Standpunkt

Unser Staat lebt vom Vertrauen – aber er ist dabei, es zu verspielen

Veröffentlicht am 13.09.2024 um 00:01 Uhr – Von Michael Böhnke – Lesedauer: 

Bonn ‐ Wohl noch nie war die Demokratie in Deutschland so gefährdet, so Michael Böhnke – und verweist beispielhaft auf die marode Infrastruktur im Land. Angesichts kaputter Schulen und Straßen drohe der Staat das Vertrauen der Menschen zu verspielen.

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Im September 1949 hat sich der erste Deutsche Bundestag konstituiert. Theodor Heuss wurde zum ersten Bundespräsidenten und Konrad Adenauer zum ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt: Drei Ereignisse, die für die Entstehung der Bundesrepublik wichtig waren, jähren sich in diesem Jahr zum 75. Mal. Und man hat den Eindruck, dass es kriselt. Nie war unser freiheitlich demokratischer Rechtsstaat so gefährdet, wie im Moment.

Von Ernst-Wolfgang Böckenförde stammt das Diktum: "Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann." Es ist kontrovers diskutiert worden. Ist die Krise des Staates eine Folge des Werteverfalls? Ist sie eine Folge der Säkularisierung? Oder liegen die Gründe nicht ganz woanders und doch vielleicht viel näher?

"Behalten Sie Ihre blöde Schokolade, fahren Sie mal pünktlich." Berthold Huber, der im Vorstand der Deutschen Bahn für Infrastruktur zuständig ist, hat diesen Satz von einem Fahrgast zu hören bekommen. In einem Interview, das am 7. September in der "Süddeutschen Zeitung" veröffentlicht worden ist, benennt er mit analytischer Klarheit das Problem, welches entsteht, wenn die Infrastruktur in einem Land nicht mehr funktioniert: Die Menschen verlieren das Vertrauen.

"Viele Menschen haben das Gefühl, dass ihr Alltag nicht mehr funktioniert. Der Zug kommt nicht pünktlich, die Straßen haben Schlaglöcher, die Toilette in der Schule ist seit Jahren kaputt, es regnet durch das Dach der Turnhalle und das Schwimmbad hat gar nicht erst geöffnet", führt Huber aus und benennt neben dem Schienennetz und den Bahnhöfen weitere Bereiche, an denen die Infrastruktur wieder in Ordnung gebracht werden müsse: die Datennetze, die Verwaltung und das Bildungssystem im weitesten Sinne. "Wenn wir das weiter ignorieren und uns nicht ernsthaft daranmachen, das zu ändern, verlieren die Menschen das Vertrauen. Das müssen wir verhindern."

Unser Staat lebt vom Vertrauen, das Menschen ihm entgegenbringen. Er ist dabei, durch eine nicht funktionierende Infrastruktur dieses Vertrauen zu verspielen. Menschen, die das Vertrauen in den Staat verloren haben, wählen Alternativen. Das erleben wir derzeit, und das ist nicht gut für Deutschland.

Von Michael Böhnke

Der Autor

Michael Böhnke ist Professor für systematische Theologie an der Bergischen Universität Wuppertal. Außerdem ist er Ethik-Beauftragter des Deutschen Leichtathletikverbands.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.