Exorzismus: Warum sich die Kirche kritisch damit befassen sollte
Exorzisten haben es heutzutage schwer. Nicht immer scheint der Gegenstand ihrer Arbeit das größte Problem zu sein, manchmal ist es einfach nur das allgemeine Desinteresse. Anders sieht es natürlich aus, wenn Hollywood sich des Themas annimmt. Was dabei herauskommt, zeigen unzählige Beispiele – zuletzt ein Horrorfilm über den ehemaligen Exorzisten des Bistums Rom, Gabriele Amorth, der Anfang April vergangenen Jahres die deutschen Kinos füllte. Der Film "The Pope's Exorcist" mit Schauspieler Russell Crowe, der Amorth verkörperte, sorgte wieder einmal, wie fast jeder Exorzismus-Thriller, für volle Kinokassen und eine große Medienresonanz. Ob der Film auch dafür verantwortlich ist, dass nur kurze Zeit später in der kroatischen Tageszeitung "Vecernji list" ein langer Artikel über den Leitfaden der Internationalen Exorzisten-Vereinigung erschien, bleibt unklar. Der Artikel ließ jedoch Kleriker und Theologen aufhorchen, da er mit einem skurrilen Zitat aus dem Leitfaden selbst überschrieben war: "Wenn ein Mann mit reinem Gewissen sich plötzlich leidenschaftlich in eine unbekannte Person verliebt, ist das ein Zeichen dafür, dass er von einem bösen Geist besessen ist."
Was skurril klingt, scheint ernsthafter Bestandteil des Leitfadens zu sein, der 2020 von der Internationalen Exorzisten-Vereinigung herausgegeben wurde. Der Leitfaden, der seit drei Jahren öffentlich zugänglich ist und bisher nur in italienischer Sprache vorlag, hat vor kurzem seine erste Übersetzung erhalten – nicht etwa ins Englische oder Deutsche, sondern ins Kroatische. Laut Beschreibung auf der Website des Verlags richtet sich der Leitfaden in erster Linie an Exorzisten, ist aber auch für ein breiteres Publikum zugänglich – darunter interessierte Laien und Geistliche in der Gemeindepastoral. Obwohl es sich nicht um ein offizielles Dokument des kirchlichen Lehramtes handelt, soll laut Beschreibung der Text überprüft und mit den einschlägigen Dekreten des Heiligen Stuhls in Einklang gebracht worden sein. Dass er einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, soll darauf abzielen, Licht in die Fragen rund um das Thema Exorzismus zu bringen.
Leitfaden für breiteres Publikum
Der Leitfaden versucht eher, nicht-radikale Situationen zu deuten. Es geht also weniger um jene drastischen Szenen, die vor allem aus Exorzismus-Filmen bekannt sind, aber auch von Exorzisten erlebt worden sein sollen. In einem Beitrag für das Fernsehmagazin Spiegel TV berichtet Amorth von furchterregenden Stimmen, unerklärlichen Ereignissen, zentimeterlangen Rasierklingen und Nägeln, die von Besessenen ausgespuckt werden. Neben dem eingangs erwähnten Zitats wird an anderer Stelle des Leitfadens von Besessenheit gesprochen, wenn während des Exorzismus oder auch allgemein während des Gebets oder der Lektüre des Evangeliums extreme Langeweile auftritt. Doch wie gefährlich sind diese Ratgeber, die für jedermann frei erhältlich sind?
Die Religionswissenschaftlerin Nicole Bauer vom Institut für Religionswissenschaft der Universität Graz forscht zum Thema Besessenheit und Exorzismus in der Gegenwartsgesellschaft und erklärt gegenüber katholisch.de, dass solche Schriften durchaus von Gläubigen gelesen werden. Leidende würden aufgrund ihrer Situation auf der Suche nach Lösungen und entsprechender Literatur dann auf solche Ratgeber stoßen oder von anderen darauf hingewiesen. "So etwas aus der Hand eines katholischen Priesters und Exorzisten hat Gewicht", sagt die Religionswissenschaftlerin. In den vergangenen zehn Jahren seien eine ganze Reihe von Publikationen von Exorzisten erschienen, die sich mit dem Erkennen von Besessenheit beschäftigen. Darin finden sich Haltungen, in denen fast alles verteufelt wird – auch psychische Krankheiten und alles, was von einem gesunden Zustand abweicht. "Vieles, was nicht dem gottgewollten Leben entspricht, wird dem Teufel zugeschrieben", betont Bauer. Amorth selbst war für seine eher konservative Haltung bekannt: Entweder wird zwischen Gut und Böse unterschieden, oder alles, was moralisch und katholisch ist, erscheint als gut, alles andere als dämonisch.
Auf die Frage, woher die Idee kommt, von Besessenheit zu sprechen, wenn man sich beim Beten langweilt, hat sie eine ungefähre Antwort. Diese führt zum Rituale Romanum von 1614, wo in einem eigenen Kapitel über den Exorzismus vier Hauptkriterien aufgeführt sind, die schon relativ früh festgelegt wurden. Dazu gehören das Sprechen in fremden Sprachen, das Wissen um Dinge, die man eigentlich nicht wissen kann, sowie übernatürliche Kräfte. Der vierte Punkt, so Bauer, ist im Laufe der Zeit immer mehr in den Fokus gerückt und hat mit einer Abneigung gegen christliche Symbolik und Gebete zu tun. "Dort, wo man einen inneren Widerstand dagegen findet, könnte man in diesem Deutungsspektrum von Besessenheit sprechen". Dahinter stecke aber noch etwas anderes, so die Religionswissenschaftlerin.
Kritische Auseinandersetzung mit dem Thema nötig
Eine weitere Gefahr frei zugänglicher Ratgeber sieht die Religionswissenschaftlerin darin, dass Leidende aufgrund solcher Deutungen andere Erklärungsmodelle oder gar Krankheiten ausschließen. "Für viele ist es leichter zu ertragen, dass das Leiden irgendwie dämonisch verursacht ist, als sich kritisch mit seinen inneren Prozessen, seiner Lebensgeschichte oder seinem sozialen Umfeld auseinanderzusetzen", sagt sie. Das Feld der Literatur zu Exorzismen sei sehr unübersichtlich. Dabei gebe es in der religiösen Landschaft den Trend der Ratgeberliteratur, wo nicht mehr theologisch reflektiert, sondern Dinge in Form von Selbsthilfe massenhaft verbreitet werden. Ähnliches geschieht derzeit auch im Bereich des Exorzismus. Zahlreiche Ratgeber und Bücher von Priestern, die sich damit beschäftigen, überschwemmen den Markt. Kontrollieren könne man das nicht mehr, aber die Kirche könne sich kritisch damit auseinandersetzen und benötigt unbedingt mehr Forschung in diesem Bereich, insbesondere auch an Theologischen Fakultäten, so Bauer. "Man wird es nicht ganz abschaffen können, deshalb braucht es die Bereitschaft, sich kritisch damit auseinanderzusetzen", so die Religionswissenschaftlerin.
Die italienische Theologin Alexandra von Teuffenbach sagt im Gespräch mit katholisch.de, die meisten Fälle seien psychiatrischer Natur – "von Besessenheit ist da nicht die Rede, das ist sehr selten". Von Teuffenbach veröffentlichte 2007 das Buch "Der Exorzismus: Befreiung vom Bösen" und gilt als Expertin auf dem Gebiet. "Wie der Teufel wirkt und wie er aussieht, ist frei – das lässt sich nicht definieren. Auch die Besessenheit ist nicht dogmatisch festgelegt", sagt sie. Manchmal werde sie gefragt, ob sie an den Exorzismus glaube. "Aber der Exorzismus ist keine Glaubensfrage, sondern eher eine Frage, ob man es für wahr hält, dass ein Mensch vom Teufel besonders gestört werden kann", sagt von Teuffenbach. Sie halte das zwar für möglich, was aber nicht bedeute, dass sie beurteilen könne, ob es sich um Besessenheit handele. Die katholische Kirche habe dafür Mittel wie das Gebet, das zum "normalen Glaubensleben" gehöre. Auch eine geistliche Begleitung könne helfen oder ein Priester, der speziell für eine Person bete. Das werde in Deutschland noch toleriert, sagt sie. Anders sei es beim Exorzismus. Da gehe es nicht so sehr um ein einfaches Gebet, sondern darum, dem Teufel zu befehlen, den Menschen in Ruhe zu lassen.
In Deutschland werden Teufelsaustreibungen durch katholische Exorzisten jedoch nur selten in Anspruch genommen, während die Situation in Italien oder Polen anders aussieht. Nach einer Schätzung würden in Italien jährlich etwa eine halbe Million Menschen Hilfe suchen. In Deutschland bemüht sich die katholische Kirche um einen eher nüchternen Blick. Zwar müsse man die spirituellen Bedürfnisse der Menschen, die um einen Exorzismus bitten, ernst nehmen, aber die Hilfe dürfe nicht nur auf das Spirituelle reduziert werden. Dazu gehöre zum Beispiel auch ein medizinischer Blick. Ein Exorzist müsse nach den geltenden Richtlinien des Vatikan zunächst prüfen, ob eine Besessenheit vorliege. Um schließlich den so genannten "Großen Exorzismus" durchführen zu können, bedarf es dann der Erlaubnis des jeweiligen Ortsbischofs.
Eine bittere Erfahrung mit der Exorzismus-Praxis musste die Kirche in Deutschland allerdings 1976 machen: Eine junge Frau, die fränkische Studentin Anneliese Michel aus Klingenberg, starb an Unterernährung, nachdem vor ihrem Tod dutzende Male der Große Exorzismus gebetet worden war. Der Fall sorgte international für Schlagzeilen und kontroverse Diskussionen. So sind in den 27 deutschen Diözesen nur wenige Exorzisten bekannt, während sie sich in Italien laut von Teuffenbach nicht scheuen, öffentlich als solche aufzutreten. Nach geltendem Kirchenrecht müssen sich solche Geistliche durch Frömmigkeit, Wissen, Klugheit und einen untadeligen Lebenswandel auszeichnen. Ob es allerdings fromm und klug ist, dass solche Leitfäden zu dem Thema frei zugänglich sind und in den falschen Händen erheblichen Schaden anrichten können, muss an dieser Stelle unbeantwortet bleiben. Ein Verbot solcher Literatur wird von beiden Expertinnen abgelehnt. Hinsichtlich der Leitfäden scheint jedoch ein ungedeckter Aufklärungsbedarf zu bestehen, ebenso eine theologische Reflektion, die sich kritisch mit dem Thema auseinandersetzt und es dementsprechend beleuchtet. Auf der anderen Seite dürfe man aber auch die Leidenden und ihr Leiden nicht abweisen oder gar ignorieren.