Medjugorje und Marienerscheinungen: Wie geht der Vatikan damit um?
Kaum hatte das Dikasterium für die Glaubenslehre Mitte Mai neue "Normen für das Verfahren zur Beurteilung mutmaßlicher übernatürlicher Phänomene" veröffentlicht und damit das Prüfungsverfahren reformiert, veröffentlichte es eine Reihe von Beurteilungen angeblicher Erscheinungen und Wunder. Zu nennen sind Trevignano bei Rom, Brescia und Como in der Lombardei, Kalabrien im Südwesten Italiens, gefolgt vom spanischen Wallfahrtsort Chandavila. Das Glaubensdikasterium äußerte sich auch zu einer Entscheidung, die Papst Paul VI. bereits 1974 für die Amsterdamer Erscheinung Mariens als "Frau aller Völker" getroffen hatte. Eine Entscheidung zu einem anderen beliebten Marienwallfahrtsort steht allerdings noch aus: Medjugorje. Offenbar nicht mehr lange, denn das Presseamt des Heiligen Stuhls kündigte die Veröffentlichung neuer Erkenntnisse über den Umgang mit spirituellen Erfahrungen mit dem Wallfahrtsort in Bosnien-Herzegowina an.
Dazu kommt es dank der neuen Wunder-Regeln des Vatikans. Die neuen Normen der vatikanischen Glaubensbehörde sollen dem jeweiligen Ortsbischof die Arbeit erleichtern. In Absprache mit dem Vatikan kann dieser nun neuen Wallfahrtsorten nach angeblichen Erscheinungen die kirchliche Anerkennung erteilen oder verweigern. Nach eingehender Prüfung kann der Ortsbischof eine von sechs Kategorien für sein Urteil wählen, von "nihil obstat" (keine Einwände) über "Prohibetur et obstruatur" (die kritischen Aspekte überwiegen, keine weitere Verehrung zulässig) bis hin zur "Feststellung der Nicht-Übernatürlichkeit". Die Entscheidung, ob es sich tatsächlich um eine übernatürliche Erscheinung handelt, kann nur noch der Papst treffen – und auch das nur in seltenen Ausnahmefällen, da es nicht mehr darum geht, die Übernatürlichkeit eines Ereignisses definitiv festzustellen.
Erste Urteile zu übernatürlichen Phänomenen
Unmittelbar nach der Veröffentlichung des vatikanischen Dokuments folgten bereits erste Entscheidungen zu angeblichen Erscheinungen. So bestätigte das Glaubensdikasterium unter Víctor Manuel Fernández im Juni das negative Urteil von Bischof Marco Salvi über angebliche Marienerscheinungen in der Gemeinde Trevignano bei Rom. Dort hatten eine angeblich weinende Madonnenstatue und Offenbarungen der Muttergottes an eine Seherin für Aufsehen gesorgt. Schließlich folgten im Juli weitere Entscheidungen, unter anderem in Santa Domenica in Kalabrien, wo die Muttergottes 1968 einem Hirtenjungen erschienen sein soll. Das Glaubensdikasterium veröffentlichte ein Schreiben über das "kleine Lourdes von Kalabrien", wie es inzwischen genannt wird, in dem es die Einstufung der Erscheinung und die daraus resultierende Verehrung als "nihil obstat" bestätigte.
Der Vatikan befasste sich daraufhin mit der Verehrung der Botschaften der Seherin Pierina Gilli aus Brescia in der Lombardei. Dort hieß es, man habe in den Botschaften nichts gefunden, was der katholischen Lehre direkt widerspreche. Die positiven Aspekte würden hervorstechen, wobei an einigen Stellen Klarstellungen notwendig seien, um Missverständnisse zu vermeiden, etwa dort, wo die Rolle Marias in ihrer Beziehung zu Christus unklar dargestellt werde. Hier ordnete das Dikasterium das Ereignis mit einer positiven Bewertung ein, wobei eine teilweise lehrmäßige Klärung notwendig sei. Es folgte schließlich eine Bestätigung des bereits 1974 vom Glaubensdikasterium gefällten und von Papst Pius VI. approbierten Urteils über Maria als "Frau aller Völker". Die angebliche Amsterdamer Erscheinung in den Jahren 1945 bis 1959 wurde in allen Punkten mit "constat de non supernaturalite" bewertet, was so viel heißt wie: Hier gab es nichts Übernatürliches.
Ende Juli äußerte sich das Glaubensdikasterium zu einem weiteren Phänomen, diesmal in Como, und erlaubte die Verwendung eines Großteils der Botschaften des Sehers Gioacchino Genovese über die Barmherzigkeit der Dreifaltigkeit. Allerdings traf die Behörde keine Aussage darüber, ob die Botschaften tatsächlich übernatürlichen Ursprungs sind. Trotz der "nihil obstat"-Entscheidung wurde der Einwand erhoben, dass bestimmte Visionen und Passagen nicht verwendet werden dürften. Zuletzt gab das vatikanische Glaubensdikasterium unter anderem grünes Licht für den spanischen Wallfahrtsort Chandavila und die dortige Marienverehrung. Die Verehrung geht auf das Jahr 1945 zurück, als im spanischen Chandavila nahe der portugiesischen Grenze die Gottesmutter der damals zehnjährigen Marcelina Barroso Exposito und der 17-jährigen Afra Brigido Blanco als Schmerzensmutter erschienen sein soll.
Seit 1981 angebliche Marienerscheinungen in Medjugorje
Mit den ersten Entscheidungen des Vatikans nach der Veröffentlichung der neuen Richtlinien sah es so aus, als würde der Vatikan künftig alle ein bis zwei Wochen eine neue Einschätzung zu angeblichen Erscheinungen und Wundern veröffentlichen. Doch Medjugorje in Bosnien-Herzegowina blieb bisher außen vor. Der Ort wird jährlich von mehreren Millionen Pilgern besucht und ist bekannt dafür, dass die Muttergottes 1981 sechs Jugendlichen im Alter von 10 bis 16 Jahren erschienen sein soll. Man spricht von über 42.000 Erscheinungen in den letzten 43 Jahren, die bei einigen Sehern bis heute andauern sollen.
Doch seit Jahrzehnten tut sich die Kirche schwer mit dem Wallfahrtsort. Im Jahr 1991 formulierte die damalige Jugoslawische Bischofskonferenz Leitlinien zum Phänomen. Darin hieß es, es sei nicht erwiesen, dass die Ereignisse übernatürlich seien. Daraus ergab sich, dass offizielle Pilgerfahrten nach Medjugorje bis vor wenigen Jahren nicht möglich waren. Gleichzeitig wurde aber schon damals die Notwendigkeit einer pastoralen Betreuung der Pilger betont. Auch das Glaubensdikasterium bestätigte damals die von den jugoslawischen Bischöfen erlassenen Richtlinien für den beliebten Wallfahrtsort. Dass damit das Phänomen nicht verschwunden war, zeigten die immer größer werdenden Pilgerströme, vor allem an den Jahrestagen der Erscheinungen und beim "Mladifest", einem Jugendgebetstreffen mit jährlich mehr als zehntausend Besuchern.
Schnell wurde klar, dass die Kirche nicht länger zögern konnte. So setzte Benedikt XVI. (2005-2013) 2010 eine Kommission unter der Leitung des italienischen Kardinals Camillo Ruini ein, um das Phänomen rund um den übernatürlichen Charakter der Ereignisse von Medjugorje zu klären. Das Team von Ruini schloss seine Arbeit 2014 ab und legte die Ergebnisse dem Glaubensdikasterium und dem Staatssekretariat vor. Eine konkrete Entscheidung des Papstes blieb jedoch aus. Stattdessen schickte Papst Franziskus 2017 den Warschauer Erzbischof Henryk Hoser als Sondergesandten nach Medjugorje – damals hieß es, die Aufgabe des Beauftragten sei "ausschließlich pastoraler Natur".
Orientierung an den neuen Wunder-Regeln des Vatikans
Seit 2022 hat Erzbischof Aldo Cavalli dieses Amt inne. Bei einer Pressekonferenz Anfang August dieses Jahres äußerte sich der Vatikan-Beauftragte zu Medjugorje: Die neuen Normen bestätigten, dass es nach der Heiligen Schrift keine andere göttliche Offenbarung gebe. Sogenannte "Privatoffenbarungen" könnten zwar existieren, würden aber der biblischen Verkündigung nichts Neues hinzufügen, so Cavalli. Ob es sich bei Berichten etwa über Marienerscheinungen tatsächlich um übernatürliche Ereignisse handele oder nicht, entscheide nicht mehr ein Ortsbischof oder das Glaubensdikasterium, sondern "nur noch in ganz außergewöhnlichen Fällen der Papst", so der Erzbischof abschließend. Doch der Papst hatte sich über die Jahre immer wieder skeptisch zu den angeblich anhaltenden Marienerscheinungen geäußert: "Maria ist keine Oberpostbeamtin", kommentierte er bereits 2013.
Der Vatikan hat bei solchen Entscheidungen nun einen gewissen Spielraum, etwa mit den drei Vorsichtskategorien. Bei der ersten Kategorie, "prae oculis habetur" ("im Auge behalten"), sollte der zuständige Bischof das Gespräch mit den Seherinnen und Sehern suchen und gegebenenfalls lehramtliche Korrekturen vornehmen, da das Phänomen neben positiven Aspekten auch missverständliche Elemente oder mögliche Risiken aufweist. Die zweite Kategorie, "curatur" ("Sorge tragen"), bedeutet, dass kritische Elemente festgestellt wurden. Wenn jedoch auch positive Früchte damit verbunden sind, sollte von einem Verbot abgesehen werden. Die dritte Kategorie, "sub mandato" ("unter Aufsicht stellen"), kommt zur Anwendung, wenn das Phänomen zwar positiv bewertet wird, es aber im Umfeld problematische Praktiken gibt, wie beispielsweise die finanzielle Ausbeutung einer spirituellen Erfahrung. Wie es mit dem Wallfahrtsort in Bosnien-Herzegowina nach über 40 Jahren weitergehen wird, bleibt auch nach einem Urteil abzuwarten. Eines ist jedoch so gut wie sicher: Um eine endgültige Feststellung der Übernatürlichkeit, die nur der Papst treffen könnte, wird es im Fall Medjugorje wohl nicht gehen.