Kritik an mangelnder Unabhängigkeit

Medien: UN-Menschenrechtsbeschwerde gegen Vatikan-Justiz

Veröffentlicht am 18.06.2024 um 12:51 Uhr – Lesedauer: 

London/Genf ‐ Ende vergangenen Jahres standen im Vatikan zehn Angeklagte wegen Finanzdelikten vor Gericht. Neun von ihnen wurden verurteilt, darunter Kardinal Becciu. Nun legte der Ex-Anlagenverwalter des Staatssekretariats Beschwerde gegen den Vatikan ein.

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Der Investmentmanager Raffaele Mincione, der im Mittelpunkt des Londoner Immobilienskandals und des Prozesses gegen ihn im Vatikan steht, hat bei den Vereinten Nationen formell Beschwerde eingelegt. Mincione behauptet laut Medienberichten, dass ihm im laufenden Prozess gegen den Vatikan seine Rechte verweigert worden seien. Ebenso kritisiert Mincione angebliche Verfahrensverstöße während der mehr als dreijährigen Ermittlungen.

Der Italiener war von 2014 bis 2018 als Investmentmanager für das vatikanische Staatssekretariat tätig. Laut dem Internetportal "The Pillar" enthält die Beschwerde an das Büro der UN-Sonderberichterstatterin zur Unabhängigkeit von Richtern und Rechtsanwälten auch eine Wiederholung früherer juristischer Kritik an den von Papst Franziskus 2019 genehmigten Durchsuchungsbefehlen, mit denen die Ermittlungen geführt wurden. Dazu gehörten vier Exekutivakte, sogenannte Reskripte, die die elektronische Überwachung bestimmter Verdächtiger durch das Gendarmeriekorps für einen begrenzten, aber verlängerbaren Zeitraum erlaubten. Damit sollte der Schutz der Ermittlungsergebnisse gewährleistet werden.  

Mincione war einer von zehn Angeklagten, die wegen Finanzdelikten vor Gericht standen, darunter Kardinal Angelo Becciu, ein ehemaliger enger Berater von Papst Franziskus. Der Vatikan hatte Mincione vorgeworfen, über einen von ihm verwalteten Fonds den Preis für eine 124 Millionen Pfund teure Investition in ein ehemaliges Lagerhaus in Chelsea in die Höhe getrieben zu haben. Neun der Angeklagten wurden verurteilt. Obwohl Mincione von der Staatsanwaltschaft des Vatikans wegen einer Reihe von Finanzdelikten, darunter Veruntreuung, Betrug, Amtsmissbrauch und Geldwäsche, angeklagt worden war, wurde er in fast allen Anklagepunkten freigesprochen. Er wurde jedoch für schuldig befunden, 200 Millionen US-Dollar des vatikanischen Staatssekretariats "unrechtmäßig verwendet" zu haben, heißt es in Medienberichten. Das Geld stand nach vatikanischem Recht nicht für Investitionen zur Verfügung, weshalb das Gericht von Veruntreuung und Geldwäsche sprach. Mincione soll damit als Vermögensverwalter einen Gewinn erzielt haben. 

Kritik am vatikanischen Justizsystem

Wie das Portal "The Pillar" berichtet, beteuerte Mincione während des gesamten Verfahrens seine Unschuld und sagte in einem Interview mit dem Portal, er werde zum Sündenbock für einen vatikaninternen Korruptionsskandal gemacht. Die Immobilie sei von unabhängigen Gutachtern bewertet worden. Außerdem kritisierte er den Vatikan dafür, keine Beweise für sein Fehlverhalten vorgelegt zu haben – was auch der britische Anwalt Rodney Dixon aufgriff, der im Namen Minciones die Beschwerde bei der UN-Sonderberichterstatterin einreichte. Dixon, ein führender Menschenrechtsanwalt, kritisierte das Justizsystem der Vatikanstadt wegen mangelnder Unabhängigkeit und der fehlenden Möglichkeit für die Verteidigung, Zugang zu allen möglichen entlastenden Beweisen zu erhalten. Unter anderem bezeichnete Dixon den Papst als "Täter" von Menschenrechtsverletzungen, da er persönlich "das illegale Abhören von Minciones Telefon genehmigt" habe. Der Vatikan betonte gegenüber der britischen Zeitung "Telegraph", angemessen und gesetzeskonform gehandelt zu haben. Der Vatikansprecher sagte, die Rechtmäßigkeit der Ermittlungen und die Übereinstimmung des vatikanischen Justizsystems mit den Grundsätzen eines fairen Verfahrens "seien von verschiedenen ausländischen Gerichten anerkannt worden". 

Einer der Angeklagten, Kardinal Angelo Becciu (75), wurde am 16. Dezember 2023 von einem vatikanischen Strafgericht wegen mehrerer schwerer Finanzdelikte zum Nachteil des Vatikans zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Bei der Summe von 200.000 Millionen US-Dollar handelte es sich damals um rund ein Drittel des Gesamtvermögens des vatikanischen Staatssekretariats. Dennoch habe Becciu nicht geprüft, ob die Voraussetzungen für eine solche Investition überhaupt gegeben waren. An den weiteren betrügerischen Machenschaften im Zusammenhang mit dieser Investition war Becciu nicht schuldig. Die Beteiligten wurden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. (mtr)