"Dieser Katholikentag ist kein Heimspiel"
Es klingt nach alter Katholikentags-Herrlichkeit: Bundespräsident, Bundeskanzler und Vizekanzler kommen, die AfD bleibt zu Hause – es sind zukunftsweisende Wahlkampfzeiten. Der Erfurter Domberg bildet ebenso wie die barocken Plätze und die mehr als 20 Kirchen in der Innenstadt eine perfekte Bühne für Veranstaltungen, gemeinsames Singen, Feiern und Begegnungen. Zum Auftakt des fünftägigen Christentreffens läutete sogar die Gloriosa vom Erfurter Dom – die größte freischwingende mittelalterliche Glocke der Welt.
Doch Irme Stetter-Karp formuliert realistischer: "Dieser Katholikentag ist kein Heimspiel", sagt die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) mit Blick darauf, dass in Thüringen nur sieben Prozent der Menschen katholisch sind. Um dann noch hinzuzufügen: "Aber es gibt überhaupt kein Heimspiel mehr für Katholiken. Die Kirche ist in der Krise, die sie selbst stark mit verschuldet hat." Mitten in Deutschland – und mitten in der ostdeutschen Diaspora – werden bis Sonntag rund 20.000 Besucher in Erfurt erwartet. Es ist der dritte Katholikentag in den ostdeutschen Bundesländern seit 1990 und der erste in Erfurt, das eher mit Martin Luther und der Reformation in Verbindung gebracht wird.
Kriege, der Aufstieg rechtsextremer Kräfte, Klimakrise ...
Ein Katholikentag, der seine Spannung auch aus den kommenden Wahlen zum Europaparlament und zu drei ostdeutschen Landtagen bezieht – sowie aus den vielfachen Krisen, die gegenwärtig die Welt in Atem halten: Kriege in der Ukraine und Gaza, der Aufstieg rechtsextremer und populistischer Kräfte in Europa, die Klimakrise ...
Und dann auch noch die Krise der Kirchen, die nicht zuletzt durch den Missbrauchsskandal ausgelöst wurde. "Wir schaffen das – nicht" lautete am Donnerstagnachmittag der skeptische Titel einer zentralen Veranstaltung. Das Vertrauen in die Kirche sei offenkundig verdunstet, und der Katholizismus in Deutschland "in Bubbles und Blasen zersplittert", meint etwa der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller.
Ob Stetter-Karp, ob Bundespräsident Franz-Walter Steinmeier oder der Erfurter Bischof Ulrich Neymeyr: In Gottesdiensten und Foren betonten sie, dass diese Krisen kein unveränderliches Schicksal seien, sondern menschengemacht und damit auch veränderbar.
Diese Einsicht könnte auch der "Geist von Erfurt" bringen: Schließlich ist die Stadt die Keimzelle der DDR-weiten ökumenischen Friedensgebete, die dazu beitrugen, die Mauer löchrig zu machen. Neymeyr erinnerte am Donnerstag beim Gottesdienst auf dem vollbesetzten und Regenschirm-geschützten Domberg daran, dass die Gebete seit 1978 ununterbrochen in der Sankt Lorenzkirche stattfinden – seit Einführung des Unterrichtsfachs "Wehrkunde" in der DDR. Christen dürften sich von Krisen nicht entmutigen lassen, sondern sollten für Frieden und Gerechtigkeit kämpfen, schlug Neymeyr den Bogen zu heute.
"Unser Gott ist parteiisch"
Glaube und Gebet können also durchaus politisch sein. Dazu passt, dass mehrere Bischöfe der Forderung widersprachen, die Kirche solle sich aus der Politik heraushalten. "Unser Gott ist parteiisch", sagte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Georg Bätzing, am Mittwochabend. "Er steht auf der Seite der Gerechten, des Rechts." Auch wenn das Christentum in Deutschland zu einer Minderheit werde, müsse die Kirche ihren Beitrag zum Frieden leisten. Auch der Magdeburger Bischof Gerhard Feige wandte sich dagegen, Religion ins Abseits zu drängen. Er erinnerte an die Versuche von Nationalsozialisten und Kommunisten, den Glauben als Privatangelegenheit im stillen Kämmerlein dahinvegetieren zu lassen.
Der Katholikentag als Energie-Booster? Wie wichtig funktionierende Institutionen und gesellschaftliches Vertrauen sind, machte die russische Menschenrechtlerin Irina Scherbakowa am Donnerstag in Erfurt deutlich: Putins diktatorische Herrschaft basiere darauf, dass die Russen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ihre Identität verloren hätten. "Es war vielen Menschen nicht klar, was es bedeutet, ein Demokrat zu sein." Darin sieht die Friedensnobelpreisträgerin auch eine große Gefahr für den Westen. Wenn Menschen das Vertrauen in Institutionen und Medien verlören, spiele das undemokratischen Kräften in die Hände. Die russische Propaganda arbeite mittlerweile daran mit, dieses Vertrauen im Westen zu untergraben.