Karrierismus im Reich Jesu?
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Machtkämpfe sind so alt wie die Menschheit. Wir können sie überall beobachten, wo Menschen sind: in Politik und Wirtschaft, in Familien und Vereinen, selbstverständlich auch in unserer Kirche. Da wollen im Pfarrgemeinderat die einen unbedingt den Ton angeben und buhlen um die Gunst des Pfarrers. Beim Synodalen Weg fordern Laien lautstark nach mehr Macht in der Kirchenleitung und so mancher Priester spekuliert auf den Bischofshut. Natürlich wird mit großem Interesse verfolgt, welche 21 Würdenträger beim bevorstehenden Konsistorium zu Kardinälen erhoben werden. Wer meint, in den Klöstern sei es anders, den muss ich enttäuschen: Auch Ordensleute wissen ihre Ellenbogen durchaus gezielt einzusetzen.
Karrierepläne bei den Jüngern
Karrierismus gab es offenbar schon bei den ersten Jüngern. So melden die beiden Brüder Jakobus und Johannes bei Jesus ihre Ansprüche auf die besten Plätze in seinem Reich an, nämlich rechts und links von ihm. Die beiden bringen ihre Beförderungswünsche ausgerechnet dann vor, nachdem Jesus kurz zuvor (bereits zum dritten Mal!) sein Leiden angekündigt hat. Dies ist bezeichnend, denn wer in Jesu Nähe sein will, dem winken weder besondere Ehren noch Auszeichnungen, sondern auf den wartet das Kreuz.
Macht ist für Jesus im Kontext des römischen Imperiums keine positiv besetzte Kategorie: "Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und die Großen ihre Macht gegen sie missbrauchen." Natürlich gab und gibt es auch heute toxische Formen von Machtmissbrauch: machtbesessene Narzissten, die rücksichtslos andere manipulieren und ihre Untergebenen aussaugen. Ein Blick auf die aktuellen weltpolitischen Verhältnisse und auf bevorstehende Wahlen spricht da Bände...
Ist Macht etwas Schlechtes?
Ist Macht für Jesus deswegen etwas Schlechtes, etwas, das grundsätzlich abzulehnen ist? Ich glaube nicht, denn Jesus weist das Ansinnen der beiden Brüder ja keineswegs zurück, sondern er geht tatsächlich darauf ein und nennt das entscheidende Kriterium: "Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde, oder die Taufe auf euch nehmen, mit der ich getauft werde?" Außerdem hat er bereits die Zwölf auserwählt (Mk 3,13-19) und sie mit besonderen Vollmachten ausgestattet und ausgesandt (Mk 6,6-13). Wenn wir im Glaubensbekenntnis Gott als den "All-Mächtigen" bezeichnen, dann muss Macht im eigentlichen Sinne etwas zutiefst Positives sein.
Die Debatte über Macht (nicht nur in der Kirche) ist in vollem Gange, und es ist sicher wichtig, offen über Macht zu sprechen, anstatt sie zu tabuisieren und zu verschleiern. Macht ist offenkundig überall schon vorhanden, wo Menschen zusammenkommen. Daher ist es angebracht, Macht auf gute und transparente Weise zu gestalten und zu verteilen, anstatt sie generell zu verteufeln. Lieber ein gesunder Umgang mit Macht als eine geheuchelte Bescheidenheit, wo am Ende doch taktiert wird. Lieber klare Verhältnisse, als Anarchie oder Willkür.
Für einen gesunden Umgang mit Macht in der Kirche
"In der Kirche wollen alle dienen, aber dann doch bitte möglichst weit oben, in einer ranghohen Position!" Hier wird augenzwinkernd beschrieben, wie hinter so mancher kirchlicher Demutsbekundung doch eigentlich Ehrgeiz und Machtstreben verborgen liegen. In unserer Kirche scheuen viele davor zurück, offen von Macht zu sprechen. Lieber reden sie aufweichend von Dienst, wo es doch um knallharte Machtverteilungsfragen geht. Eine solche Rhetorik ist umso schwieriger, wenn es sie von Menschen in Machtpositionen kommt. Wäre es nicht besser, auch in der Kirche offen über Macht und Machtverhältnisse zu sprechen, anstatt sie zu verschleiern und so zu tun, als ließe sich Macht in der Kirche wegspiritualisieren?
Vielleicht wäre es angebracht, auch in der Kirche offen über Macht zu sprechen, bisweilen sogar wie das Brüderpaar im Evangelium Macht offen anzustreben – auch auf die Gefahr hin, eines Besseren belehrt zu werden. Es wäre zielführend, auch in der Kirche über klare Leadership-Kriterien zu sprechen und gute Führung als etwas Positives, ja Erstrebenswertes zu würdigen. Nicht umsonst gab sich Papst Gregor der Große (+604) selbst die Bezeichnung "Diener der Diener Gottes", einen Titel, den die Päpste bis heute führen. Gerade dieser Mann verfügte aufgrund seiner Biografie über hervorragende Leadership-Qualitäten, die ihn für das Bischofsamt qualifizierten. Die Alte Kirche kann uns an der einen oder anderen Stelle einen unverkrampfteren Zugang zum Thema Macht lehren.
Gleichzeitig gilt das Wort Jesu und seine geradezu revolutionäre Sicht auf Macht: "Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein." Bei Jesus kommt es zu einer Umkehrung der Verhältnisse: Karriere ist bei ihm nämlich kein Aufstieg nach oben, sondern ein Abstieg nach unten. Der Weg zur Herrlichkeit führt über Kreuz und Leiden. Diener und Sklaven standen in der gesellschaftlichen Ordnung der Antike ganz unten, Sklaven galten als Gegenstände. Es war das Menschenunwürdigste, was damals vorstellbar war. Ihren Platz soll ein Jünger Jesu einnehmen, so wie Jesus selbst es getan hat. Um diesen Anspruch kommen wir auch heute nicht herum.
Worauf es ankommt: Wer bekommt bei Jesus die Ehrenplätze?
Wer bekommt am Ende die besten Plätze bei Jesus? Bis zum Ende treu geblieben sind die Frauen. Sie hatten durchgehalten, dienten Jesus, und sind daher der Plätze unter seinem Kreuzwürdig geworden (Mk 15,40). Was war hingegen mit den Jüngern? Die hatten reißaus genommen. Nur das johannesevangelium weiß von dem namenlosen Lieblingsjünger unter dem Kreuz (Joh 19,26-27). Dennoch gilt, dass Jakobus und die anderen Jünger der Tradition zufolge zeitverzögert das Martyrium erlitten und so den Kelch Jesu getrunken haben.
Sein Leben hinzugeben als Lösegeld, das haben in der Geschichte des Christentums nicht wenige Christen getan. Ich denke an die Mitglieder des Trinitarierordens im Mittelalter, die sich selbst in die Sklaverei verkauften, um andere zu befreien. Ich denke an den hl. Maximilian Kolbe, der im Konzentrationslager Auschwitz sein Leben gegeben hat, um einen totgeweihten polnischen Familienvater vor dem Hungerbunker zu retten.
Bei allen anstehenden Debatten zum Thema Macht in der Kirche, die wichtig und überfällig sind, darf doch der radikale Anspruch Jesu und seine ganz andere Sicht auf Macht niemals aus dem Blick geraten. Ein Jünger zu sein bedeutet nicht, meine eigene Karriere und persönliche Erfolge im Blick zu haben, sondern vielmehr, auf den Herrn zu schauen, ihm zu dienen und so wie er "das Leben hinzugeben als Lösegeld für viele." Die entscheidenden Fragen sollten wohl in die folgende Richtung gehen:
- Was bedeutet es für mich, mein Leben für andere einzusetzen?
- Wie und wo kann ich am besten dienen?
- Welche Leadership-Qualitäten braucht es heute in der Kirche, um im Sinne des Evangeliums Macht auszuüben?
Aus dem Evangelium nach Markus (Mk 10,35-45)
In jener Zeit
traten Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus,
zu Jesus
und sagten:
Meister, wir möchten, dass du uns eine Bitte erfüllst.
Er antwortete: Was soll ich für euch tun?
Sie sagten zu ihm:
Lass in deiner Herrlichkeit einen von uns rechts
und den andern links neben dir sitzen!
Jesus erwiderte: Ihr wisst nicht, um was ihr bittet.
Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke,
oder die Taufe auf euch nehmen, mit der ich getauft werde?
Sie antworteten: Wir können es.
Da sagte Jesus zu ihnen:
Ihr werdet den Kelch trinken, den ich trinke,
und die Taufe empfangen, mit der ich getauft werde.
Doch den Platz zu meiner Rechten und zu meiner Linken
habe nicht ich zu vergeben;
dort werden die sitzen, für die es bestimmt ist.
Als die zehn anderen Jünger das hörten,
wurden sie sehr ärgerlich über Jakobus und Johannes.
Da rief Jesus sie zu sich
und sagte: Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten,
ihre Völker unterdrücken
und ihre Großen ihre Macht gegen sie gebrauchen.
Bei euch aber soll es nicht so sein,
sondern wer bei euch groß sein will,
der soll euer Diener sein,
und wer bei euch der Erste sein will,
soll der Sklave aller sein.
Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen,
um sich dienen zu lassen,
sondern um zu dienen
und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.
Der Autor
P. Philipp König ist Dominikaner und unterrichtet derzeit am ordenseigenen Gymnasium in Vechta die Fächer Französisch, Latein und Religion.
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