"Erstarken rechtspopulistischer Kräfte muss uns Mahnung sein"

EU-Bischof Overbeck: Verlässliche Kräfte für Europa gestärkt, aber...

Veröffentlicht am 10.06.2024 um 11:26 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Die Europawahl ist gelaufen: Die politische Mitte behält zwar die Mehrheit im EU-Parlament. In vielen Ländern verzeichnen aber auch rechtsradikale und nationalistische Parteien Erfolge. Deutsche Kirchenvertreter nehmen Stellung.

  • Teilen:

Der für EU-Themen zuständige Bischof Franz-Josef Overbeck sieht im Ergebnis der Europawahl in Deutschland insgesamt eine Stärkung der Europäischen Union. "Die Europawahl zeigt – wenn wir auf das Ergebnis in Deutschland schauen –, dass die demokratischen und europaverlässlichen Kräfte als Gesamt gestärkt wurden", sagte der Essener Bischof der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA; Sonntagabend). Er begrüßte zudem die "stabile Wahlbeteiligung". Sie lag laut dem vorläufigen amtlichen Endergebnis bei 64,8 Prozent; das sind 3,4 Prozentpunkte mehr als bei der EU-Wahl 2019.

Overbeck warnte allerdings auch: "Das Erstarken rechtspopulistischer Kräfte muss uns Mahnung sein: Wir müssen mit allen Kräften unsere Demokratie verteidigen. Demokratie ist nicht selbstverständlich, sondern braucht ein engagiertes Bekenntnis!" Der Bischof ist Vorsitzender der Arbeitsgruppe Europa der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und Delegierter bei der EU-Bischofskommission COMECE. – Die Europawahl fand von Donnerstag bis Sonntag in den EU-Ländern statt. Laut dem vorläufigen amtlichen Endergebnis von Montagmorgen behält die Mitte die Mehrheit im Europaparlament. In vielen Ländern verzeichnen rechtsradikale und nationalistische Parteien aber Erfolge.

Heße: Wahlergebnis ist Aufruf zum Handeln

Nach Ansicht des Hamburger Erzbischofs Stefan Heße ist das Wahlergebnis ein Aufruf zum Handeln. "Wir sind mehr denn je herausgefordert, uns für die demokratische Kultur und für Europa zu engagieren", erklärte Heße am Montag. "Über den Wahltag hinaus bleibt Tag für Tag die Aufgabe, für die europäische Idee zu werben und sie erlebbar zu machen." Der Erzbischof würdigte zudem die gute Wahlbeteiligung.

Ackermann: AfD ist eine Partei ohne echte Antworten

Der Trierer Bischof Stephan Ackermann zeigte sich erschrocken über die Zustimmung junger Menschen zur rechtspopulistischen AfD. "Ich sehe nicht, dass diese Partei eine echte Antwort gibt auf die Sorgen junger Menschen um unseren Planeten oder um ihre Perspektiven für Ausbildung, Studium und Arbeits- und Familienleben", sagte er am Montag auf Anfrage der KNA. Laut Ackermann sollen nicht nationale Egoismen bedient werden. Es gehe um Zusammenhalt, um Solidarität und um ein gutes Miteinander. "Deshalb dürfen wir nicht nachlassen, für unsere Demokratie und unsere Grundwerte, ausgehend von der unveräußerlichen Würde aller Menschen, einzustehen und immer wieder dafür die Stimme zu erheben."

Eva-Maria Welskop-Deffaa ist Caritaspräsidentin
Bild: ©KNA/Gordon Welters (Archivbild)

Eva-Maria Welskop-Deffaa ist Präsidentin der Caritas.

Der Bischof rief dazu auf, zu erfragen, was die Wahlentscheidung für die AfD ausgelöst habe und wie dem begegnet werden könne. Er erinnerte an die zentrale Botschaft eines gemeinsamen Hirtenbriefs der Bischöfe aus den Grenzregionen Frankreichs, Luxemburgs, Belgiens und Deutschlands. Darin hatten sie vor der Wahl für ein Europa als "Raum der Zukunft, der Partnerschaft und der internationalen Verantwortung" geworben. Erfreulich sei allerdings die gestiegene Wahlbeteiligung mit rund 65 Prozent in Deutschland, so Ackermann. Dies zeige, dass es vielen Menschen wichtig sei, ihr demokratisches Recht auf Mitbestimmung wahrzunehmen – und dass sie das Projekt Europa ernst nähmen.

ZdK: Hohe Beteiligung an Europawahl ein Erfolg

Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, sieht die gestiegene Beteiligung an der Europawahl "als Zeichen demokratischer Stärke". Die Demokratie stehe in vielen Ländern zwar unter Beschuss, sagte sie am Montag. Es stimme sie aber zuversichtlich, "dass so viele Menschen ihr Wahlrecht genutzt und somit mitbestimmt haben, welche Politik in den nächsten fünf Jahren in der Europäischen Union gemacht wird", so Stetter-Karp.

Zugleich zeigte sich die Präsidentin der Laienorganisation sehr besorgt über die Zugewinne von Rechtsaußen-Parteien in vielen EU-Staaten. "Dass die AfD in Deutschland als zweitstärkste Kraft aus den Europawahlen hervorgegangen ist, im Osten der Republik sogar als stärkste, ist ein Krisenzeichen für die liberale Demokratie", meinte Stetter-Karp. Dass unter den Erstwählern in Deutschland 17 Prozent ihr Kreuz bei der AfD gemacht haben, bestürze sie, sagte die ZdK-Präsidentin weiter. "Wir müssen die demokratische Bildung an den Schulen stärken und alles tun, um ein dauerhaftes Netzwerk für Zivilcourage und gegen Rechtsextremismus zu knüpfen", forderte sie.

Caritas-Präsidentin sieht Auftrag für geeintes Europa

Die Präsidentin des Deutschen Caritasverbands, Eva Maria Welskop-Deffaa, zeigte sich in einer ersten Reaktion erleichtert. "Die Feinde der Europäischen Union sind – allen erschreckenden Stimmenzuwächsen der Populisten zum Trotz – bei uns eine Minderheit geblieben", sagte sie am Sonntagabend der KNA. In Deutschland habe die überwältigende Mehrheit der Wählerinnen und Wähler der Politik den klaren Auftrag erteilt: "Haltet den Laden zusammen." Die politisch Verantwortlichen müssten diesen Auftrag nun entschlossen umsetzen, so die Präsidentin der katholischen Wohlfahrtsorganisation, die mit rund 690.000 hauptamtlichen Mitarbeitenden der größte private Arbeitgeber in Deutschland ist.

"Es geht uns um ein Europa der offenen Grenzen und der offenen Herzen, ein Europa, das Begegnungen leicht macht und sozialen Ausgleich unterstützt, ein Europa, das digitale Teilhabe für alle sicher gewährleistet und die planetaren Grenzen in internationaler Verantwortung schützt", so Welskop-Deffaa weiter. Das Europäische Sozialmodell biete Raum für ein menschenfreundliches Zusammenleben. "Europa braucht schnell eine Verständigung auf eine Kommissionspräsidentin, die dieses Erbe in die Zukunft trägt."

COMECE: Europawahl ist Zeichen für Bürgerferne der EU

Die Bischofskonferenzen in der EU hoben in ihrer Analyse der Europawahl die geringe Teilnahme hervor. Die Wahlbeteiligung von etwas über 50 Prozent sei "immer noch nicht ausreichend" und deute auf anhaltendes Desinteresse der Bürger hin, erklärte die Bischofskommission COMECE am Montag in Brüssel. In Verbindung mit dem Erstarken nationalistischer und euroskeptischer Parteien insbesondere in den EU-Gründungsländern zeuge dies von einer "starken Unzufriedenheit mit der Leistung der EU". Die Ergebnisse seien ein Appell an alle, insbesondere aber an die neu gewählten Abgeordneten und die künftigen Kommissare, die gefühlte Kluft zwischen EU und Bürgern zu verringern und zureichende Antworten auf die Sorgen der Menschen zu geben, so die Bischöfe. Zugleich betonten sie, die Mehrheit der Wähler sei weiterhin pro-europäisch und wolle "mehr Europa". (tmg/KNA)

10.6., 11:40 Uhr: Ergänzt um ZdK. 16:20 Uhr: Ergänzt um COMECE.