Von Mainz 1848 bis Erfurt 2024: Die Geschichte der Katholikentage
Wenn um es die Relevanz von Katholikentagen geht, wird gerne auf die Teilnehmerzahlen geschaut – auch beim bevorstehenden Katholikentag in Erfurt (29. Mai bis 2. Juni). Zu dem werden nach Angaben der Veranstalter rund 20.000 Teilnehmer erwartet. Ist das viel oder wenig? Die Antwort auf diese Frage hängt vor allem davon ab, welchen früheren Katholikentag man als Referenzgröße heranzieht. Verglichen etwa mit dem legendären Treffen 1968 in Essen, zu dem rund 120.000 Menschen strömten, oder dem 101. Katholikentag vor sechs Jahren in Münster, der 90.000 Teilnehmer zählte, wirkt die Veranstaltung in der thüringischen Landeshauptstadt klein.
Verglichen mit dem ersten Katholikentag 1848 in Mainz ist das Erfurter Treffen dagegen eine Riesenveranstaltung. Zur Generalversammlung der Katholischen Vereine Deutschlands, wie das Mainzer Treffen offiziell hieß, kamen vom 3. bis 6. Oktober des historisch so bedeutsamen Revolutionsjahres gerade mal 87 Vereinsabgeordnete sowie weitere rund 100 Geistliche und Laien zusammen. Allerdings zeigt sich gerade an diesem ersten Katholikentag, dass die Teilnehmerzahl allein kein brauchbares Kriterium zur Beurteilung der Relevanz ist. Schließlich begann mit dem kleinen Treffen von Mainz eine wahrhaftige Erfolgsgeschichte, die nun bereits 176 Jahre andauert und in Erfurt ihre 103. Auflage erlebt.
Erster Katholikentag als Frucht der deutschen Revolution
Das erste Treffen in Mainz war eine Frucht der Deutschen Revolution. Begeistert vom bürgerlich-demokratischen Aufbegehren und als Gegenreaktion auf die Unterdrückung der katholischen Bevölkerung durch die protestantischen Regierungen im Deutschen Bund beanspruchten auch die Katholiken bürgerliche Rechte wie Gewissens-, Religions-, Vereins- und Versammlungsfreiheit. Die beste Möglichkeit zur Durchsetzung dieser Rechte sah der Mainzer Domkapitular Adam Franz Lennig darin, sich zusammenzuschließen. Deshalb gründete er am 23. März 1848 den ersten "Pius-Verein für religiöse Freiheit", dem schnell hunderte weitere folgten – zuerst im Rheinland, dann in Westfalen, Baden, Bayern und Schlesien. Bis Oktober entstanden so rund 400 Vereine mit gut 100.000 Mitgliedern. Damit waren die Katholiken so gut organisiert wie wohl keine andere Gruppe.
Als im August 1848 das Kölner Dombaufest gefeiert wurde, warb Lennig für die Idee, die neuen Vereine in einer Dachorganisation zu bündeln. Kurz darauf ergingen die Einladungen für die erste Generalversammlung, die dann Anfang Oktober in Mainz stattfand. Bei dieser Zusammenkunft sprach der Kirchenhistoriker Ignaz von Döllinger über die politischen Forderungen des Katholizismus, während der spätere Mainzer Bischof Wilhelm Emmanuel von Ketteler sechs Predigten über die großen sozialen Fragen der damaligen Zeit hielt. "Ohne Revolution keine Katholikentage", resümierte der Kirchenhistoriker Hubert Wolf 2016 in einem Buch über die Ereignisse im Revolutionsjahr.
Nach der Initialzündung von 1848 fanden fortan jährlich Katholikentage statt. Erste Gastgeberstadt nach Mainz war Breslau. Insgesamt fünf Mal gastierte der Katholikentag in den folgenden Jahrzehnten in der schlesischen Stadt, zuletzt 1926. Damit zählt Breslau, obwohl es inzwischen seit bald 80 Jahren zu Polen gehört, mit Mainz (sieben Katholikentage) sowie Freiburg und München (ebenfalls je fünf Katholikentage) weiterhin zu den häufigsten Gastgeberstädten. Weitere Katholikentage in heute im Ausland liegenden Städten fanden während der Zeit des Deutschen Bundes, des Kaiserreichs und der Weimarer Republik unter anderem in Danzig, Innsbruck, Linz, Metz, Prag, Salzburg, Straßburg und Wien statt.
Von politischen und sozialen Fragen der jeweiligen Zeit geprägt
Maßgeblich geprägt wurden die Katholikentage von Anfang an von den politischen und sozialen Fragen der jeweiligen Zeit sowie dem lange Zeit angespannten Verhältnis von Staat und Kirche. So standen etwa die Katholikentage in den 1870er Jahren ganz im Zeichen des Kulturkampfes, also der Auseinandersetzung zwischen dem protestantisch geprägten Kaiserreich mit Reichskanzler Otto von Bismarck und der katholischen Kirche mit Papst Pius IX. (1846-1878) an ihrer Spitze und der Zentrumspartei als politischem Arm des Katholizismus in Deutschland.
Auch später konnten sich die Treffen nicht von den jeweiligen politischen Umständen freimachen. So konnten während des Ersten Weltkriegs und der Zeit des Nationalsozialismus gar keine Katholikentage stattfinden. Das letzte Treffen vor der NS-Diktatur fand 1932 unter dem Leitwort "Christus in der Großstadt" in Essen statt. Die ein Jahr später geplante Versammlung im oberschlesischen Gleiwitz wurde abgesagt, weil sich die Veranstalter weigerten, der Auflage von Propagandaminister Joseph Goebbels nach einer "Treueerklärung" zum Nationalsozialismus und der NSDAP nachzukommen. Erst 1948 kamen Deutschlands Katholiken wieder in großem Rahmen zusammen – und 100 Jahre nach dem ersten Anstoß trafen sie sich unter dem Motto "Der Christ in der Not der Zeit" erneut in Mainz.
Seither finden die Katholikentage in der Regel alle zwei Jahre statt – meist im Wechsel mit evangelischen Kirchentagen und unterbrochen durch die bislang drei ökumenischen Kirchentage 2003 in Berlin, 2010 in München und 2021 in Frankfurt am Main, der wegen der Corona-Pandemie allerdings nur digital stattfinden konnte.
Thematisch blieben sich die Katholikentage auch in der jüngeren Vergangenheit weitgehend treu: Große politische Themen der vergangenen Jahrzehnte waren etwa der Ost-West-Konflikt und die damit zusammenhängenden Fragen von Krieg von Frieden, die Folgen der deutschen Wiedervereinigung, die Globalisierung und die drängenden Fragen rund um die zunehmende Migration. Hinzu kamen immer wieder auch heftige innerkirchliche Debatten. Der Essener Katholikentag im von Studentenunruhen geprägten Jahr 1968 etwa stand ganz im Zeichen des Aufbruchs nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) und gilt bis heute als turbulentester Katholikentag aller Zeiten. Bei dem Treffen gab es sogar Rücktrittsforderungen gegen Papst Paul VI. (1963-1978), der kurz zuvor völlig gegen den Zeitgeist seine Enzyklika "Humanae Vitae" über Sexualität, Pille und Verhütung veröffentlicht hatte.
Erfurt – der erste Katholikentag nach dem Synodalen Weg
Bei den jüngsten Katholikentagen schließlich stand die Aufarbeitung des 2010 aufgedeckten katholischen Missbrauchsskandals und der daraus erwachsenen massiven Kirchenkrise im Mittelpunkt der Debatten. Diese Diskussionen dürften auch das bevorstehende Treffen in Erfurt beschäftigen, immerhin ist der dortige Katholikentag der erste seit dem Abschluss des Synodalen Wegs und zeitlich ziemlich genau in der Mitte gelegen zwischen den beiden wichtigen vatikanischen Bischofssynoden zur Synodalität.
Übrigens: Bei allen Traditionen ist der Katholikentag in Erfurt zumindest in einer Hinsicht eine Premiere. Trotz ihrer Bedeutung als katholische Bischofsstadt und ihrer zentralen Lage im Herzen Deutschlands ist die thüringische Landeshauptstadt nämlich zum ersten Mal Gastgeberin des Katholikentags. Der Katholikentag ist also immer noch für Neuerungen gut.
Bisherige Gastgeberstädte des Katholikentags
- Mainz (1848, 1851, 1871, 1892, 1911, 1948, 1998)
- Breslau (1849, 1872, 1886, 1909, 1926)
- Freiburg (1859, 1875, 1888, 1929, 1978)
- München (1861, 1876, 1895, 1922, 1984)
- Münster (1852, 1885, 1930, 2018)
- Köln (1858, 1894, 1903, 1956)
- Aachen (1862, 1879, 1912, 1986)
- Würzburg (1864, 1877, 1893, 1907)
- Düsseldorf (1869, 1883, 1908, 1982)
- Berlin (1952, 1958, 1980, 1990)
- Frankfurt am Main (1863, 1882, 1921)
- Regensburg (1849, 1904, 2014)
- Trier (1865, 1887, 1970)
- Essen (1906, 1932, 1968)
- Stuttgart (1925, 1964, 2022)
- Linz (1850, 1856)
- Bamberg (1868, 1966)
- Bonn (1881, 1900)
- Bochum (1889, 1949)
- Dortmund (1896, 1927)
- Osnabrück (1901, 2008)
- Mannheim (1902, 2012)
- Augsburg (1910, 1971)
- Hannover (1924, 1962)
- Wien (1853)
- Salzburg (1857)
- Prag (1860)
- Innsbruck (1867)
- Konstanz (1880)
- Amberg (1884)
- Koblenz (1890)
- Danzig (1891)
- Landshut (1897)
- Krefeld (1898)
- Neisse (1899)
- Straßburg (1905)
- Metz (1913)
- Magdeburg (1928)
- Nürnberg (1931)
- Passau/Altötting (1950)
- Fulda (1954)
- Mönchengladbach (1974)
- Karlsruhe (1992)
- Dresden (1994)
- Hamburg (2000)
- Ulm (2004)
- Saarbrücken (2006)
- Leipzig (2016)
- Erfurt (2024)