Permanente Überforderung der Amtsträger

Schüller: Papst- und Bischofsamt in ihrer derzeitigen Form kaum lebbar

Veröffentlicht am 08.10.2024 um 12:30 Uhr – Lesedauer: 

Münster ‐ Die Spannung zwischen alleiniger Entscheidung und dem Erleben, dass diese Entscheidungen nicht beachtet werden, gehört aus Sicht von Thomas Schüller zur alltäglichen Erfahrung von Bischöfen. Er fordert verbindliche Beteiligungsmöglichkeiten.

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Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller hat sich für kirchenrechtlich verbindliche Beteiligungsmöglichkeiten für Gläubige ausgesprochen. "So wie die Ämter des Papstes und der Diözesanbischöfe dogmatisch und subsidiär kirchenrechtlich momentan ausgestaltet sind, sind sie nicht wirklich lebbar und stellen eine permanente Überforderung der Amtsträger dar", schreibt Schüller in einem Beitrag für das Online-Portal "feinschwarz.net" (Dienstag). Kirchenrechtliche Anordnungen und lehramtliche Weisungen würden heute von vielen Gläubigen zudem nicht rezipiert oder ignoriert. "Diese Spannung, alleine entscheiden zu müssen, und nachfolgend das ohnmächtige Erleben, dass eigene Entscheidungen nicht rezipiert werden, ist alltägliche Erfahrung der Bischöfe", betont Schüller.

Die in der Kirchenkonstitution "Lumen Gentium" des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) festgehaltene Bekräftigung, dass das Volk Gottes als Ganzes im Glauben nicht irren könne, sei als Lehre des Konzils kirchenrechtlich nicht aufgegriffen worden. "Der Codex reduziert den sensus fidei zu einer bloßen Bestätigungsinstanz. Eine eigenständige Bezeugungsinstanz des Glaubenssinnes wird damit negiert", kritisiert der Kirchenrechtler. Die bischöfliche und päpstliche Letztverantwortung müsse daher synodal ergänzt werden: "Um in partizipativen Prozessen zu guten Entscheidungen für alle Gläubigen zu kommen, brauchen papale und bischöfliche Amtsvollmacht, die mehr sind als nur präzise kirchenrechtlich normiert, aus systematisch-theologischer Notwendigkeit (der sensus gehört zum Glaubensgut der Kirche) eine kirchenrechtlich verbindliche Absicherung." Hier gebe es momentan eine Leerstelle, an der es zu arbeiten gelte. Bei solchen partizipativen Entscheidungen dürfe es aber nicht nur um alltägliche Fragen des Lebens in der Weltkirche und den jeweiligen Bistümern gehen, sondern "auch um die Fortschreibung des katholischen Glaubens", so der Kirchenrechtler.

Synodalität in Prozesse überführen

Papst Franziskus selbst wolle zwar eine synodale Kirche, mit Synodalität meine er aber offenbar eher einen Lebensstil und eine Haltung des Hörens auf den Geist Gottes und auf andere Gläubige. "Daraus abgeleiteten Strukturen von verbindlicher Beratung und Beteilung oder gar Reformen attestiert er, sie seien nicht wirklich synodal oder würden forciert von politisch agierenden Pressuregroups mit intellektueller Hybris gegenüber den Entrechteten der Welt", so der Kirchenrechtler. "Eine so verstandene Synodalität entfaltet nur Dynamik und missionarische Strahlkraft, wenn sie strukturiert überführt wird in rechtlich gesicherte Beratungs- und Entscheidungsprozesse aller Gläubigen."

In Bezug auf die Beteiligung von Frauen an Leitungsentscheidungen erklärt Schüller, dass in der päpstlichen Praxis, aber auch in den Förderplänen einzelner Bistümer, wieder deutlich zwischen Weihe- und Leitungsgewalt unterschieden werde. "Franziskus hat kein Problem damit, Frauen mit umfassender Leitungsgewalt auszustatten. Im gleichen Atemzug allerdings sperrt er sie von der Weihegewalt aus mit dem Hinweis, die Priesterweihe würde sie klerikalisieren und widerspreche ihrem Wesen als Frau", schreibt Schüller. Die Weihe sei als Grundlage für die Übertragung der höchsten Leitungsämter in der katholischen Kirche – Papst- und Bischofsamt – nur für Männer reserviert. Der Kirchenrechtler mahnte, in der synodalen Praxis "mutige Schritte" zu gehen, damit Beteiligung nicht nur simuliert werde. Blieben diese Schritte aus, würde sich der Exodus vieler Gläubiger fortsetzen. (cbr)