Liturgiker: Fehlende Klarheit in Medjugorje-Text ist problematisch
Der italienische Liturgiewissenschaftler Andrea Grillo kritisiert eine fehlende Klarheit im Vatikan-Dokument zu Medjugorje. "Der öffentliche Kult, auf den sich das 'nihil obstat' letztlich stützt, beruht auf Botschaften, deren Bezug zu Maria mit einem haushohen Fragezeichen versehen ist. Kann dies ausreichend sein?", schreibt Grillo in der italienischen Zeitschrift "Munera" (Sonntag). "Es scheint fast so, als würden die Früchte nicht von den Botschaften abhängen und die Botschaften nicht die Früchte bedingen."
In seinem am vergangenen Donnerstag veröffentlichen Dokument "Königin des Friedens" hat das vatikanische Glaubensdikasterium mit einen "nihil obstat" die Marienverehrung in dem Ort in Bosnien-Herzegowina offiziell anerkannt. Damit geht jedoch nicht eine Anerkennung eines übernatürlichen Ursprungs der Marienerscheinungen einher. In den Schlussfolgerungen des Dokuments heißt es, die positive Bewertung bedeute nicht, "die mutmaßlichen übernatürlichen Ereignisse als authentisch zu erklären, sondern nur darauf hinzuweisen, dass inmitten dieses geistlichen Phänomens von Medjugorje der Heilige Geist fruchtbar zum Wohle der Gläubigen wirkt".
"Die Früchte von dieser 'vermeintlich autoritativen' Vermittlung loszulösen, ist ein ziemlich grober methodischer Fehler", so Grillo über die Argumentation in dem Text des Glaubensdikasteriums. "Ist es möglich, Falsches zu verkünden und evangeliumsgemäßes Leben zu produzieren? Sollten wir uns daran gewöhnen, so zu denken?" Dazu sieht es Grillo als problematisch an, dass die positiven und negativen Inhalte der mutmaßlichen Botschaften unterschiedlich bewertet würden. "Einerseits werden Botschaften und Seher nur 'vermutet', andererseits wird das Positive als objektiv dargestellt, während das Negative nur das Ergebnis der Meinung einiger zu sein scheint", betont der Theologe.
Zweideutigkeit ziehe sich durch
Die Zweideutigkeit des Textes zieht sich laut Grillo bis in die Schlussfolgerungen durch. "Es geht sogar so weit, dass es in Nr. 38 heißt: 'Es konnte festgestellt werden, dass inmitten einer geistlichen Erfahrung viele positive Früchte aufgetreten sind und sich keine negativen oder risikoreichen Auswirkungen im Volk Gottes verbreitet haben.'" Dieser Ausschluss negativer oder riskanter Auswirkungen werde dadurch konterkariert, dass jedem Diözesanbischof selbst überlassen sei, den Wert von Medjugorje zu schätzen oder nicht.
Grundsätzlich sei bei den Texten des Glaubensdikasteriums unter Präfekt Victor Manuel Fernandez die Tendenz erkennbar, neue Wege zu gehen. Das ist laut Grillo nachvollziehbar. "Aber die Auswirkungen dieser 'Umgestaltung' lassen einen wieder einmal sehr ratlos zurück." Grillo verweist dabei unter anderem auf das Segens-Dokument "Fiducia supplicans": Wie dieser führe auch der Medjogurje-Text "nicht zu einer Lösung, sondern zu einer Nicht-Lösung".
Der Liturgiewissenschaftler Andrea Grillo lehrt seit 1994 Sakramententheologie und Religionsphilosophie am Päpstlichen Athenäum Sant’Anselmo in Rom. Er gilt als Vordenker des Motu proprios "Traditionis custodes", mit dem Papst Franziskus 2021 die Feier der Messe nach den Messbüchern von 1962 deutlich eingeschränkt hatte. (mal)