Gemeinsamer Weg von Eltern und Kindern entscheidender Lernort

Beziehungsorientierte statt individualisierte Erstkommunionbegleitung

Veröffentlicht am 16.05.2024 um 00:01 Uhr – Von Albert Biesinger, Reinhold Boschki und Bernd Hillebrand – Lesedauer: 

Tübingen/Graz ‐ In jüngster Zeit wird vermehrt die Abschaffung gemeinsamer Erstkommunionfeiern gefordert. Dem widersprechen die Theologen Albert Biesinger, Reinhold Boschki und Bernd Hillebrand – und begründen, warum der gemeinsame Weg von Eltern und Kindern entscheidend ist.

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Die Erstkommunionkinder ziehen feierlich in die Kirche ein: Leuchtende Kinder- und Elternaugen – gemeinsame Gesänge. Ein Kind liest das kindgemäß formulierte Tagesgebet vor. Mehrere Kinder lesen Fürbitten. Sie umstehen den Altar und bekommen das Jesus-Brot. Aufmerksam schauen sie darauf, bis sie dann gemeinsam dieses Brot essen.

Die Kirche ist voll, sie werden begleitet von ihren großen oder kleinen, wie auch immer strukturierten Familien in Festtagskleidung. Die Kommunionkerzen werden entzündet. Die Musikband zaubert eine spirituelle Atmosphäre. Am Ende des Gottesdienstes Beifall für die Kommunionkinder an ihrem großen Festtag, auch für ihre Eltern, die sie auf diesem Weg begleitet und vorbereitet haben. Auch das Begleitteam bekommt einen extra Beifall, ebenso wie die Musikgruppe.

Kommunion, das heißt von der Wortbedeutung her Gemeinschaft und Beziehung auf verschiedensten Ebenen der Gottesberührung: Die Beziehung zu Jesus steht im Mittelpunkt, aber auch die Beziehungen der Kinder untereinander sind entscheidend, in der Gleichaltrigengruppe, die Beziehungen der Eltern mit ihren Kindern, der Familien in Gemeinschaft auch innerhalb der Gemeinde.

Gemeinschaftliche Erzählorte wichtig

Glauben entsteht im Austausch des Lebens und nicht individualisiert oder privat. Es braucht gemeinschaftliche Erzählorte von Glauben, die gerade in der Pluralität und Diversität zum Ort christlicher Botschaft wird, Lernorte des Glaubens und des pluralen Lebens. Beides sind pastoraltheologische und religionspädagogische Faktoren und Grundlagen einer Kirche von morgen. Schon beim ersten Eltern-Treffen im Herbst haben Väter und Mütter miteinander Kontakt aufgenommen. Durch dieses Treffen kommen viele zum ersten Mal nach langer Zeit oder überhaupt mit Kirche in Kontakt. Sie machen die Erfahrung, dass sie gemeint sind und dass Kirche ein Ort ist, wo sie ernst genommen werden und wo es um sie geht. Wenn es bei diesem Treffen gelingt, mit den Eltern in Beziehung zu kommen, wird sich diese wie ein roter Faden durch die ganze Vorbereitung ziehen.

Unscharf Kommunionkinder im Vordergrund Papierblumen mit Wünschen
Bild: ©AK-DigiArt/Fotolia.com/katholisch.de

Beziehungsqualität der Eltern- und Kindergruppen sei ein entscheidender Faktor für die religiöse Bildung aller Beteiligten.

In einer familienorientierten Kommunionvorbereitung geht es um die Möglichkeiten, wie Eltern ihre Kinder begleiten können. Die bundesweite Studie zur Evaluierung der Erstkommunion in Deutschland, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) kompetent gefördert wurde, belegte, dass die Beziehungsqualität der Eltern- und Kindergruppen ein entscheidender Faktor für das gemeinsame Lernen und Entdecken, also für die religiöse Bildung aller Beteiligten darstellt. Ein Beispiel: In der großen oder auch kleinen Elterngruppe bekommen alle unser Familienbeziehungsbuch. Die Begleiterin leitet damit eine kurze Meditation zu dem Bild von Emil Nolde "Christus und die Kinder" an und erschließt dann gemeinsam mit der Gruppe wichtige Rituale und Themen des spirituellen Weges auf die Erstkommunion.

Was bedeutet segnen? Was meint Leib Christi, Blut Christi – wir essen ja nicht den Körper von Jesus auf: Hier kommt es auf eine symboldidaktische Vermittlung an, die erfahrungsbasiert ist. Rituale müssen nicht individualisiert werden, da sie immer schon individuell beziehungsorientiert und diversitätsfähig sind.

Eltern und Kinder brauchen Gemeinschaftserfahrungen

Es geht um individuell realisierbare familientaugliche Rituale: Ein Hinweis für die Eltern: Wenn morgen früh Ihr Kind aus dem Haus geht, segnen Sie ihr Kind. Legen Sie ihm die Hand auf den Kopf, und sagen einfach: Gott beschütze dich. Oder halten Sie vor dem Essen kurz inne, danken dafür, dass wir überhaupt etwas zu essen haben. Am Abend am Bett können Sie mit Ihrem Kind den Tag durchgehen: Was war heute schön, was war nicht so schön? Und am Schluss kann das Gespräch in ein einfaches Gebet einmünden. Mit einem Kreuzzeichen auf der Stirn können Kinder geborgen in den Schlaf gehen.

In der letzten Zeit wird vermehrt dafür plädiert, gemeinsame Erstkommunionfeiern abzuschaffen. Die Kinder sollen, wenn sie dann "soweit sind", an einem ganz normalen Sonntag mit ihren Familien zum ersten Mal zur Kommunion gehen. Beziehungsorientierte Erstkommunionbegleitung geht anders. Kirche war schon immer plural und teilte sich nicht in Sympathisantengruppen auf. Daher ist gerade der gemeinschaftliche Weg von Eltern und Kindern ein entscheidender Lernort für Glauben, für das Sozialverhalten und für die Persönlichkeitsentwicklung. Auch wenn dieser Ansatz zunächst herausfordernd erscheint, machen Familien dadurch spirituelle Erfahrungen mit Gott und der Kirche. Ohne gemeinsamen Weg zur Erstkommunion nimmt man Kindern die Erlebnisse des Weges in einer Gruppe Gleichaltriger und eines gemeinsamen großen Festes. Und den Familien nimmt man die Möglichkeit zu Beziehungen mit anderen Familien. Gerade heute brauchen Kinder eine Intensivierung von Gemeinschaftserfahrungen, von gemeinsamen Ritualen, von Festen und Feiern, von Gruppentreffen – auch die Eltern brauchen solche Erfahrungen.

„Ohne gemeinsamen Weg zur Erstkommunion nimmt man Kindern die Erlebnisse des Weges in einer Gruppe Gleichaltriger und eines gemeinsamen großen Festes. Und den Familien nimmt man die Möglichkeit zu Beziehungen mit anderen Familien.“

—  Zitat: Albert Biesinger, Reinhold Boschki, Bernd Hillebrand

Die Frage, ob und vor allem wie dies in den immer größer werdenden Seelsorgeräumen überhaupt noch möglich ist, ist mehr als berechtigt. Aber gerade die großen Räume können, ja sollen sich von der pastoralen Möglichkeit der Beziehungen her gestalten. Pastorale Substrukturen haben Begegnung und Beziehung zu ermöglichen, damit sich spirituelle Gemeinschafts- und Vernetzungserfahrungen für Kinder und Eltern eröffnen. Dies gelingt sehr wohl auch heute, wenn Eltern aus verschiedenen Dörfern oder aus dem größeren städtischen Pastoralraum zu Elterntreffen zusammenkommen. Voraussetzung ist, dass sie dabei Erfahrungen   wertschätzende Beziehungen machen können.

Familientage auf dem Weg zur Erstkommunion sind in manchen Zusammenhängen ein erfahrungsgemäß leicht gestaltbarer Weg. Die Kinder und Eltern reden teilweise unter sich und miteinander. Es gibt ein einfaches Mittagessen und am Ende des Tages eine gemeinsam vorbereitete Eucharistiefeier. In den Diözesen Berlin und Rottenburg-Stuttgart beispielsweise gab es große Erstkommunionfamilientage mit dem Bischof – mit hoher Beteiligung, positiver Resonanz und begeisterten Rückmeldungen. Erstkommunion wird dadurch zu einem spirituellen Ereignis, ein Weg, den alle Diözesen (wieder) aufgreifen sollten. Vom spirituellen Kern von "Kommunion" her gesehen, ist diese Vernetzung von vielen Eltern und Kindern gerade bei einem solchen spirituell intensiven großen Ereignis sinnvoll.

Es ist richtig, dass für viele Kinder größte Fest der Kindheit mit großer Sorgfalt und Intensität zu gestalten. Entspannt, nicht als Last – nach dem Motto: Was sollen wir denn noch alles tun? –, sondern als Freude und Ereignis von Kommunikation, von Beziehung und von spirituellem Tiefgang. Das Initiationssakrament Eucharistie hat Priorität auch angesichts vieler anderer Entscheidungen und Terminen.

Von Albert Biesinger, Reinhold Boschki und Bernd Hillebrand

Die Autoren

Albert Biesinger ist emeritierter Professor für Religionspädagogik und Kirchliche Erwachsenenbildung an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen. Reinhold Boschki ist seit 2015 Lehrstuhlinhaber für Religionspädagogik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen. Bernd Hillebrand ist Professor und Leiter des Instituts für Pastoraltheologie und Pastoralpsychologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz.