Neuer oberster Benediktiner: Als Abtprimas habe ich nur "soft power"
Noch bis Freitag tagt im römischen Benediktinerkloster Sant'Anselmo auf dem Aventin-Hügel der Äbtekongress des Ordens. Etwa 230 Obere aus aller Welt sind ins Zentrum der Weltkirche gereist, um über die aktuelle Situation des Benediktinerordens zu beraten, sich gegenseitig besser kennenzulernen – und einen neuen Abtprimas zu wählen. Die Äbte haben am Wochenende den deutschen Abt Jeremias Schröder an die Spitze der Benediktiner gewählt. Schröder gehört der Kongregation von St. Ottilien an und hat diesen Verbund von mehr als 1.000 Mönchen in 21 Klöstern als Abtpräses geleitet. Im Interview spricht er über seine neuen Aufgaben in Rom.
Frage: Abt Jeremias, für Ihre neue Aufgabe als Abtprimas müssen Sie nach Rom umziehen. Freuen Sie sich darauf?
Schröder: Als ich gefragt wurde, ob ich die Wahl annehme, habe ich gesagt: "Ja, gerne." Das habe ich aus Überzeugung gesagt. Wir Benediktiner geben zu allem, was Gott uns schickt, nicht nur unser Ja, sondern wollen es auch gerne annehmen. In diesem Sinne freue ich mich auf diese schöne Aufgabe. Ich kenne unser Haus in Rom seit Jahrzehnten und liebe die Arbeit mit den Mitbrüdern dort. Deshalb komme ich von Herzen gerne nach Rom.
Frage: Jedes Kloster der Benediktiner ist selbstständig. Das bedeutet, dass Sie als Abtprimas nicht von oben durchregieren können – wie etwa der Ordensgeneral der Jesuiten. Welchen Einfluss hat Ihr Amt überhaupt?
Schröder: Der Abtprimas der Benediktiner muss einerseits schauen, dass er die benediktinische Familie zusammenhält. Damit unser gemeinsames Bewusstsein, wer wir sind und wo wir hingehen, bestehen bleibt. Das geht nun einmal nicht mittels durchregieren, sondern ist eine Frage des Kontakthaltens, von Netzwerken und Kommunikation – "soft power" sozusagen. Andererseits muss der Abtprimas die Benediktiner nach außen repräsentieren: gegenüber dem Heiligen Stuhl, zur Weltkirche und gelegentlich auch zu anderen Akteuren.
Frage: Sie waren bis zu Ihrer Wahl Vikar des Abtprimas, also sein Stellvertreter. Daher kennen Sie den Job sehr gut, der jetzt auf Sie zukommt. Wie gelingt es, die Einheit des Ordens zu wahren? Wie würden Sie etwa mit Abweichlern umgehen, die diese Einheit gefährden?
Schröder: Das Konzept der Abweichler gibt es in unserem Orden nicht, er ist von vornherein sehr vielfältig. Eine wichtige Aufgabe wird für mich sein, dass wir unsere gesamten Kommunikationsweisen modernisieren. Wir haben – auch durch die Corona-Pandemie – viel gelernt, wie wir weltweit miteinander in Kontakt bleiben können. Da sehe ich gute Möglichkeiten, wie Sant'Anselmo ein wichtiges Zentrum werden kann, wo viel zusammenkommt und wir mit der gesamten benediktinischen Familie viele Dinge teilen können. Außerdem: Zwei Drittel der Mitglieder des Benediktinerordens sind Frauen. Die Benediktinerinnen organisieren sich seit einiger Zeit selbstständig weiter. Da gibt es auch neue Formen, etwa ein weibliches Pendant zum Abtprimas. Da sehe ich die Aufgabe, dass wir diese Aufgabe gemeinsam wahrnehmen und uns nicht auseinanderentwickeln, sondern gemeinsam auf Augenhöhe erkunden, wie wir als benediktinische Männer und Frauen unseren Auftrag leben können.
Frage: Welche Schwerpunkte möchten Sie darüber hinaus in Ihrer achtjährigen Amtszeit setzen?
Schröder: Meine Erfahrung als Abtpräses der Kongregation von St. Ottilien ist, dass man sehr oft auf Dinge reagieren muss: Situationen, Krisen, Herausforderungen. Unser Orden hat es in der Vergangenheit zudem mehrfach erlebt, dass der Papst auf uns Benediktiner zugekommen ist und uns eine neue Aufgabe gegeben hat. Da werden wir sehen müssen, ob so etwas passiert. Bei dem Äbtekongress ist zudem zu spüren, dass ein Thema aktuell besonders wichtig ist: Wir Benediktiner haben das inoffizielle Ordensmotto "Pax", also "Frieden". Das steht etwa groß über der Tür unseres Mutterklosters in Montecassino. Aber unsere Welt ist nicht im Frieden, es gibt Kriege und Konflikte in vielen Regionen der Welt. Wir haben Klöster in Kriegsgebieten, etwa in der Ukraine oder im Heiligen Land. Wir haben schon seit langer Zeit den Auftrag, zur Versöhnung zwischen West- und Ostkirche beizutragen. Das hat uns Papst Pius XI. vor genau 100 Jahren aufgegeben. Bei unserem Kongress haben wir uns daran erinnert, uns damit stärker zu beschäftigen. Der Krieg in der Ukraine hat beim Bruch zwischen West und Ost viel zugespitzt. Wir fragen uns, ob wir als Benediktiner mit unserer unaufgeregten und hoffentlich auch demütigen Weise wieder Brückenbauer sein werden, die Verbindungen herstellen. Wir werden in den kommenden Tagen mit den über 200 Äbten aus aller Welt sprechen, wie wir das wieder vertiefen können.
Frage: Haben Sie als Abtprimas regelmäßige Treffen mit Papst Franziskus, bei denen Sie etwa diese Themen besprechen können?
Schröder: Regelmäßige Treffen gibt es nicht, aber ich werde am Mittwoch eine Begegnung mit Franziskus haben. Das wird aber sicherlich nur ein kurzes Treffen sein, weil er von seiner langen Asienreise noch erschöpft sein dürfte. In Rom ist die Union der Generaloberen eine wichtige Plattform, das ist eine Art Standesvertretung aller Oberen der Ordensgemeinschaften. In dieser Konstellation gibt es regelmäßige Begegnungen mit dem Papst. In der Vergangenheit war ich als Abtpräses meiner Kongregation immer wieder daran beteiligt. In der Vernetzung mit den "Kollegen" hier in Rom gibt es gute Beziehungen zu Papst Franziskus.
Frage: Sie sind in kurzer Zeit der dritte ehemalige Abt von St. Ottilien, der als Abtprimas nach Rom wechselt. Ist St. Ottilien eine Art Kaderschmiede für benediktinisches Führungspersonal?
Schröder: Kaderschmiede ist ein schwieriges Wort. Was dabei jedoch eine Rolle spielt, ist die Aufgabe des Abtpräses unserer Kongregation von St. Ottilien. Dieses Amt ist der Aufgabe des Abtprimas ziemlich ähnlich, denn es sind vergleichbare Fähigkeiten und Erfahrungen, die man dafür braucht: Sprachkenntnisse, Erfahrungen in unterschiedlichen Kulturen, die Welt in ihrer Verschiedenheit zu verstehen und in diesem Kontext leiten können. Das könnte den Äbten und Präsiden von St. Ottilien einen gewissen Vertrauensvorschuss seitens der Äbte aus aller Welt geben.
Frage: Aktuell findet weiterhin der Äbtekongress in Sant'Anselmo statt. Ist dort die inhaltliche Arbeit wichtiger – oder das gegenseitige Wiedersehen, wie bei einem Familientreffen?
Schröder: Das ist beides sehr wichtig. Es heißt Kongress und nicht Generalkapitel, weil bei diesem Treffen nicht so viel entschieden wird. Es stärkt uns als benediktinische Familie, wenn wir uns vernetzen und austauschen. Durch die Pandemie ist der letzte geplante Kongress ausgefallen, wir haben uns acht Jahre lang nicht gesehen. Deshalb ist der Austausch mit den vielen neuen Äbten sehr wichtig. Papst Leo XIII. hat 1897 die benediktinische Konföderation gegründet, weil er wollte, dass unser auf der ganzen Welt verstreuter Orden in Rom ein Zentrum bekommt. Der Ort dafür ist Sant'Anselmo. Eine der Aufgaben, die jeder Äbtekongress hat, ist sich zu vergewissern, wie die Lage in Sant'Anselmo ist und ob wir hier den Auftrag erfüllen können, den wir in und für die Kirche haben. Es ist eine Universität, aber auch ein Studienkolleg für Benediktiner, die an anderen Hochschulen in Rom studieren.
Frage: Was können die Benediktiner der Kirche im Moment mitgeben? Denn sie befindet sich unter Papst Franziskus in einem Prozess des Umbruchs hin zu mehr Synodalität und Dezentralisierung.
Schröder: Wir Benediktiner waren schon immer sehr synodal strukturiert. Unser aktueller Äbtekongress ist ein schönes Beispiel dafür, denn er ist keine hierarchische Veranstaltung, sondern wir bringen auf Augenhöhe ganz verschiedene Themen ins Wort. Wir pflegen in unseren Klöstern seit Jahrhunderten – lange bevor es in anderen Zusammenhängen üblich wurde – starke demokratische Elemente. Unsere Äbte werden gewählt und nicht von oben eingesetzt. Wir bringen eine Erfahrung von Synodalität mit, die unaufgeregt und unideologisch ist. Die Kirche sollte auf die Benediktiner schauen, wenn sie wissen will, wie Synodalität gelebt werden kann. Außerdem bekommen wir mit, dass unsere Klöster eine große Glaubwürdigkeit besitzen, trotz aller Skandale und Krisen. Sie sind Orte, an denen das Christentum auf eine Art und Weise gelebt wird, die anschlussfähig für viele Menschen ist. Mit einem stärker hierarchisch geprägten Erscheinungsbild von Kirche, das wir andernorts sehen, ist es schwieriger, Vertrauen bei den Menschen zu gewinnen. Wir bieten Orte an, an denen Glaube in einer guten Weise erfahrbar ist – und das mitten in der kirchlichen Krise in Europa und besonders in Deutschland.
Frage: Welche Rolle spielt dabei die Spiritualität?
Schröder: Spiritualität ist keine Nische, nach dem Motto: "Das müssen wir jetzt auch noch machen", sondern ein Grundvollzug der Kirche. Ich komme aus dem Kloster St. Ottilien, wo es eine große Landwirtschaft gibt. Deshalb gehört für mich zum Bild eines Benediktiners einerseits der Mann mit der schwarzen Kapuze, der in der Kirche sitzt und betet. Aber auch andererseits der Klosterbruder, der auf einem großen Traktor sitzt und das Feld bestellt. Beide Ebenen kommen bei uns glaubwürdig zusammen. Wir verkünden den christlichen Glauben nicht nur, sondern leben ihn auch.
Frage: Vor einigen Wochen wurde in den USA erstmals seit einem entsprechenden Papier aus dem Vatikan ein Abt eines Benediktinerklosters gewählt, der kein Kleriker ist. Ist das ein Thema beim Äbtekongress?
Schröder: Dieser Abt ist hier in Rom und wir machen einen Workshop zu diesem Thema. Wir wollen uns anschauen, welche Erfahrungen damit gemacht werden, wie das genaue Vorgehen in der Abstimmung mit dem Vatikan ist und wie wir in Zukunft damit umgehen werden. Ein Bespiel: Ein Abt erhält die Abtsbenediktion, die sehr stark an eine Bischofsweihe erinnert. Das wäre aber unangemessen bei einem Abt, der kein Priester ist. Da müssen wir über andere Formen nachdenken. Die Benediktinerinnen machen uns das seit langem vor, denn es gibt ja auch die Äbtissinnenweihe. Wir können an diesem Punkt von den Frauen lernen, wie man einen Abt, der kein Priester ist, feierlich und mit der entsprechenden Symbolik in sein Amt bringt.
Frage: Benediktiner sind auf der ganzen Welt vertreten und es bestehen oft Beziehungen zwischen Klöstern, etwa in Afrika und in der westlichen Welt. Wie gehen Sie im Orden mit den Anfragen in Kirche und Gesellschaft um, sich mit dem kolonialistischen Erbe auseinanderzusetzen?
Schröder: Beim Kongress sind viele afrikanische Obere anwesend. Das ist wichtig, denn wir erleben ein starkes Wachstum in den Klöstern in Afrika. Die afrikanischen Äbte haben sich auch separat getroffen, um ein Netzwerk zu bilden. Ich hoffe, ich plaudere jetzt kein Geheimnis aus, aber der andere Kandidat bei der Wahl zum Abtprimas war ein Mitbruder aus Afrika. Dass der oberste Benediktiner aus Afrika kommt, ist für unseren Orden sehr gut vorstellbar. Durch die Selbstständigkeit der Klöster gibt es schon lange kein Abhängigkeitsverhältnis mehr. Vielmehr ist eine selbstbewusste neue Generation unseres Ordens am Wachsen, die schon jetzt viel Gutes zum Leben unserer weltweiten Benediktiner-Familie beiträgt.