Putin beim Papst
Der Ukraine-Konflikt ist für Franziskus ein besonders heikles Terrain. Von ukrainischer Seite wurde dem Papst vorgeworfen, er verharmlose die russische Aggression. Mehr noch: Er ergreife für Russland Partei. Sogar die griechisch-katholischen Bischöfe des Landes kritisierten ihr Oberhaupt Franziskus.
Stein des Anstoßes war der Begriff "Brudermord". So bezeichnete der Papst im Februar die Kämpfe in der Ukraine. Damit mache er sich eine Vokabel der russischen Propaganda zu eigen, lautete der Vorwurf von ukrainischer Seite. Der Vatikan sah sich zu einer Klarstellung genötigt: Der Papst bleibe stets neutral, seine Appelle richteten sich immer an alle Konfliktparteien.
Die päpstliche Diplomatie verfolgt gegenüber Russland weiterhin einen pragmatischen Kurs. Wo gemeinsame Interessen bestehen, arbeitet man zusammen. So brachten der Vatikan und Russland im März zusammen mit dem Libanon eine gemeinsame Erklärung in den UN-Menschenrechtsrat ein, in der ein besserer Schutz der Christen im Nahen Osten gefordert wird.
Putins öffentliches Eintreten für christliche Werte wie Ehe und Familie hat ihm im Vatikan auch Sympathien eingebracht. Der australische Kardinal George Pell, der Präfekt des vatikanischen Wirtschaftssekretariats, stellte Putin in dieser Hinsicht im vergangenen Herbst als Vorbild für den Westen dar. Der Präsident des Päpstlichen Rates für die Familie, Erzbischof Vincenzo Paglia, wandte sich im September in einer Videobotschaft an die Teilnehmer einer internationalen Konferenz über die Familie, die unter anderem im Kreml tagte. Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, zweitwichtigster Mann in der Vatikan-Hierarchie, schweigt jedoch zu diesem Thema.
Russland will Christenverfolgung in den Mittelpunkt der Audienz stellen
Wenn es nach der russisch-orthodoxen Kirche geht, sollte die Christenverfolgung im Nahen Osten im Mittelpunkt des Treffens am Mittwoch stehen. Darüber hatten Putin und Franziskus schon während ihrer ersten Begegnung im November 2013 gesprochen. In diesem Sinne äußerte sich am Freitag der Sekretär des Außenamtes der russisch-orthodoxen Kirche für den Dialog mit anderen Kirchen, Stefan Igumnow, gegenüber der Nachrichtenagentur Interfax. Den Ukraine-Konflikt, in dem seine Kirche offiziell eine neutrale Haltung einnimmt, erwähnte Igumnow nicht.
Zwischen den USA und Kuba hatte der Papst jüngst erfolgreich vermittelt. Dass er das Gleiche im Ukraine-Konflikt tun könnte, erscheint schwierig. Der griechisch-katholische Großerzbischof von Kiew, Swjatoslaw Schewtschtuk, sagte zwar nach einer Begegnung mit dem Papst, es sei "sehr zu wünschen", dass Franziskus Briefe an die Staatsoberhäupter der Ukraine und Russlands schreibe. Doch zum einen bilden die Katholiken in der Ukraine und in Russland nur eine Minderheit. Zum anderen ist die Auseinandersetzung für den Vatikan kirchenpolitisch ein äußerst schwieriges Pflaster.
Tiefe Gräben zwischen griechisch-katholischer und russisch-orthodoxer Kirche
Die Kämpfe zwischen prorussischen Separatisten und der ukrainischen Armee haben auch die Gräben zwischen griechisch-katholischer Kirche und russisch-orthodoxer Kirche vertieft. Die eine Kirche, zu der die meisten Katholiken in der Ukraine zählen, ist mit Rom verbunden und erkennt den Papst als Oberhaupt an, die andere ist ein wichtiger Gesprächspartner des Vatikan im ökumenischen Dialog.
Für eine Vermittlerrolle des Vatikan hinter den Kulissen könnte allerdings sprechen, dass Franziskus Ende Mai den ukrainischen Außenminister Pawlo Klimkin empfangen hatte. Klimkin forderte anschließend ein stärkeres Engagement des Vatikan.
Nach seinem ersten Treffen mit dem Papst hatte Putin gesagt, man habe eine "Steigerung der moralischen Komponente in den internationalen Beziehungen" vereinbart. Was das für den Ukraine-Konflikt bedeutet, wird sich am Mittwoch zeigen.