen schwimmen verschiedene Gruppen der DLRG, der örtlichen Schulen und Freunde für einen guten Zweck. Pro geschwommenen 500 Metern gibt es Spenden von lokalen Firmen. "Am Ende wollen wir mit dem Geld einen barrierefreien Zugang zu unserem Schwimmteich-Freibad im Ort finanzieren", erklärt Hermle das Ziel. Nach zwei Stunden kamen schon mehr als dreißig Kilometer zusammen – das entspricht etwa 300 Euro Spenden. Hermle ist zufrieden. Bis Sonntag wollen sie über 250 Kilometer schwimmen – ob das erschwommene Geld dann für einen neuen Zugang zum Freibad reicht, weiß er noch nicht. "Aber unser Bürgermeister hat versprochen, den Fehlbetrag beizusteuern", verrät er. Dann springt er ins Becken und zieht seine Bahnen.
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Freitag, 9:44 Uhr, Villingen-Schwenningen (Baden-Württemberg): Marie und Jenna hantieren mit einer Leiter. Sie sind Firmlinge in St. Fidelis Villingen und verlegen ein Kabel vom Pfarrhaus in die Kirche – denn dort soll es jetzt Internet geben. Das haben sich die Firmlinge gewünscht. Die Firmlinge gestalten während der 72-Stunden-Aktion ihre eigene Jugendkirche. Dafür räumen ihre Mitfirmlinge gerade Bänke aus dem Kirchenschiff. "Das mussten wir beim Bistum genehmigen lassen", sagt Karin Matthäus vom Pfarrteam. Die Kirche hatte bis gestern Bänke für 600 Personen. Jetzt leert sie sich, denn ab Sonntag können Gottesdienstbesucher auf Palettenmöbeln und Sitzsäcken Platz nehmen. Im Vorfeld der Aktion haben die Jugendlichen in Workshops die Kirche erkundet, ihre Lieblingsorte markiert; überlegt, welche Orte anderen wichtig und heilig sein könnten und ein neues Raumkonzept entworfen. Ihre Umbauten bleiben erstmal bis zum Sommer. Dann entscheidet die Gemeinde, ob sie den Barbereich im Seitenschiff, die verschiedenen Sitzmöglichkeiten und den Altar im Zentrum der neuen Sitzordnung beibehalten wollen.
Freitag, 15:30 Uhr, Konz (Rheinland-Pfalz): Wegen eines Regenschauers muss die Jugendgruppe des Jugendtreffs Wasserliesch früher Feierabend machen. Bis eben haben sie Graffiti gegen Hass und Hetze gestaltet. Vor dem Jugendraum liegt der Geruch von frischer Farbe in der Luft. Weltkugel, Herzen und Friedenssymbole prangen jetzt an der Mauer. Die AfD sei ein großes Thema im Ort, erzählen die Jugendlichen. Am Vormittag hatten sie einen Stadtrundgang gemacht und die Stolpersteine des Ortes besucht. Celine Morawe, die Jugendarbeiterin des Ortes, erzählt von rechtsradikalen Schmierereien in der Gemeinde. Mit der 72-Stunden-Aktion möchte sie sensibilisieren. Die Jugendlichen zeigen großes Interesse: Für Samstag haben sie sich vorgenommen, mehr als hundert Wörter an die Wand ihres Jugendtreffs zu sprühen. Gefragt welche ihnen besonders wichtig sind, ruft einer "Black lives matter", eine andere "Friede" und aus einer Ecke kommt "Gleichheit".
Freitag, 21:30 Uhr, Meckenheim (Nordrhein-Westfalen): Nele und Clara liegen in ihren Schlafsäcken. Sie knabbern Salzstangen und Gummibärchen. Auf der Leinwand im Pfarrsaal läuft der Film "Raus aus dem Teich". Seit Donnerstag sind die beiden mit ihrer Schützenbruderschaft in den Räumen der Gemeinde St. Jakobus. Tagsüber richten sie den Pfarrgarten her. Heute wurde eine Marienfigur restauriert und Bänke abgeschliffen – die Arbeitsstiefel und matschigen Turnschuhe neben der Eingangstür zeugen von schlechtem Wetter im Rheinland. Nele und Clara waren auch schon 2019 bei der 72-Stunden-Aktion dabei. Da waren sie neun und fünf Jahre alt. "Diesmal übernachten wir auch. Das ist cooler", sagen sie. Dann ist der Film vorbei – die ersten schlafen schon, während der Rest der Gruppe im Gänsemarsch zum Zähneputzen läuft.
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Samstag, 11:11 Uhr, Bochum (Nordrhein-Westfalen): Mehr als fünfzehn Jugendliche in grünen T-Shirts steigen in die Straßenbahn. Die Aktionsgruppe der KjG Christkönig Bochum ist auf dem Weg in den Baumarkt. Mit ihren 72-Stunden-Shirts dürfen sie kostenlos mit Bus und Bahn durch das Ruhrgebiet fahren. Eigentlich wollten sie schon längst unterwegs sein, aber der WDR hat einen Reporter für ein Live-Interview vorbeigeschickt. Jetzt müssen sie sich aber sputen, denn es ist noch viel zu tun: Am Vortag haben die Jugendlichen Skizzen von Seifenkisten erstellt. Vier Gruppen gehen am Sonntag rund um die Kirche auf die Piste. Von den Seifenkisten gibt es bisher nur zwei Räder, eine Achse und ein paar Schrauben. Jetzt müssen Seile, Verbindungsbretter und ein Sitz für jede Seifenkiste gekauft werden. Eine Gruppe braucht noch einen Schirm – sie trauen dem Aprilwetter dieser Tage nicht.
Samstag, 11:15 Uhr, Bochum (Nordrhein-Westfalen): Im Pfarrgarten der Bochumer Christkönigskirche arbeiten Lara, Emil und Ole. Sie gehören zum Team des BDKJ-Stadtverbands Bochum/Wattenscheid – und haben etwas Stress, denn dort wo jetzt noch Wurzeln und Erdhaufen liegen sollen in 25 Stunden die Seifenkisten der KjG Christkönig ihre Runden drehen. Doch das ist nicht die einzige Baustelle des Teams: Sie haben ihre Jugend- und Büroräume ausgeräumt, eine neue Theke eingebaut und streichen gerade die Heizkörper der Räume.
Samstag; 12:57 Uhr, Holzwickede (Nordrhein-Westfalen): Till begutachtet Pflanzkübel auf dem Parkplatz der städtischen Flüchtlingsunterkunft in Holzwickede. Hinter den Holzhäusern buddelt ein Kleinbagger Brombeerwurzeln aus dem Hang – das sei die größte Herausforderung ihrer Aktion, sagt KjG-Leiter Robin Laußmann. Die KjG Holzwickede hat am Donnerstag die Aufgabe bekommen, hier ein Gemüsebeet für Flüchtlingsfamilien anzulegen. Dabei haben sie einiges an Hilfe organisieren können: Den Bagger hat eine Firma kostenfrei zur Verfügung gestellt – und KjG-Mitglied Noah hat einen Baggerführerschein.
Samstag, 15:30 Uhr, Hannover (Niedersachen): Die Aktionsgruppe "Tabor" hat Feierabend. Sie hatten verschiedene Kuchen gebacken und eine Kaffeetafel vor der Bahnhofsmission in Hannover aufgebaut. Die Aktion lief so gut, dass sie zwei Stunden früher Schluss gemacht haben.
Samstag, 17:35 Uhr Hildesheim (Niedersachsen): Bei Raphael Sauer stellt sich etwas Entspannung ein. "Als ich nach dem Einkaufen den riesigen Haufen Holz gesehen habe, habe ich gedacht 'Oh Gott, wie soll daraus irgendetwas werden'. Aber jetzt scheint alles gut zu werden", sagt er. Für Lukas Feise war der Samstagvormittag ein Wendepunkt: "Heute Morgen, als wir angefangen haben aufzubauen, war für mich der Wow-Moment, dass wir stolz sein können, was wir bewirken." Feise und Sauer bauen mit der Kolpingjugend Hildesheim einen Präsentations- und Informationsanhänger für den Fairtrade-Händler "El Puente". Hinter der Kirche montieren einige Jugendliche der Gruppe gerade ein Holzgestell auf einen Anhänger, nebendran schraubt Emma an einem Regal, auf dem später die Fair-Trade-Waren präsentiert werden können. Die Jugendlichen haben "El Punte" bei deren 50-jährigen Jubiläum vor zwei Jahren kennengelernt. Bei der Suche nach einer Aktion für die 72-Stunden-Aktion fiel ihnen ein, dass dem Verein ein mobiles und repräsentatives Informations- und Verkaufsangebot fehlt. Also machten sie sich an die Planung. Als sie die Verantwortlichen dann mit ihren Ideen besuchten, war die Überraschung groß: "Wir waren wirklich überrascht wie professionell und gut vorbereitet die Jugendlichen waren", sagt Thorsten Montag vom El-Puente-Vorstand. Als die Jugendlichen sagten, dass keiner von ihnen professioneller Handwerker sei, habe er es nicht glauben wollen, gibt Montag zu. Während er von den Plänen mit dem Anhänger erzählt, fängt es wieder an zu regnen. Sauer bringt schnell die frisch gestrichenen Holzteile in den Pfarrsaal und der Rest der Gruppe schiebt den Anhänger samt Holzgestell unter ein Gartenzelt.
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Sonntag, 11:06 Uhr, Enningerloh (Nordrhein-Westfalen): "Marion" steht auf dem großen Kieselstein, den Jan Wallert durch den Garten trägt und in eine Nische stellt. Auf dem Steinvorsprung nebendran steht auf einem Stein "Frank". "Frank kannte ich", sagt Wallert. "Er ist 2023 gestorben." Wallert lebt im Christopherus-Haus Enningerloh, einem Wohnheim für Menschen mit Behinderungen der Caritas. Während der 72-Stunden-Aktion entsteht im Garten der Wohnanlage eine Begegnungsstätte zur Erinnerung an verstorbene Heimbewohner. "Die Bewohner können hier Kerzen und Erinnerungsstücke aufstellen", sagt Heiner Aufderheide, während er die nächste Reihe roter Backsteine setzt. Er ist Bauunternehmer und verantwortet das Projekt. "Wir werden sicher nicht fertig heute um 17:07 Uhr", gibt er zu. Aber das sei auch nie geplant gewesen, denn ein Bauprojekt dieser Größe brauche deutlich mehr Zeit. Aufderheide freut sich aber, dass er jetzt zusätzliche Hilfe der Messdienerleiterrunde Enningerloh und der Heimbewohner im Rahmen der 72-Stunden-Aktion bekommt. "Ohne sie wäre ich sicher noch nicht so weit gekommen", sagt er. Hinter ihm steht Nele Schulte im Matsch. Sie setzt gerade einen weiteren der rund 2500 Backsteine in die Erinnerungswand. "Mir macht die Arbeit Spaß", sagt sie. Es sei schön mit den Bewohnern ins Gespräch zu kommen – zwei von ihnen kenne sie schon länger, denn sie sind Teil der Messdienergruppe. Einer von ihnen ist Franz Josef Bredeick. Er steht auf der etwas weniger nassen Wiese gegenüber und klopft mit einem spitzen Hammer alten Mörtel von einem Backstein. "Man muss sich daran gewöhnen, dass Mitbewohner sterben", sagt er. Die Erinnerungswand werde ihm sicher dabei helfen. Plötzlich leert sich die umtriebige Baustelle – im Foyer des Wohnheims kamen gerade unzählige Pizzakartons für das Mittagessen an.
Sonntag, 15:10 Uhr, Duisburg (Nordrhein-Westfalen): Rene Ketzer räumt die Spülmaschine aus. Er ist Pfarrleiter der KjG Friemersheim. Langsam beginnen im Pfarrheim der Gemeinde St. Matthias die Aufräumarbeiten des 72-Stunden-Aktions-Food-Festivals. "Wir haben ein vegetarisch-veganes Buffet gemacht", erzählt Ketzer und räumt Tellerstapel nach Tellerstapel in den Schrank. 100 Burgerpatties hatten sie gebraten, drei liegen noch auf dem Buffet. In den vergangenen Tagen haben sich die Gruppenleiter mit den Kindern Gedanken über ihre Lieblingsrezepte gemacht, einen Bauernhof besucht und gekocht. Noch sehen Küche und Buffet aus wie ein Schlachtfeld, doch zwei Stunden bleiben noch bis Ende der Aktion.
Sonntag, 16:42 Uhr, Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen): Lena Bloemacher öffnet die Tür der 72-Stunden-Aktions-Zentrale in Düsseldorf. Die BDKJ-Bundesvorsitzende ist gerade in Düsseldorf angekommen. Wie andere Leitungspersonen der Jugendverbände war sie die vergangenen Tage in Deutschland unterwegs und hat Aktionsgruppen besucht. "Ich habe fast alle Verkehrsmittel – außer ein Flugzeug – benutzt", sagt sie und geht in das Düsseldorfer Jugendhaus.
Sonntag 17:06 Uhr, Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen): "Noch eine Minute", ruft Luca Rusch in den Raum. Er hat als Projektreferent die Aktion in der Düsseldorfer BDKJ-Zentrale verantwortet. "Was ist dann?", fragt jemand zurück. "Die Aktion vorbei", sagt Rusch. Stille. Eine Minute später dudelt das Mottolied der 72-Stunden-Aktion halblaut aus einem Handy. Presseteam, Bundesleitung und Organisatoren stehen etwas verloren im Großraumbüro herum. Gerade noch wurde mit Aktionsgruppen telefoniert, Gesprächspartner organisiert und auf Social Media die neusten Posts geliked – jetzt ist es vorbei. Kurz darauf rollt jemand Sekt in den Raum und BDKJ-Chef Gregor Podschun lobt in einer kurzen Ansprache das Team für die Arbeit. Langsam löst sich die Stimmung. "Aufgeräumt wird morgen", sagt Rusch und geht mit dem 72-Stunden-Team zum Grillen in den Garten.