Bochumer Pastoraltheologe fordert bessere Kommunikation der Kirche zu Heiligem Jahr

Sellmann über Heiliges Jahr: "Eine Rom-Reise macht etwas mit einem"

Veröffentlicht am 31.08.2024 um 00:01 Uhr – Von Angelika Prauß (KNA) – Lesedauer: 

Bochum ‐ 2025 findet das nächste Heilige Jahr in Rom statt – und Papst Franziskus hat alle Gläubigen zu einem Besuch in die Ewige Stadt eingeladen. Der Theologe Matthias Sellmann lobt im Interview den Aufruf des Kirchenoberhaupts.

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Im Heiligen Jahr 2025 werden allein aus Deutschland 1,5 Millionen Pilger in Rom erwartet. Matthias Sellmann, Leiter des Bochumer Zentrums für angewandte Pastoralforschung (zap), sieht darin eine große Chance. Im Interview erklärt er, warum das Ereignis nicht nur etwas für den "Inner Circle" der Katholiken ist, warum die Kirche nicht mit dem Sündenerlass werben und warum man sich über den Pilgeransturm in Rom freuen sollte.

Frage: Herr Professor Sellmann, welche Relevanz hat das Heilige Jahr heute noch?

Sellmann: Es ist äußerst positiv und sinnvoll, dass der Papst zum Heiligen Jahr einlädt und dass es überhaupt ein Heiliges Jahr gibt. Auch wenn es wohl nichts ist, das jemand völlig vermisst, wenn es nicht stattfinden würde. Es ist ja so: Die Kirche sollte immer Zugänge zum Heiligen bieten und kreativ und attraktiv zeigen, wie sich dadurch Leben positiv verändert – auch unabhängig vom Heiligen Jahr. Das ist ihre vornehmste und wichtigste Aufgabe. Das Heilige Jahr ist eine Möglichkeit dafür. Es bietet die Chance, das Reisen mit einer Suche nach innerer Kraft zu verbinden. Rom ist ja eine faszinierende Stadt, die sich auch außerhalb der kirchlichen Ziele lohnt. Gläubige Menschen können sich mit einer Pilger- und Wallfahrtsbewegung verbinden, was für viele Menschen heute sehr relevant ist. Der Petersdom und der Papst – das sind ganz zentrale Elemente des katholischen Christentums. Rom macht sozusagen sensibler für diese Kräfte. Viele, auch nicht-religiös gebundene Menschen schätzen ja den Petersdom als eine markante Stätte, in der sie "irgendwie" näher am Heiligen, am Wertvollen sein können; vielleicht sogar Gott erfahren können.

Frage: Das Heilige Jahr ist also nicht nur etwas für einen "Inner Circle" von Katholiken, sondern hat das Potenzial, auch kirchenfernere Menschen anzusprechen?

Sellmann: Sozusagen die ganzen Details zum Heiligen Jahr – nach der lehramtlichen Bedeutung und mit allem, was damit verbunden ist – sind sicher zunächst nur etwas vom "Inner Circle" verstanden. Also für jene Menschen, die sehr entschieden katholisch sind und ein aktives Gebetsleben pflegen. Aber das Chancenreiche ist: Das Heilige Jahr spannt einen viel weiteren Bogen, unter dem sich viele versammeln können, nicht nur die ganz Entschiedenen. Wir wissen aus der Pastoraltheologie, dass Pilgern und Heilige Stätten für viele Menschen zu den letzten Gelegenheiten gehören, inneren Kräften zu begegnen und spirituell weiterzukommen. Liebhaber von Architektur oder großen Liturgien kommen dort ebenfalls auf ihre Kosten. Niemand muss alles verstehen, was mit so einem Heiligen Jahr zu tun hat – und kann trotzdem sehr davon profitieren. Ein Aspekt, den wir im Übrigen auch hierzulande in der Pastoral mehr berücksichtigen sollten.

Frage: Wie würden Sie kirchenferne Menschen neugierig machen auf das Heilige Jahr in Rom?

Sellmann: In Rom kann man Orte großer geistlicher Kraft finden; man kann dort sehr beeindruckende Kirchen und Katakomben sehen; man begegnet im Alltag vielen offensichtlich religiös motivierten Menschen, wie Priestern oder Ordensleuten. Auch den Petersplatz mit seiner umarmenden Architektur der Kolonnaden muss man einmal selbst erlebt haben. Wir wissen, dass eine Romreise etwas mit einem macht – auch bei Menschen, die sich als kirchenfern verstehen. Rom ist eine Stadt, in der man sensibler wird für die Anliegen religiöser Menschen und für religiöse Inhalte. Rom oder auch Jerusalem sind Städte, die Menschen auf ganz besondere Weise anrühren können. Auch deshalb werden sie von vielen, eben auch nichtkirchlichen oder nichtreligiösen Menschen aufgesucht.

Matthias Sellmann
Bild: ©Martin Steffen

Matthias Sellmann ist Pastoraltheologe und leitet das Zentrum für angewandte Pastoralforschung (zap) in Bochum.

Frage: In Rom werden im Heiligen Jahr täglich an die 100.000 Pilger erwartet. Droht an den religiösen Stätten nicht die Andacht verloren zu gehen, wenn sie möglicherweise überlaufen sind?

Sellmann: Manche strenggläubigen Katholiken mögen sich davon vielleicht gestört fühlen. Beim "Inner Circle" der Gläubigen beobachte ich mitunter eine Art Besitzanspruchsdenken – nach dem Motto: Das ist unser Weihnachtsfest, das ist unsere Kirche, das ist unser Papst; all das soll vor allem für uns da sein. Ihr anderen stört nur.

Frage: Ist das nicht nachvollziehbar?

Sellmann: Durchaus, aber ich möchte dieses Denken aufbrechen, denn ich empfinde es als nicht richtig. Den christlichen Glauben und Gott kennengelernt zu haben ist ein Riesenprivileg – niemals ist er aber ein Besitz oder kann mit einem Eigentumsanspruch begründet werden. Denn dieser Gott will für alle da sein. Wenn ich schon das Glück hatte, dass er sich mir in seiner ganzen Stärke gezeigt hat, dann nur deswegen, damit ich diese Erfahrung weitergebe. Ich kann zwar verstehen, dass zu viel Rummel auf die Kosten von Andacht gehen kann. Aber ich würde mich eher freuen, wenn viel Andrang ist. Denn so ist die Chance einfach größer, dass viel mehr Menschen etwas von dieser göttlichen Kraft mitbekommen. Es ist ein Grund zur Freude, wenn viele Menschen – auch nicht religiös Gebundene – noch ein Restvertrauen haben, dass sie in Rom etwas Positives für ihren Glauben und ihr Leben mitnehmen können.

Frage: Wer in Rom eine der vier Heiligen Pforten durchschreitet, dem wird ein vollständiger Sündenablass gewährt. Wirkt das nicht ein bisschen aus der Zeit gefallen?

Sellmann: Gut, dass Sie darauf zu sprechen kommen. Das meinte ich eingangs damit, dass man das Heilige Jahr geschickt, in einer klugen und einladenden Weise kommunizieren sollte. Das mit dem Sündenerlass versteht allenfalls noch der "Inner Circle". Es ist übrigens auch theologisch sehr voraussetzungsvoll. Da gibt es keinen Automatismus oder so etwas. In Zeiten, in denen wir über Missbrauchsskandale und auch über den Missbrauch des Heiligen sprechen, würde viele die Zusage eines Sündenerlass ohnehin massiv irritieren. Das Vertrauen in die Kirche und in das Heilige, das sie erschließen möchte, hat so stark gelitten! Deshalb muss man mit der Zusage eines Sündenerlasses sehr vorsichtig umgehen. Die Kirche hat selber sehr viel Schuld auf sich geladen. Sie wäre die Erste, die durch diese Heilige Pforte gehen müsste statt andere dazu aufzufordern. Diese Heiligkeitsidee kann so missverständlich werden, dass sie auch das positiv Vordergründige zerstören kann. Ich empfehle das nicht, die Einladung zum Rombesuch damit zu verbinden. Das muss gegebenenfalls auf der individuellen und seelsorglichen Ebene geschehen, da kann es dann großen Wert entfalten.

Heiliges Jahr 2025
Bild: ©Clara Engelien/KNA

Das Informationszentrum für Pilger zum Heiligen Jahr 2025 ist bereits geöffnet.

Frage: Wie fühlen sich Menschen eingeladen, zum Heiligen Jahr nach Rom zu reisen?

Sellmann: Wenn sie eine gastfreundliche Einladung bekommen – eine Einladung zu dieser göttlichen Kraft, die man dort erfahren kann, und zu einem menschenfreundlichen Papst, der eine Botschaft für die ganze Welt hat.

Frage: Stichwort Kommunikation – haben Sie den Eindruck, dass man bisher in der Kirche in Deutschland schon viel davon mitbekommen hat, dass es ein Heiliges Jahr gibt?

Sellmann: Da ist sicher noch Luft nach oben. Selbst ich, der ich ja wirklich zum "Inner Circle" gehöre, nehme das Thema eher verhalten wahr. Dabei bedenken schon jetzt viele Menschen ihre Reise- und Wallfahrtspläne für das kommende Jahr. Die Kirche sollte das Heilige Jahr mit allen Kräften kommunizieren. Schließlich kann sie den Menschen etwas sehr Wertvolles anbieten. Ich halte es für falsch, aus Scham über die Missbrauchsskandale zu wenig für das Heilige Jahr zu werben. Denn viele Menschen wünschen sich eine starke, authentische und gerade deswegen auch selbstkritische Kirche, die neu nach ihrer Glaubwürdigkeit sucht.

Frage: Verbinden Sie damit auch die Hoffnung auf Impulse für die Kirche hierzulande?

Sellmann: Ja – man sollte aber keine Fantasien bekommen wie Mitgliederrekrutierung oder die Hoffnung, dass dadurch die Gottesdienste wieder voller werden. Aber eine Romreise kann einen neuen Zugang zum Heiligen vermitteln, an dem man dann im Alltag wieder anknüpfen kann. Die Kirche und die Gemeinde vor Ort können helfen, diese neue Verbindung zu einem geschützten und positiven Heiligen aufzubauen und zu vertiefen. Das ist die Pflicht und die große Weisheit der Kirche. Hier muss sie alles, was sie hat, den Menschen anbieten – ohne damit irgendeine Erwartung zu verbinden.

Von Angelika Prauß (KNA)