Würzburger Liturgiewissenschaftler mit neuem Filmprojekt

Stuflesser: Gute Liturgie braucht zeitgenössische Ästhetik

Veröffentlicht am 16.10.2024 um 00:01 Uhr – Von Matthias Altmann – Lesedauer: 

Würzburg ‐ Das Wissen um christliche Glaubensinhalte und Rituale schrumpft. Der Würzburger Liturgiker Martin Stuflesser will neue Wege in der Glaubenskommunikation beschreiten – mit einer Filmreihe über Liturgie. Nun gibt es den Pilotfilm. Im katholisch.de-Interview erklärt Stuflesser seinen Ansatz.

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Die aktuelle liturgiewissenschaftliche Forschung mit größtmöglicher Verständlichkeit zu verbinden – und dabei einem hohen ästhetischen Anspruch gerecht zu werden: Das sind die Ziele einer neuen Filmreihe, die der Würzburger Liturgiewissenschaftler Martin Stuflesser (Titelbild) zusammen mit dem Jesuiten Christof Wolf und dessen Firma "Loyola Productions" geplant hat. Sie heißt "Heilige Zeichen". Nun ist der Pilotfilm mit dem Titel "Wandlung! Das Hochgebet als Höhepunkt der Messfeier" erschienen. Im Interview erklärt Stuflesser, warum gerade Bilder das Entscheidende sind, um liturgische Handlungen zu erklären – und welche Rolle eine zeitgenössische Ästhetik nicht nur beim Film, sondern in der Liturgie selbst spielt.

Frage: Herr Stuflesser, schaut man sich die Teilnehmerzahlen in Deutschland an, befindet sich die Eucharistiefeier in der Krise. Das gilt auch für das Verständnis für die Liturgie. Wollen Sie mit Ihrer geplanten Filmreihe dagegen ankämpfen?

Stuflesser: Natürlich tun sich manche Menschen mit der gesamten Feiergestalt und damit, was dabei theologisch eigentlich passiert, schwer. Wir verfolgen mit dieser Filmreihe aber sicher keine kirchenpolitische Agenda. Die Idee dazu ist komplett zufällig entstanden. Pater Wolf und ich kannten uns vorher nicht, wir sind uns 2022 bei den Passionsspielen in Oberammergau begegnet und dabei ins Gespräch gekommen. Er sagte, er macht Filme, ich sagte, ich lehre Liturgie. Wir haben uns beide gefragt, ob wir uns nicht mal zusammentun könnten, weil es in dem Bereich im deutschsprachigen Raum eine Marktlücke gibt. Dann haben wir überlegt, wie wir das theologisch angehen – und womit wir anfangen. Und weil das Zweite Vatikanum sagt, Eucharistie ist Quelle und Höhepunkt und innerhalb dieser Eucharistie das Hochgebet der Kern, war für uns schnell klar, dass wir damit beginnen wollen.

Frage: Was ist Ihr Grundanliegen: verkünden, basal erklären oder vertiefen?

Stuflesser: Ich glaube schon, dass das Christentum zunächst etwas mit Wissen zu tun hat. Auch im Bereich der liturgischen Bildung schwindet das Glaubenswissen natürlich. Unser Motto am Lehrstuhl lautet "Wissen, was du glaubst". In der Liturgie heißt das: Wissen, was du feierst. Die tätige Teilnahme, von der die Liturgiekonstitution "Sacrosanctum Concilium" spricht, meint auch das: bewusst teilnehmen, also immer ein Stück weiter in die Feier dieses Mysteriums hineingehen. Dann müssen wir das Ganze erklären. Der Film ist keiner für Menschen, die noch nie etwas von Eucharistie gehört haben. Er richtet sich an alle, die sich über Liturgie schlau machen und dabei ein vertieftes Verständnis dessen entwickeln möchten, was sie feiern. Theologisch gesprochen: Es geht um Mystagogie, es geht um eine Einführung in die Feiergestalt.

Frage: Was lässt sich eine halbe Stude lang zum Hochgebet erzählen?

Stuflesser: Eine Menge. Ich habe mal ein Buch zur Eucharistie verfasst, da habe ich alleine über das Kapitel Hochgebet rund 60 Seiten geschrieben. Der Liturgiewissenschaftler Albert Gerhards hat es mal sehr treffend und auch ein bisschen boshaft so formuliert: Man hat das Gefühl, das Hochgebet ist der "Höhepunkt auf dem Tiefpunkt". Sobald das Hochgebet beginnt, spätestens wenn die Gemeinde das Sanctus gesungen hat, versinkt sie in einen Dämmerschlaf und lässt den Vorsteher gewähren. Beim "Geheimnis des Glaubens" schreckt man noch mal kurz hoch, oder wenn zur Wandlung die Glocken ertönen. Aber ansonsten plätschert das so dahin. Das sind aber hochkarätige theologische Texte, die von Leiden, Tod und Auferstehung Jesu Christi handeln. Das ist wirklich der Kern unseres Glaubens, den wir da feiern. Aber was passiert da eigentlich theologisch bei dieser Wandlung von Brot und Wein – und was hat das mit mir zu tun, mit meinem Leben?

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Frage: Das ist ja auch einer der Aspekte des Begriffs "Wandlung".

Stuflesser: Richtig. Der Pilotfilm hat ein offenes Ende: Man sieht, wie die Teilnehmer der Feier versuchen, das, was sie gefeiert haben, im Leben umzusetzen. Das ist die Frage, um die es auch geht. Hat das, was wir am Sonntag in 50 oder 60 Minuten feiern, irgendeine Relevanz für die restlichen sechs Tage der Woche? Versuche ich als Christenmensch mit all den Herausforderungen, die das Leben mit sich bringt, zu leben? Einer der Kernbegriffe im Film lautet "gottvoller". Diese Formulierung stammt vom Wiener Pastoraltheologen Paul Zulehner. Damit ist gemeint, dass ich aus dieser Feier hoffentlich anders herausgehe, als ich hineingegangen bin. Das könnte diese Wandlung bewirken, wenn ich diese Feier bewusst mitvollziehe.

Frage: Sie haben von einer Marktlücke gesprochen. Was erhoffen Sie sich vom Medium Film?

Stuflesser: In der Liturgie geht es um Zeichenhandlungen. Die kann man visuell einfach besser darstellen. Im Grunde ist unser Ansatz, das, was Romano Guardiani 1927 in seinem Buch "Von Heiligen Zeichen" mit Worten gemacht hat, jetzt ins Bild zu setzen. Wir leben in einem visuellen Zeitalter. Gerade junge Menschen springen viel stärker darauf an – siehe TikTok oder andere Plattformen. Umso wichtiger wäre es, dass Kirche in diesen Medien präsent ist. Die bisherigen Versuche, Liturgie zu visualisieren, sehen so aus: Ein Ausschnitt aus der Liturgie wird gezeigt, dann kommt der "Erklärbär", der vor dem Greenscreen sitzt und erzählt, was man gerade gesehen hat. Aber das hat mit dem Medium Film nichts zu tun. Das nutzt seine Möglichkeiten nicht. Filme sollen eine eigene Bildsprache entwickeln. Sie sollen eine eigene Botschaft und eine eigene Ästhetik rüberbringen. Das gilt insbesondere, wenn man einen Film über Liturgie macht.

Frage: Und auch Emotionen bei den Zuschauern wecken?

Stuflesser: Wir wollen natürlich für diese Form der Liturgie werben, auch ästhetisch werben. Ich habe mal mit einem Pastoralpsychologen zusammengearbeitet. Der hat mir erklärt, dass es eigentlich sinnlos ist, Menschen nur kognitiv etwas über Liturgie zu erklären, weil Liturgie im Emotionszentrum angesiedelt ist. Das heißt: Wenn Sie einmal auf dem Weltjugendtag waren und Sie dort den schönsten Gottesdienst Ihres Lebens mitgefeiert haben, kann ich Ihnen zehnmal versuchen zu erklären, warum da vielleicht dieses oder jenes gar nicht so gut war. Aber man kann das sehr wohl überschreiben. Das geht eben nur über Emotionen und Ästhetik. Auch wenn es theologisch richtig sein mag: Was ich da aus dem Off erkläre, ist gar nicht so entscheidend.

Frage: Wenn wir gerade beim Thema Ästhetik in der Liturgie sind: Wie sieht das in der breiten Masse in Deutschland aus? Manche, gerade konservativere Theologen und Gläubige üben ja gerne Mal Kritik an der durchschnittlichen Feierkultur hierzulande.

Stuflesser: Wer sonntags überhaupt noch in einen Gottesdienst geht, ist vermutlich ganz zufrieden mit der Art und Weise, wie hierzulande Liturgie gefeiert wird. Man muss aber auch einräumen: Da ist aus liturgiewissenschaftlicher Sicht häufig noch viel Luft nach oben. Deshalb hoffe ich, dass durch die Visualisierung ein Impuls in Richtung einer bestimmten liturgischen Ästhetik geht. Ich erlebe das immer wieder in anderen Ländern: Dort schafft man es, auf der Höhe der zeitgenössischen Ästhetik zu feiern. Wir haben deshalb nicht einfach in die Mottenkiste gegriffen, sondern auf bestimmte Aspekte geachtet.

„Einer der Kernbegriffe im Film lautet "gottvoller". (...) Damit ist gemeint, dass ich aus dieser Feier hoffentlich anders herausgehe, als ich hineingegangen bin.“

—  Zitat: Martin Stuflesser über den Begriff "Wandlung".

Frage: Zum Beispiel?

Stuflesser: Eine der entscheidenden Fragen ist: Wie gestalte ich einen kirchlichen Raum? Wenn das Konzil möchte, dass wir uns auf die Feier selbst konzentrieren, dann bringt das eine Reduktion von Zeichen mit sich, die eher ablenken. Der Ort, wo wir die Liturgie aufgezeichnet haben, ist die Mutterhauskirche der Erlöserschwestern in Würzburg. Die wurde vor eineinhalb Jahren umgebaut; unser Lehrstuhl war für die liturgische Beratung zuständig. Sie stellt jetzt gewissermaßen eine gebaute Liturgietheologie des Zweiten Vatikanischen Konzils dar. Wir haben gesagt: Wenn wir uns bemühen, eine wirklich im besten Sinne vorbildliche nachkonziliare Liturgie zu feiern, mit maximaler Partizipation aller Gläubigen, mit wirklich sprechenden Zeichen, wäre das doch der richtige Ort, um das Ganze ins Bild zu setzen.

Frage: Mir ist im Film beispielsweise aufgefallen, dass sich die Gemeinde im Kreis versammelt hat und der Priestersitz direkt vor dem Ambo steht. Was soll damit ausgedrückt werden?

Stuflesser: Darin steckt auch eine kritische Anfrage an unsere liturgischen Räume: Wie gestalten wir die Versammlung? Das Kirchenrecht spricht von der "vera aequalitas", also der grundlegenden Gleichheit aller Getauften. Dann müsste eigentlich zunächst diese sichtbar werden – und dann kommen erst die Unterschiede, die notwendig sind, damit sinnvolle Dienste ausgeübt werden können. Stichwort: Wie vermeide ich Klerikalismus in der Liturgie? Das ist ein wichtiges Thema auch im Hinblick auf die Diskussionen auf dem Synodalen Weg der Kirche in Deutschland. Wenn ich in manche liturgische Räume schaue, wird da eher versucht, die Standesunterschiede deutlich zu machen und nicht die Funktion im Gottesdienst. In dem Zusammenhang sollten wir uns auch über den Rückbau liturgischer Räume unterhalten: Wir haben viele Kirchen, die für Gemeinden von 300 bis 400 Leuten gebaut wurden. Die sind mittlerweile viel zu groß. Wie soll man in solchen Kirchen Gemeinschaft erleben können? Das ist sicher ein Thema, das wert wäre, in einem weiteren Film dieser Reihe beleuchtet zu werden.

Frage: Haben Sie noch weitere Themen im Kopf?

Stuflesser: Natürlich bietet sich beim Titel "Heilige Zeichen" an, den Sakramenten und Sakramentalien nachzugehen. Aber auch anderen Gottesdienstformen. Wir erleben heute eine eucharistische Monokultur in vielen Gemeinden. Das Konzil hat besonders die Eucharistie gestärkt, das war sicher sinnvoll. Aber jetzt, da wir weniger Priester haben, treten an die Stelle von vielen Eucharistiefeiern nicht etwa andere liturgische Formen. Wie kann man den Sonntag heiligen, wenn eine Eucharistiefeier nicht möglich ist oder die Gemeinde nicht zusammenkommen kann – wie etwa während der Corona-Pandemie? Da gäbe es einiges zu sagen.

Frage: Wann würden Sie von einem Erfolg Ihres Films oder der Reihe sprechen?

Stuflesser: Was heißt schon Erfolg? Ich würde mich da an die Bibel halten: Wenn zwei oder drei Menschen durch diesen Film bewusster Liturgie mitfeiern, bin ich schon zufrieden. Wenn es Menschen gibt, die sagen, dass sie durch diesen Film in irgendeiner Weise ein vertieftes Verständnis oder einen Zugang zu den Symbolen erhalten, würde ich sagen: alles richtig gemacht. Ob das jetzt 100 oder 1.000 Zuschauer sein müssen, weiß ich nicht. Wir haben den Pilotfilm eigenfinanziert. Es wird jetzt auch vom Feedback abhängen, ob es weitere Filme gibt. Wir hoffen einfach, dass es Menschen gibt, die unser Anliegen teilen und uns ermutigen, weitere solcher Filme zu produzieren.

Von Matthias Altmann