Standpunkt

Müssen als Christen Extremisten in Wort und Tat entgegentreten

Veröffentlicht am 03.09.2024 um 00:01 Uhr – Von Schwester Gabriela Zinkl – Lesedauer: 

Bonn ‐ Vor 80 Jahren wurde Anne Frank nach Auschwitz deportiert. Auch heute gibt es in Deutschland wieder Bestrebungen, Menschen zu verfolgen, kommentiert Schwester Gabriela Zinkl. Gerade Christinnen und Christen müssten sich dem in den Weg stellen.

  • Teilen:

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.

"Es ist ein Wunder, dass ich nicht alle Erwartungen aufgegeben habe, denn sie scheinen absurd und unausführbar. Trotzdem halte ich an ihnen fest, trotz allem, weil ich noch immer an das Gute im Menschen glaube." Wenn die Autorin dieser Zeilen heute noch leben würde, wäre sie 95 Jahre alt. Aber es kam anders. Knapp 15 Jahre alt, starb sie im Frühjahr 1945 einen stillen und grausamen Tod, von dem keiner so richtig Notiz genommen hat. Denn am selben Tag und Ort starben Hunderte, vielleicht Tausende wie sie an Entkräftung, Unterernährung, Typhus oder im Gas, mutterseelenallein und irgendwie von Gott verlassen. Damals, kurz vor Ende der Nazi-Tyrannei, waren es viel zu viele von ihnen in Auschwitz, Bergen-Belsen, Treblinka und an all den anderen furchtbar klingenden Orten, als dass noch jemand ihre Namen und Daten hätte aufschreiben können.

Schreiben, das konnte sie, Anne Frank, das zarte Mädchen aus dem Hinterhaus, aus deren Tagebuch die eingangs zitierten Sätze stammen (Eintrag vom 15. Juli 1944). Zwei Wochen später ist sie mit ihrer jüdischen Familie von den Nazis verhaftet und am 3. September, heute vor 80 Jahren, mit dem letzten Transport von Amsterdam nach Auschwitz deportiert worden. Das Schreiben in ihr Tagebuch hat sie über zwei Jahre lang im engen Versteck eines Amsterdamer Handelskontors als Mensch am Leben bleiben lassen, oft fühlte sie sich wie ein eingesperrter Singvogel, "der in vollkommener Dunkelheit gegen die Stäbe seines engen Käfigs fliegt" (29.12.1943).

Heute werden in Deutschland wieder Stimmen lauter, die in Menschen wie Anne Frank wegen ihrer Herkunft, Hautfarbe oder anderen Einstellung eine "Zecke" sehen. Als Christen, ja als Menschen muss uns das aufhorchen lassen. Sprache ist verräterisch. Es ist noch nicht lange her, dass Menschen bei uns als "Volksschädlinge" oder "Parasiten" abgewertet, verfolgt und getötet wurden. Diejenigen, die heute wieder solche Reden schwingen, sehen sich gerne als "Herrenmenschen", doch sie sind wie Tiere, die nichts anderes im Sinn haben als die anderen zu jagen und zu töten. Extremismus beginnt im Kopf. Allein die Menschlichkeit gebietet es, sich dem in Wort und Tat entgegenzustellen.

Von Schwester Gabriela Zinkl

Die Autorin

Schwester Dr. Gabriela Zinkl SMCB ist Ordensschwester bei den Borromäerinnen, promovierte Theologin (Kirchenrecht) und in der Ordensleitung in Kloster Grafschaft.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.