Bundesrat will Gesetzentwurf zur Widerspruchslösung bei Bundestag einreichen

Sozialethiker Nass: Auch Nicht-Organspender können gute Christen sein

Veröffentlicht am 08.08.2024 um 12:51 Uhr – Lesedauer: 

Köln ‐ Seit Jahren wird über die geringe Bereitschaft zur Organspende in Deutschland diskutiert. Auch die Widerspruchslösung ist wieder auf der politischen Tagesordnung. Für den Moraltheologen Elmar Nass ist sie aber kein überzeugender Weg.

  • Teilen:

Der Kölner Sozialethiker Elmar Nass sieht in der Widerspruchslösung zur Organspende keine moralisch befriedigende Antwort. "Die Organspende ist auch aus christlicher Sicht ein verdienstvoller Liebesakt", schreibt Nass in einem Beitrag auf der Homepage des Erzbistums Köln (Donnerstag). Die Organspende sei daher weder erzwingbar noch unbedingte Pflicht. "Auch der kann ein guter Christ sein, der nicht Organspender ist", so Nass. "Ein überzeugender Weg aus dem Dilemma der Not ist nicht in Sicht."

Der 2019 vom damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gemachte Vorschlag einer Widerspruchslösung stehe nun wieder auf der politischen Tagesordnung, so der Moraltheologe. "Und dabei sollte es nicht zuerst um politische Interessen gehen, sondern um ethische Argumente", schreibt Nass. "Hier müssen sich Christen einbringen."

Lehramtliche Klarstellung wünschenswert

Nass betont, dass bereits die Frage danach umstritten sei, wann der Mensch tot sei. "Keineswegs ist aus medizinischer Sicht evident, dass der Hirntod ein sicheres Anzeichen des eingetretenen Todes ist." Eine Explantation dürfe aber nur nach dem eindeutigen Tod des Spenders durchgeführt werden. "Denn es darf nicht das eine Menschenleben durch das Auslöschen eines anderen Menschenlebens gerettet werden." Eine transparente Diskussion über das Hirntodkriterium hält Nass daher für moralisch geboten. "Aus katholischer Sicht wünschte man sich vielleicht auch eine lehramtliche Klarstellung", so der Moraltheologe. "Ohne sie bleibt unsere Gewissensentscheidung das Maß des Urteils."

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.

Positiv an der Widerspruchslösung zu bewerten sei, dass damit mehr Implantate zu erwarten wären und menschliche Not so gelindert werden könne. So ließe sich auch ein krimineller Handel und ein Schwarzmarkt für Organe austrocknen. Nass fürchtet gleichzeitig einen Rechtfertigungsdruck für den Widerspruch. "Damit besteht die Gefahr eines Dammbruchs, durch den sich auf einer schiefen Bahn schleichend eine Kultur des Zwanges durchsetzt", so Nass. "Die 'Spende' ist keine Spende mehr."

Die Widerspruchslösung, die in anderen europäischen Ländern bereits gilt, sieht vor, dass Menschen aktiv widersprechen müssen, wenn sie nicht wollen, dass ihre Organe nach dem Tod transplantiert werden dürfen. Seit 2012 gilt in Deutschland eine Entscheidungslösung. Zum Spender werden dadurch nur für hirntot erklärte Menschen, die ihren Spendewunsch vorher ausdrücklich kundgetan haben. Seit Jahren reichen die in Deutschland gespendeten Organe nicht aus, um den Bedarf zu decken. Der Bundesrat hatte im Juli beschlossen, einen Gesetzentwurf zur Widerspruchslösung beim Bundestag einzubringen. (cbr)