Pater Thomas Hollweck leitet künftig Zentraleuropäische Jesuitenprovinz

Neuer Jesuitenprovinzial: Müssen manche Einrichtungen aufgeben, aber…

Veröffentlicht am 31.07.2024 um 00:01 Uhr – Von Christoph Brüwer – Lesedauer: 

München ‐ Der Jesuitenorden ist der größte Männerorden der Welt. Provinzial der Jesuiten in Zentraleuropa ist ab heute Pater Thomas Hollweck. Im katholisch.de-Interview spricht er über Nachwuchssorgen seines Ordens, den Jesuiten Papst Franziskus und einen ignatianischen Blick auf Kirchenreformen.

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Am heutigen Gedenktag des Heiligen Ignatius von Loyola, dem 31. Juli, tritt der neue Provinzial der Zentraleuropäischen Provinz der Jesuiten sein Amt an. Die Spiritualität des Ordensgründers ist aus Sicht von Pater Thomas Hollweck auch heute noch wertvoll – etwa wenn es um die Frage nach Reformen in der Kirche geht. Im katholisch.de-Interview spricht der Provinzial aber auch darüber, wie der Orden mit geringer werdenden Mitteln arbeiten will und was ihm selbst Hoffnung mit Blick auf die Zukunft macht.

Frage: Pater Hollweck, bevor Sie zum Provinzial ernannt wurden, waren Sie neun Jahre lang Novizenmeister in Ihrer Ordensprovinz. Sie haben also guten Einblick in den Ordensnachwuchs. Warum wollen heute immer weniger junge Menschen Jesuit werden?

Hollweck: Die Umstände haben sich verändert, für uns Jesuiten wie für alle Ordensgemeinschaften und die Kirche insgesamt. Vor 20 oder 30 Jahren haben junge Menschen noch mehr Zustimmung von Freunden, Familie und Bekannten dafür bekommen, wenn Sie den Weg in den Orden oder zum Priester angetreten haben. Heute gibt es oft eher Fragezeichen. Wenn also jemand vor 20 bis 30 Jahren an der Schwelle stand, ob er diesen Weg gehen soll oder lieber nicht, hat er sich vielleicht eher dazu entschieden, es zu versuchen. Heute muss man deswegen schon sehr mutig sein, um bei all den Fragen zu sagen: "Ja, ich gehe diesen Weg." Und ich habe großen Respekt vor diesen Menschen.

Frage: Wer heute Jesuit wird, muss also mutiger sein als Sie bei Ihrem Eintritt vor über 30 Jahren?

Hollweck: Ja, wer in eine Ordensgemeinschaft eintreten will, wer Priester werden will oder wer einfach in seinem Freundeskreis sagt "Ich bin überzeugter Christ", muss heute mehr Mut haben als in früheren Generationen.

P. Thomas Hollweck SJ ist Nachfolger von Pater Bernhard Bürgler SJ
Bild: ©SJ-Bild/Walter Glück

Pater Thomas Hollweck (links) ist Nachfolger von Pater Bernhard Bürgler (rechts) als Provinzial der Zentraleuropäischen Jesuitenprovinz. Bürgler war der erste Provinzial, der 2021 gegründeten Ordensprovinz.

Frage: Die Verkündigung des Evangeliums ist eines der Hauptanliegen Ihres Ordens. Sie müssen aber immer wieder Niederlassungen schließen – zuletzt etwa nach fast 100 Jahren die Hochschulpastoral an der Universität München, wo Sie selbst mehrere Jahre gewirkt haben. Wie kann denn Verkündigung des Evangeliums heute aussehen, wenn Ihr Orden sich eher zurückziehen muss?

Hollweck: Es ist tatsächlich eine der großen und schwierigen Fragen, in welchen Bereichen wir wie weitermachen können und wollen. Ich fand es sehr bitter, dass wir uns aus der Münchener Hochschulpastoral zurückziehen mussten, aber da sind uns einfach Grenzen gegeben. 2019 hat sich unser Orden in einem weltweiten Prozess vier apostolische Präferenzen gegeben. Der erste Schwerpunkt ist der spirituelle Bereich, die Beziehung zu Gott, das Gebet, Exerzitien, die Unterscheidung der inneren Regungen. Einer unserer Schwerpunkte als Jesuiten ist es, das zu leben und anderen Menschen davon etwas mitzugeben. Die zweite Präferenz bezieht sich auf die Arbeit mit jungen Menschen, um sie auf ihrem Weg zu begleiten. Punkt drei betrifft das Eintreten für benachteiligte Menschen, in unserer Provinz beispielsweise durch den Flüchtlingsdienst und schließlich der Einsatz für die Schöpfung und das Klima. Dann schauen wir, wie wir diese Punkte verwirklichen können.

Frage: Gehört die Arbeit in einer Hochschulgemeinde nicht genau da rein?

Hollweck: Ja. Trotz allem bleiben aber bittere Entscheidungen, weil wir Jesuiten in unserer Provinz sehr viele Standorte und Einrichtungen aufgebaut haben und tragen, die einen großen Wert haben und nah bei den Menschen sind: Schulen, Hochschulen, Exerzitien- und Tagungshäuser, Zukunftswerkstätten und Jugendzentren, Freiwilligendienste, Flüchtlingshilfe und internationale Hilfsprojekte. Es sind großartige Werke entstanden, die wir am liebsten alle weiterführen würden.

Frage: In der Pressemitteilung Ihrer Ordensprovinz ist die Rede von einer "gemeinsamen Sendung" und der Zusammenarbeit von Männern und Frauen, die Ihrem Orden nicht angehören. Mutet man denen da nicht ein bisschen viel zu, wenn sie auch noch die missionarischen Aufgaben Ihres Ordens übernehmen sollen?

Hollweck: Man muss diesen Punkt aus meiner Sicht differenziert aber zugleich entschlossen in den Blick nehmen. Es gibt Menschen, die bei uns mitarbeiten und irgendwann Feierabend machen und das ist auch gut so. Es gibt aber auch Menschen, die sich sehr stark mit der ignatianischen Spiritualität verbunden fühlen, die vielleicht Exerzitien anbieten wollen. Das wahrzunehmen, auszubalancieren und allen gerecht zu werden, ist eine wichtige Aufgabe, bei der wir noch unterwegs sind.

Frage: Jemand, bei dem diese ignatianische Spiritualität auch immer wieder durchscheint, ist Papst Franziskus. Mit ihm ist erstmals ein Jesuit Kirchenoberhaupt. Ist er so etwas wie das beste Maskottchen oder Aushängeschild für Ihren Orden?

Hollweck: Wir Jesuiten haben ein besonderes viertes Gelübde, wonach wir den Sendungen des Heiligen Vaters jederzeit zur Verfügung stehen. Ob der Papst ein früherer Diözesanbischof ist, Jesuit oder einem anderen Orden angehört, spielt für unsere Treue zu ihm keine Rolle. Es ist wichtig, dass wir auf seine Impulse hören und sie beachten.

Frage: Wie viel Jesuit steckt denn noch in Papst Franziskus?

Hollweck: Wenn ich auf unsere vier Schwerpunkte zurückkomme: Die wurden vom Papst in Kraft gesetzt. Dabei hat er uns aufgetragen, dass der erste Schwerpunkt der wichtigste ist: Es geht um den Gotteskontakt, es geht um das Gebet, es geht um die Unterscheidung. In so einem Punkt merkt man, dass er Jesuit ist und den Orden und seine Spiritualität gut kennt.

Frage: Sie haben die Unterscheidung angesprochen. Diese Methode prägt ja auch die Weltsynode – und hat bereits dazu geführt, dass Reformhoffnungen, die an den Papst herangetragen wurden, vorerst enttäuscht werden. Dient ignatianische Spiritualität hier nicht eher als Verzögerungstaktik?

Hollweck: Bei Ignatius ist Trost ein wichtiges Kriterium. Als Trost empfindet er alles, wo Hoffnung wächst, wo Liebe spürbar wird, wo innerer Friede und Zuversicht entstehen und mehr Ruhe einkehrt. Das gilt für einen einzelnen Menschen genauso wie für eine Gruppe, eine Gemeinschaft oder die gesamte Weltkirche. Wenn man also merkt, dass bei einem bestimmten Thema nicht mehr Friede entsteht, keine Ruhe kommt und sich kein Trost einstellt, dann würde der Heilige Ignatius sagen: Nimm dir noch mehr Zeit zu beten und um diese inneren Regungen zu unterscheiden. Versuche, dich noch mehr auf Gott auszurichten.

Der neue Provinzial der Jesuiten in Zentraleuropa, Pater Thomas Hollweck, bei einer Predigt
Bild: ©SJ-Bild/Walter Glück

Eine Stelle aus dem Korintherbrief gibt Provinzial Pater Thomas Hollweck Hoffnung: "Ich betrachte mich selbst als zerbrechliches Gefäß, gerade zu Beginn einer solchen großen Aufgabe", sagt er im Interview. "Gleichzeitig kommt die Kraft nicht von uns, sondern von Gott. Daran glaube ich, und das stimmt mich zuversichtlich."

Frage: Was bedeutet das für konkrete Reformforderungen, etwa was die Weihe von Frauen in der Kirche angeht?

Hollweck: Ich glaube, dass wir in der Kirche gerade einige Themen haben, die für viel Bewegung sorgen. Es ist eine Herausforderung, dieses große Spannungsfeld zwischen schnellen Entscheidungen, für die noch nicht alle Herzen bereit sind, und dem ewigen Aufschieben von Entscheidungen auszuhalten. Da einen mittleren Weg zu finden, ist nicht einfach. Trost im ignatianischen Sinn kann man aber nicht erzwingen, man kann höchstens auf die Rahmenbedingungen schauen. Ein weiteres Wort, das Ignatius betont, ist die innere Freiheit. Da ist die Frage, ob wir als Gemeinschaft und auch als einzelne innerlich frei sind. Oder hängen wir an politischen Positionen und wenn sich die nicht durchsetzen, gehen die einen, und wenn sie sich durchsetzen, gehen die anderen? Die katholische Kirche ist ein riesiges Schiff, das sich nicht so einfach bewegen kann, wie ein kleines Bötchen.

Frage: In der Mitteilung Ihrer Ordensprovinz werden Sie mit den Worten zitiert: "Ich finde, wir dürfen mit einer starken Hoffnung in die Zukunft gehen." Was macht Ihnen so große Hoffnung?

Hollweck: Es gibt eine Stelle im Korintherbrief des Apostels Paulus, in dem davon die Rede ist, dass wir den göttlichen Glanz auf Jesu Antlitz erkennen und uns davon inspirieren und leiten lassen können. Diese Erkenntnis tragen wir in zerbrechlichen Gefäßen. Das ist für mich ein sehr tröstliches Bild, weil es besagt, dass keiner von uns Gewissheit hat. Ich betrachte mich selbst als zerbrechliches Gefäß, gerade zu Beginn einer solchen großen Aufgabe. Gleichzeitig kommt die Kraft nicht von uns, sondern von Gott. Daran glaube ich, und das stimmt mich zuversichtlich.

Frage: Sie sagen in der Pressemitteilung auch, dass es wunderbar wäre, Luft und Gottvertrauen zu bekommen, um miteinander Neues zu überlegen und zu beginnen. Was schwebt Ihnen denn da konkret vor?

Hollweck: Es gibt zunächst auf jeden Fall Altes, das wir bewahren sollten, Altes, das wir verändern sollten und Altes, das wir aufgeben müssen, um etwas mehr Luft zu bekommen. Neben den vier Schwerpunkten, die der Orden sich gegeben hat, würde ich daher gar nicht so viel Neues erfinden wollen, sondern eher schauen, welches Gefäß geeignet ist. Wenn wir aber in der Unterscheidung in unserer Gemeinschaft der Jesuiten und auch zusammen mit anderen Männern und Frauen merken, dass wir etwas entdecken, dann hoffe und bete ich, dass wir den Mut haben, solche Entdeckungen auch umzusetzen.

Von Christoph Brüwer