Glocke aus, Ewiges Licht gelöscht und die Orgel erklingt zum letzten Mal

Kirchenabschied mit der Gemeinde: "Schmerzlich, aber notwendig"

Veröffentlicht am 16.07.2024 um 00:01 Uhr – Von Madeleine Spendier – Lesedauer: 

Herne ‐ Gleich drei Kirchengemeinden im pastoralen Raum St. Dionysius in Herne haben nun für immer geschlossen. Auch für den Leitenden Pfarrer Nils Petrat war das ein emotionaler Abschied. Die Gläubigen konnten in einem letzten Gottesdienst ihren Gefühlen genügend Raum geben.

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Ende Juni war es soweit. Gleich drei Kirchen aus dem pastoralen Raum Sankt Dionysius in Herne im Erzbistum Paderborn wurden in kürzester Zeit und nacheinander geschlossen. In jeder der Kirchen konnten die Gläubigen sich verabschieden und ein letztes Mal einen regulären Gottesdienst mitfeiern. Das war für manche ein trauriger Moment. Was beim Abschiednehmen wichtig war und wie die Feiern genau abliefen, darüber spricht der Leitende Pfarrer Nils Petrat im Interview mit katholisch.de.

Frage: Herr Pfarrer Petrat, was hat dazu geführt, dass Sie gleich drei Kirchen auf einmal schließen mussten?

Pfarrer Petrat: Dass wir unsere drei Kirchen Sankt Elisabeth, Sankt Barbara und Sankt Konrad geschlossen haben, erfolgte im Rahmen der sogenannten Immobilienvereinbarung, die unsere Pfarrei mit dem Erzbistum Paderborn geschlossen hat. Alle drei Kirchen gehörten zur Großpfarrei St. Dionysius in Herne und waren immer schon eher kleinere Gemeinden. Wir haben insgesamt zehn Kirchorte hier und haben nun drei weniger. Die Kirchengebäude lagen zum Teil sehr nahe beieinander. So steht die Kirche Sankt Elisabeth nur 700 Meter entfernt von unserer größeren Pfarrkirche. Da gab es schon die berechtigte Frage, braucht es im gleichen Stadtquartier zwei Kirchen? Diese Kirchen wurden in den 1950er und 1960er Jahren gebaut, auch für Menschen, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus Schlesien kamen und hier im Bergbaugebiet Arbeit fanden. Sie brachten ihren lebendigen Glauben mit und aus einer Aufbruchsstimmung heraus erfolgten die Neubauten. Heute ist das anders. In Zeiten, wo immer weniger Menschen in die Kirche gehen, braucht man nicht mehr so viele Kirchorte. Da müssen wir realistisch bleiben.

Frage: Für Sie als Leitender Pfarrer ist das dennoch bestimmt ein schmerzlicher Prozess gewesen?

Petrat: Ja. Ich bin erst seit einem Jahr an dieser Stelle und habe die Aufgabe von meinem Vorgänger geerbt. Gleich als neuer Pfarrer mit den Kirchenschließungen zu beginnen, das war schon ein steiler Einstieg. Die Generationen vor uns haben die Kirchen aufgebaut und ich gehöre zu der Generation, die die Kirchen wieder schließen muss. Das tut schon weh. Aber so schön die Kirchen sind, es bringt nichts. Es ist schmerzlich, aber notwendig. Auch weil das pastorale Personal fehlt. Außerdem müssen wir unsere Kräfte bündeln, um wieder mehr Sichtbarkeit in unserer säkularen beziehungsweise mittlerweile muslimisch geprägten Stadt zu erreichen und echte Gemeinschaft erfahrbar zu machen. Das geht nicht an zehn Orten. Daher haben wir drei würdige Abschiedsgottesdienste mit den jeweiligen Gemeinden gefeiert.

Frage: Was war Ihnen bei den Abschiedsgottesdiensten wichtig?

Petrat: Viele Menschen aus der Gemeinde haben sich gewünscht, dass es eine normale Messe wird, also kein Requiem mit Trauerflor. Wir haben die Feiern stimmungsvoll gestaltet, begleitet mit Trompete oder einem Chor. In den Texten und Gebeten wurde genügend Raum für Emotionen gelassen. Wir haben versucht, zu würdigen, was an Gutem da war, aber auch den Schmerz anzuschauen. Die Gottesdienste waren bewegend und mit viel Trauer verbunden. Für manche, vor allem die älteren Kirchenbesucher, war das ein riesen Einschnitt. Manche sind hier in der Nähe der Kirche aufgewachsen, die Kirche bedeutete für sie Heimat. Ich habe dann in der Kirche eine Abschiedsmeditation gehalten und die Menschen auf eine innere Reise geschickt. Sie konnten sich nochmals für alles bedanken, was sie da an Gutem erlebt haben wie eine Taufe oder eine Hochzeit, Dann war Zeit, sich nochmals in besondere Ecken zu stellen, eine Heiligenfigur zu berühren oder sich noch einmal auf den Lieblingsplatz zu setzen. Wir haben jedem so viel Zeit gelassen, wie er brauchte, um sich von der Kirche zu verabschieden. Es gab aus jeder Gemeinde jemanden, der sich dann noch ans Mikrofon stellte und persönliche Eindrücke mit den anderen teilte oder ein Gebet sprach. Und dann kam jedes Mal der Moment der Abschiedszeremonie.

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Frage: Was war das für eine Abschiedszeremonie?

Petrat: Wir haben die Glocken zum letzten Mal geläutet, die Orgel ein allerletztes Mal erklingen lassen und am Schluss der Messe das Ewige Licht ausgelöscht. In allen drei Kirchen wurde dann am Ende der Tabernakel geleert und das Allerheiligste herausgenommen, in einer Prozession hinausgetragen und später dann in eine andere Kirche gebracht.

Frage: Gab es dabei Tränen?

Petrat: Ja, die gab es. Vor allem beim Auszug aus der Kirche. In einer Kirche wurde währenddessen das Lied "Time to say Goodbye" gespielt. Ich konnte beim Hinausgehen in einer der Kirchen sehen, dass mehr als die Hälfte aller Kirchenbesucher, es waren etwa 130 Leute da, geweint hat. Auch in den beiden anderen Abschiedsgottesdiensten war das so. Manche haben aus Trauer geweint und manche aus Dankbarkeit. Und bei manchen war es eine gewisse Erleichterung. Wir habe so lange darauf hingearbeitet, jetzt war der Moment da. Es war so, als würde eine schwere Last von den Schultern fallen, weil wir den letzten Schritt nun endlich gefeiert und abgeschlossen haben. Nach den Gottesdiensten gab es jeweils einen Empfang in der Kirche. Es gab etwas zu trinken und die Leute konnten dann nochmals durch die Kirche gehen und in Ruhe Abschied nehmen. In Stille und im Gebet. Viele blieben länger da. Ein Mann wollte zum Beispiel noch einmal die Sakristei sehen, weil er als Kind Ministrant war. Das hat mich berührt. Es fiel manchen richtig schwer, das letzte Mal endgültig aus der Kirche zu gehen.

Frage: Wurde auch das Thema Missbrauch beim Verabschieden der Kirchorte eingebracht?

Petrat: Weil es nicht explizit angesprochen wurde, habe ich es nicht aktiv aufgegriffen. Ich bin mir aber bewusst, dass es der Fall sein könnte und es zum Beispiel Missbrauch durch einen früheren Pfarrer in einer Kirchengemeinde gegeben haben könnte. Bislang habe ich keine Hinweise darauf erhalten. Es gab viele positive Geschichten über die Seelsorger, die vor mir da waren. Dennoch will ich Negatives nicht ausschließen. Wir haben in den Gottesdiensten darum gebeten, falls jemand, der in der Kirchengemeinde Schaden erlitten hat, das versöhnt annehmen kann. Es hatte alles da Platz.

Frage: Jetzt ist die Kirche abgeschlossen und zu?

Petrat: Ja, jetzt ist die Kirchentüre zu und für Besucher nicht mehr zugänglich. Es ist uns wichtig, dass sie nun endgültig zu ist. Auch das Geläute ist komplett abgestellt worden. Die Glocke erklingt jetzt weder zum Angelus-Gebet noch zum Stundenklang. Diesen Schritt haben wir bewusst gesetzt. Für die Menschen, die in der Nachbarschaft der Kirchen wohnen, ist das ungewohnt, weil sie morgens mit der Glocke zum Angelus geweckt worden sind. Das ist nun vorbei. Es findet in den geschlossenen Kirchen nichts mehr statt. Außer, wenn ein Bischof oder ein anderer Vertreter des Bistums hierher kommen sollte, um den rein formalen Profanierungsakt, also die Entweihung, zu vollziehen und die Reliquien zu entfernen und das Dekret der Auflösung zu verlesen. Auch den Kirchenschlüssel haben wir abgegeben. Jetzt ist Schluss in den Kirchen dort.

Frage: Was soll mit den geschlossenen Kirchengebäuden nun in Folge geschehen?

Petrat: Zwei der Kirchengebäude werden umgenutzt werden und eine der Kirchen, das ist die Sankt Barbarakirche, wird abgerissen werden, weil sie nicht unter Denkmalschutz steht. So ist momentan der Plan. Das wird bestimmt dann nochmals schwer werden, wenn diese Kirche abgerissen wird. Zugleich ist es mir wichtig, aufzuzeigen, dass wir gleichzeitig neue Projekte anstoßen wie das Kinderkirchenzentrum und ein neues gesamtgemeindliches Gottesdienstzentrum in der Stadt Herne. Also wir schließen etwas und gleichzeitig entsteht etwas Neues. Wir beginnen dort noch einmal neu etwas aufzubauen. Kirche besteht nicht nur aus Steinen, Wänden und Gebäuden, sondern vor allem aus Menschen. Wir brauchen weiterhin Orte und Oasen, wo wir hingehen können, um zu beten, eine Kerze anzuzünden und einander zu begegnen. 

Von Madeleine Spendier