Benedikt-Privatsekretär wird Papst-Botschafter im Baltikum

Nuntius Gänswein: Ein monatelanger Schwebezustand ist vorbei

Veröffentlicht am 24.06.2024 um 13:00 Uhr – Von Christoph Brüwer – Lesedauer: 

Freiburg ‐ Die Gerüchte haben sich also bestätigt: Erzbischof Georg Gänswein wird der neue Nuntius im Baltikum. Für den ehemaligen Privatsekretär von Papst Benedikt XVI. endet damit eine lange Zeit der Unklarheit und des Wartens. Endet auch die Eiszeit zwischen ihm und Papst Franziskus?

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Mehr als 500 Tage sind seit dem Tod des ehemaligen Papstes Benedikt XVI. vergangen. 500 Tage, in denen auch sein langjähriger Privatsekretär Erzbischof Georg Gänswein auf eine neue Aufgabe gewartet hat – zuletzt seit Sommer vergangenen Jahres als Bewohner im Priesterseminar seiner Heimatdiözese Freiburg. Ein Schwebezustand, der zeitweise zum Politikum wurde.

Doch von vorn: 1956 in Rieden am Wald in Baden-Württemberg geboren, ging es für Gänswein direkt nach dem Abitur ins Priesterseminar. Er studierte Theologie und Philosophie in Freiburg und an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. 1984 wurde Gänswein in Freiburg zum Priester geweiht und wechselte schon zwei Jahre später für ein Kirchenrechtsstudium nach München. 1994 ernannte der damalige Freiburger Erzbischof Oskar Saier den inzwischen mit Auszeichnung promovierten Gänswein zu seinem persönlichen Referenten. Dort blieb er aber nicht lange: Sein Weg führt wieder nach Rom. 1996 wechselt er nach einem Jahr in der Gottesdienstkongregation auf Wunsch von Kardinal Joseph Ratzinger in die Kongregation für die Glaubenslehre und wurde ab 2003 der persönliche Assistent Ratzingers. Eine Verbindung, die lange Zeit halten sollte.

Überraschende Beurlaubung als Präfekt des Päpstlichen Hauses

So wurde Gänswein nach der Wahl Ratzingers zum Papst dessen neuer Privatsekretär. 2012 ernannte Benedikt XVI. ihn zudem zum Titularerzbischof und zum Präfekten des Päpstlichen Hauses – ein Amt, das Gänswein auch unter Benedikts Nachfolger Franziskus zunächst behielt. 2020 folgte dann die überraschende Beurlaubung. Gänswein solle sich weiter auf seine Aufgabe als Privatsekretär des emeritierten Papstes konzentrieren, hieß es offiziell.

Und das tat er auch. Bis zum Tod Benedikts am 31. Dezember 2022 wich er dem Emeritus nicht von der Seite und kümmerte sich auch danach um dessen Nachlass. Gleichzeitig suchte Gänswein nach dem Tod Benedikts verstärkt die Öffentlichkeit – und sorgte damit für erheblichen Unmut. Kern des Ärgernisses: Gänsweins Buch "Nichts als die Wahrheit. Mein Leben mit Benedikt XVI.". Schon vor der Beerdigung des emeritierten Papstes veröffentlichten italienische Medien Auszüge aus den Memoiren. Und diese waren durchaus brisant. So rechnete Gänswein in seinem Werk auch mit Benedikts Nachfolger Franziskus ab. Er sei "schockiert und sprachlos" gewesen, als Franziskus ihn von seinem Posten als Präfekt des Päpstlichen Hauses beurlaubt habe, schrieb der Erzbischof über die von ihm empfundenen Demütigungen durch das Kirchenoberhaupt. Zudem erwähnte er zahlreiche weitere private Details aus dem Zusammenleben mit Benedikt und dem Verhältnis der zwei Päpste.

Freiburger Münster ohne Turmgerüst
Bild: ©picture alliance/Philipp von Ditfurth/dpa

Das Freiburger Münster – hier feierte Erzbischof Georg Gänswein nach seiner Abberufung nach Deutschland regelmäßig Gottesdienste.

Das Buch stieß vielen hochrangigen Kirchenvertretern sauer auf. Der honduranische Kardinal Andres Rodriguez Maradiaga bezeichnete den Veröffentlichungstermin als "taktlos", der Wiener Kardinal Christoph Schönborn nannte das Werk eine "ungehörige Indiskretion" und auch der deutsche Kurienkardinal Walter Kasper sagte: "Es wäre besser gewesen, zu schweigen." Dem Erfolg des Buches tat das indes keinen Abbruch – im Gegenteil: Wochenlang führte es die Bestenlisten an.

Das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen Gänswein und Franziskus erlebte in der Folge eine neue Eiszeit. Die zuvor pausierte Beauftragung als Präfekt des Päpstlichen Hauses wurde am 28. Februar 2023 offiziell beendet. Der Papst wies Gänswein zudem an, ab Juli wieder in seine Heimatdiözese Freiburg zurückzukehren – ohne neue Aufgabe. Für den ehemaligen Privatsekretär eine ungewohnte Situation: Einem italienischen Reporter, der ihm in seine Heimat nachreiste, sagte Gänswein im vergangenen Juli: "Ich muss erst noch herausfinden, was ich machen werde." Er werde darüber mit dem Freiburger Erzbischof Stephan Burger sprechen. Momentan, so Gänswein damals, stehe er sperrig im Weg herum und sei in diesem Sinne "eine Nervensäge".

Doch auch das Gespräch der beiden Erzbischöfe brachte keine neue Aufgabe für Gänswein. "Möglich sind nach Absprache mit Erzbischof Burger die Übernahme einzelner Aufträge wie Firmungen oder örtliche Festgottesdienste", hieß es lediglich in einer Mitteilung der Erzdiözese. Gänswein werde als Ehrendomherr zudem regelmäßig Gottesdienste im Freiburger Münster feiern.

Erzbischof Georg Gänswein bei einer Audienz mit Papst Franziskus
Bild: ©KNA/Vatican Media/Romano Siciliani

Ein lächelnder Erzbischof Georg Gänswein: Bei einer gemeinsamen Audienz mit den gottgeweihten Frauen von "Memores Domini" hat Gänswein Papst Franziskus zuletzt am 3. Januar im Vatikan getroffen.

Während die Privatsekretäre früherer Päpste nach deren Tod häufig auf hohe Posten berufen wurden – Benedikt ernannte 2005 den Privatsekretär von Johannes Paul II., Stanislaw Dziwisz, etwa zum Erzbischof von Krakau – war Gänswein fast ein Jahr lang auf Arbeitssuche.

Nur hin und wieder gab es Gerüchte darüber, Franziskus könnte ihn zum Apostolischen Nuntius ernennen. Im April berichtete die Korrespondentin der argentinischen Tageszeitung "La Nacion", Gänswein könnte Papstbotschafter an einem noch zu benennenden Ort werden. Der Heilige Stuhl werde die Ernennung "demnächst" offiziell bekanntgeben. Zunächst hieß es, für den Schwarzwälder könnte es nach Costa Rica gehen. Wenig später spekulierte bereits der italienische "Corriere della Sera", Gänswein könnte als Nuntius ins Baltikum geschickt werden. Die Nuntiatur in Litauen ist vakant, seit Franziskus Erzbischof Petar Rajic im März nach Italien versetzt hatte.

Lange Zeit des Wartens endet

Mit dem Posten als Papst-Botschafter für Litauen, Estland und Lettland endet für Gänswein nun eine lange Zeit des Wartens auf eine neue Aufgabe – und die ist alles andere als einfach. Spätestens seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine wächst auch im Baltikum der sorgenvolle Blick auf Russland. Deutschland will daher in den kommenden Jahren bis zu 5.000 Soldaten dauerhaft in Litauen stationieren. Zudem sind die drei baltischen Staaten unterschiedlich religiös geprägt: Während Litauen vor allem römisch-katholisch geprägt ist, ist die Bevölkerung Lettlands vornehmlich evangelisch-lutherisch. Estlands Einwohner dagegen bekennen sich überwiegend zu keiner Religion oder zur evangelischen oder orthodoxen Kirche. Für Gänswein, der schon in seinem Amt als Präfekt des Päpstlichen Hauses reichlich Erfahrungen mit dem Auftritt auf dem diplomatischen Parkett gesammelt hat, scheint diese Aufgabe ausgesprochen passend. 

Und vielleicht endet mit der Ernennung zum Nuntius auch das unterkühlte Verhältnis Gänsweins mit Papst Franziskus. Anlässlich des ersten Todestages Benedikts traf Gänswein gemeinsam mit den Frauen, die den emeritierten Papst aus Deutschland an seinem vatikanischen Alterssitz bis zum Tod betreuten, auf Franziskus. Offizielle Vatikanfotos der Begegnung zeigen einen lächelnden Erzbischof Gänswein. Dass der Posten als Nuntius durchaus als honorige neue Aufgabe betrachtet werden kann, zeigt auch das Beispiel Alfred Xuereb. Der maltesische Erzbischof war von 2007 bis 2013 zweiter Privatsekretär unter Benedikt. Nach der Wahl von Papst Franziskus wurde er 2013 dessen erster Privatsekretär und bekleidete später verschiedene andere Posten, bis er 2018 zum Nuntius in Südkorea und der Mongolei und 2023 zum Nuntius in Marokko ernannt wurde.

Und Gänswein? Noch im April hat Papst Franziskus die Veröffentlichung der Benedikt-Memoiren scharf kritisiert. Es sei für ihn ein großer Schmerz gewesen, dass "am Tag des Begräbnisses ein Buch erschien, das die Unwahrheit erzählt. Das ist traurig", so der Pontifex. Der Erscheinungszeitpunkt der Memoiren sei ein "Mangel an Anstand und an Menschlichkeit" gewesen. Franziskus betonte aber auch: Menschen, die einen Irrtum begangen haben, müsse man verzeihen und ein neues Kapitel aufschlagen. Für Gänswein scheint das nun passiert zu sein.

Von Christoph Brüwer