Brigitte Lob leitet Referat für Innovationsförderung im Bistum Mainz

Theologin: Kirche muss Blick auf das Wesentliche lenken

Veröffentlicht am 07.05.2024 um 00:01 Uhr – Von Mario Trifunovic – Lesedauer: 

Bonn/Mainz ‐ Künftig will das Bistum Mainz verstärkt innovative Projekte in der Pastoral fördern. Die Theologin Brigitte Lob ist für die Innovationsförderung zuständig. Im katholisch.de-Interview berichtet sie von Visionen und Ideen – und wie das die Kirche voranbringen soll.

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Das Bistum Mainz will in Zukunft verstärkt auf innovative pastorale Projekte setzen. Dazu wurde eigens ein Referat für Innovationsförderung eingerichtet, das Ideen sammelt und bei der Umsetzung unterstützt. Welche Projekte sie besonders gut findet, welche Rolle dabei die Vision des Bistums spielt und was sie sich davon für die Zukunft der Kirche in Deutschland erhofft, erklärt die Mainzer Theologin Brigitte Lob im Interview mit katholisch.de.

Frage: Frau Lob, künftig möchte das Bistum Mainz verstärkt innovative pastorale Projekte fördern. Gibt es bereits welche, die Sie besonders betonen würden?

Lob: Eigentlich habe ich zwei. Das eine fand letztes Jahr im November in Bensheim statt. Unter dem Titel "Starke Familie" hat eine Gruppe eine Kirche leergeräumt und dort eine Woche lang ganztägig Angebote für Familien gemacht. Dahinter stand die Idee, dass Familien Kirche als dienende Institution erleben, die sie konkret in ihrem Familienleben unterstützt. Es gab unter anderem Mitmachkonzerte, Erlebnisführungen für Kinder und biblische Geschichten. Für Eltern gab es Abende zu Themen wie "Eltern sein und Partner bleiben" oder "Kinder & Computer". Auch Jugendliche kamen auf ihre Kosten, mit Veranstaltungen und Partys in der Kirche am Samstagabend. Viele Kooperationspartner waren beteiligt, viele Ehrenamtliche machten das Projekt möglich und boten vielfältige Programme an, darunter Zumba für Kinder, Yoga für Mütter.

Frage: Worum geht es bei dem anderen Projekt?

Lob: Das zweite Projekt fand vor einigen Wochen in Gravenbruch in der Nähe von Frankfurt statt. Es hieß: Ein Zelt für alle. Auf der Wiese vor der Kirche und dem Gemeindezentrum wurde eine große Jurte aufgebaut und eine Woche lang bespielt. Über Facebook, Mail und Flyer wurde dazu eingeladen, mitzumachen und selbst Angebote zu gestalten und anzubieten. Es gab ein Familienfest mit einem großen Familiengottesdienst. Ebenso Sport für Mütter, Erzähltheater für Kinder, Informationen zu Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht, was vor allem etwas für ältere Menschen war, sowie Migrationsberatung. Das Projekt war die Fortsetzung einer anderen Aktion: die große Wiese vor der Kirche wird einmal in der Woche genutzt für "Wir tischen auf": Tische und Bänke werden aufgestellt, dazu Tischdecken aufgelegt, die Anwohner werden eingeladen, selbst etwas mitzubringen, nach dem Motto: Lasst uns gemeinsam essen! Auf diese Weise kommen die Menschen gut miteinander in Kontakt. Das geht auch generationsübergreifend – junge Familien sind genauso dabei wie Menschen mittleren Alters.

Frage: Gab es denn noch mehr Projekte? Oder sind das bislang nur die beiden, die in Ihrem Referat eingetroffen sind?

Lob: Natürlich gibt es noch mehr Projekte, aber diese beiden stechen heraus, weil sie generationenübergreifend versucht haben, Angebote zu schaffen, bei denen die Menschen auch selber mitmachen können. Ganz nach dem Motto: Nicht nur konsumieren, sondern, wenn sie wollen, selbst aktiv werden und eigene Angebote gestalten.

„Wir haben als Kirche den Auftrag zu dienen, und wenn wir das mehr in den Vordergrund stellen, sind wir viel authentischer.“

—  Zitat: Brigitte Lob zu neuen Ideen in der Pastoral

Frage: Warum gerade diese Projekte?

Lob: Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Zum einen, dass beide im Sinn hatten, etwas Niedrigschwelliges zu machen, was in den meisten Teilen kostenlos ist. Zum anderen konnten die Menschen mitmachen und sich beteiligen, ohne dass die Hürde so hoch war. Sie konnten Kirche erleben und vor allem sehen, dass Kirche für sie da ist und sie nicht vereinnahmen will.

Frage: Beide Projekte klingen zunächst nach etwas, das durchaus auch von einem säkularen Verband hätte angeboten werden können. Was ist das spezifisch "Kirchliche" an diesen Projekten?

Lob: In der Jurte fanden Familien- und Jugendgottesdienste sowie ein biblisches Erzähltheater statt. Meist handelt es sich um niederschwellige und offene Angebote, um die Bibel kennen zu lernen. Zu den Gottesdiensten kamen Menschen, die sonst nicht mehr in den Gottesdienst gehen. Sie sagten, es sei sehr schön, offen und anders als sonst. Ähnlich wie bei einem Open-Air-Gottesdienst. Man kann kommen, stehen bleiben, sich hinsetzen oder ganz normal weitergehen. Jeder ist herzlich eingeladen, aber niemand wird gezwungen, sich in irgendeinen Kirchenraum zu setzen. Sie wollten das so ansprechend wie möglich gestalten und die Menschen mit den biblischen Texten und den Zusagen Gottes ermutigen. Es ist also durchaus etwas Religiöses dabei. 

Frage: Sie leiten das Referat Innovationsförderung im Bistum Mainz. Wie werden neue Projekte gefördert? Wie wird entschieden, welche pastoralen Ideen gefördert werden?

Lob: Auf unserer Website können Projektideen eingereicht werden. Diese landen dann bei uns. Wir haben ein ganzes Team, das für verschiedene Aufgaben zuständig ist. Wenn eine Projektidee kommt, schauen wir, wer aus dem Team diese Projektgruppe von der Idee über die Antragstellung bis zur Durchführung und Auswertung begleitet. Neben der finanziellen Unterstützung gibt es auch diese persönliche und fachliche Beratung. Wir haben dafür Kriterien, die auch veröffentlicht sind. Darin steht, dass ein Projekt die Bedürfnisse der Menschen vor Ort aufgreifen muss. Die Idee muss in der Region neu sein, sie muss auch immer in Kooperation mit anderen stehen. Das heißt: bedürfnisorientiert arbeiten. Das Projekt muss natürlich auch nachhaltig sein – in Bezug auf die Umwelt, aber auch in Bezug auf die Pastoral, es muss spirituell inspiriert sein. Wenn wir davon ausgehen, dass der Heilige Geist mit im Spiel ist, dann gibt das noch einmal einen "Drive". Letztlich muss sich das Projekt auch an der Vision des Bistums Mainz orientieren. 

„Das Miteinanderteilen von Glauben, Ressourcen, Verantwortung und Leitung. Wir merken selbst, dass die Summe dieser Kriterien die Leute schon sehr zum Nachdenken bringt, weil es nicht dem entspricht, was bisher typische Projekte in den Pfarreien und anderen Kirchorten sind.“

—  Zitat: Brigitte Lob zur Vision des Bistums Mainz

Frage: Und die Vision lautet wie?

Lob: Vier Schlüsselwörter beschreiben die Vision: Das Miteinanderteilen von Glauben, Ressourcen, Verantwortung und Leitung. Wir merken selbst, dass die Summe dieser Kriterien die Leute schon sehr zum Nachdenken bringt, weil es nicht dem entspricht, was bisher typische Projekte in den Pfarreien und anderen Kirchorten sind. Man ist hier durchaus herausgefordert, hinauszugehen und mit anderen Kooperationspartnern zu schauen, was gemeinsame Ziele sein könnten.

Frage: Was erhoffen Sie sich von neuen pastoralen Ideen für das Bistum?

Lob: Der Ansatz geht davon aus, dass wir die Vision der Diözese in die Fläche bringen wollen. Das heißt, mehr Leben wagen, Neues ausprobieren, experimentieren. Das soll überall möglich sein. Natürlich dürfen dabei auch Fehler gemacht werden, wir wollen ganz bewusst eine Kultur der Fehlerfreundlichkeit etablieren. Das heißt, wenn es scheitert, ist das nicht tragisch. Wir haben als Kirche den Auftrag zu dienen, und wenn wir das mehr in den Vordergrund stellen, sind wir viel authentischer. Die Idee, alle wieder in die Kirche zu bekommen, steht nicht im Vordergrund. Wenn Menschen sich dafür entscheiden  – wunderbar. Aber der Ansatz einer dienenden Kirche ist das, was die Menschen brauchen. Ich hoffe schon, dass auf diese Weise die gängige kirchliche Praxis bereichert und erweitert wird und dass die Kooperationen die Pastoral ein wenig auf den Kopf stellen.

Frage: Können diese pastoralen Projekte die Kirche "retten"?

Lob: Diese Projekte können die Kirche inspirieren, aber nicht retten. Die pastorale Praxis kann dadurch wirklich auf den Kopf gestellt und verändert werden. Also allein diese Kriterien halte ich für wegweisend in der Pastoral: bedürfnisorientiert zu arbeiten, auch auf die Ressourcen zu schauen. Ich bin überzeugt, nur mit der Bereitschaft zur Veränderung und der Orientierung an dem, was die Menschen brauchen, hat die Kirche eine Chance.

Das gelochte Metallkreuz des Synodalen Weges
Bild: ©KNA/Julia Steinbrecht

"Überall, wo Neues geschieht, gibt es Hoffnung", sagt Brigitte Lob vom Referat für Innovationsförderung im Bistum Mainz.

Frage: Stichwort Veränderungen. Davon ist immer wieder die Rede, vor allem beim Synodalen Weg. Wie schauen Sie denn auf die Zukunft der Kirche in Deutschland?

Lob: Seit ich diese Aufgabe innehabe, habe ich festgestellt, dass es in Deutschland ein unglaublich großes Netzwerk von Menschen gibt, die in der Kirche schon lange etwas Innovatives ausprobieren und umsetzen. Überall, wo Neues geschieht, gibt es Hoffnung. Letztes Jahr gab es zum Beispiel im September den Kongress "dennoch" in Hannover, den auch das "ZAP" aus Bochum mitinitiiert hat. Mit über 300 Leuten konnte man drei Tage lang brainstormen und diskutieren, die Leute sind mit vielen Ideen nach Hause gegangen. Durch so eine Energie erlebe ich unglaublich viel Inspiration, weniger das Kreisen um sich selbst und Strukturdebatten. Es geht darum, den Blick wieder auf das Wesentliche zu lenken. Da hat die Kirche unglaublich viel zu sagen.

Frage: Können Sie das konkretisieren, wo die Kirche heute noch viel zu sagen hat?

Lob: Krisen- und Notfallseelsorge, Telefonseelsorge und überall dort, wo Menschen wirklich etwas brauchen. Da leistet die Kirche einen guten Dienst. Da liegt auch die Zukunft, da erlebe ich Innovationen, sonst hätte die Kirche als Organisation nicht 2.000 Jahre überlebt. Es geht nicht nur darum, Traditionen zu bewahren, sondern immer wieder neue Wege zu gehen, Neues auszuprobieren und auf das zu reagieren, was in Gesellschaft und Politik passiert. Wenn die Kirche nicht reagiert, wenn sie nicht kreativ ist, wenn sie nicht lebendig ist, wenn sie nicht inspiriert vom Heiligen Geist und schöpferisch ist, dann entfernt sie sich von ihrem Wesen und ihrem Auftrag. Ich bin aber zuversichtlich, dass dies gelingen kann.

Von Mario Trifunovic