Vatikan-Missbrauchsbericht zwischen Ideal und Wirklichkeit
Die Kirche hat beim Umgang mit Missbrauch aus der Sicht ihrer eigenen Experten versagt: "Nichts was wir tun, wird je genug sein, um vollständig zu heilen, was geschehen ist." Starke Worte wählte der Präsident der Päpstlichen Kinderschutzkommission, Kardinal Sean O'Malley, diese Woche bei der Vorstellung des ersten weltweiten Anti-Missbrauchsbericht der katholischen Kirche. "Wir wissen, dass Sie genug von leeren Worten haben", wandte sich der Ex-Erzbischof von Boston an die Betroffenen.
Diese zeigten sich jedoch enttäuscht über den Pilot-Bericht, der die Umsetzung der kirchenrechtlichen Schutzmaßnahmen in den katholischen Ortskirchen unter die Lupe nehmen soll. Ein Grund ist die Methodik zur Überprüfung: Standardisiert befragt werden die jeweiligen Bischofskonferenzen des Landes – entweder bei ihrem regelmäßigen Besuch im Vatikan oder auf eigenen Wunsch.
Fragwürdige Quellenlage
Für den aktuellen Berichtszeitraum waren das 17 Bischofskonferenzen bei ihrem turnusmäßigen Ad-Limina-Besuch. Doch gibt es Zweifel an der Zuverlässigkeit einiger Aussagen. Mitunter stimmten die Darstellungen der Bischöfe nicht mit der Realität vor Ort überein, so die Kritik von Personen, die mit der Situation in einigen der aufgeführten Länder vertraut sind. "Leider wissen wir aus Erfahrung, dass Bischöfe nicht immer die Wahrheit sagen", sagt Anne Barrett Doyle. Sie betreut die Webseite BishopAccountability.org, ein Archiv zu Missbrauchsfällen durch Geistliche. Das Beruhen auf Selbstauskünften von Bischöfen, sei darum ein Schwachpunkt des Berichts.
Das sieht der deutsche Experte für Missbrauchsschutz, Hans Zollner, ähnlich: "Es bleibt aus nicht genannten Gründen unklar, wer diese Rückmeldungen mit welcher Expertise und welchem Problembewusstsein erstellt hat." So bleibe auch die Frage nach der Qualität offen oder zumindest nicht nachvollziehbar. Der Direktor des Safeguarding-Instituts an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom plädiert künftig für eine Verifizierung durch unabhängige lokale Experten. Auch für die anschließende Einordnung in den Bericht brauche es spezifische Ortskenntnisse.
Die Päpstliche Kinderschutzkommission plant, auf Basis ihrer Befragungen innerhalb von fünf bis sechs Jahresberichten ein umfassendes Bild der weltweiten kirchlichen Schutzmaßnahmen zu erstellen. Die bisherigen Ergebnisse zeigen "ein klares Engagement für den Schutz" einiger Ortskirchen, während andere erst damit beginnen, "die Verantwortung der Kirche in Bezug auf Missbrauchsfälle wahrzunehmen".
Grundsätzlich fordert die Kommission in ihrem Bericht mehr Transparenz für die Opfer in Bezug auf ihre kirchlichen Verfahren, klare Zuständigkeiten in den vatikanischen Strukturen bei der Behandlung von Missbrauchsfällen, gestraffte Disziplinarverfahren und Entschädigungen für Betroffene.
Keine konkreten Fälle – Vorwurf der Verschleierung
Die US-Amerikanerin Barrett Doyle hält diese Forderungen für lobenswert. Doch kritisiert sie einen mangelhaften Einblick in die "Realität vor Ort". "Der einzige wichtige Schutztest ist, ob Bischöfe Missbrauchsstäter entfernen", so Barrett Doyle. Doch untersuche die Kommission lediglich, ob gewisse Infrastrukturen vorhanden seien. "Eine solche Übersicht ist zwar von gewissem Wert, richtet aber auch unbeabsichtigten Schaden an. Die Realität anhaltender sexueller Übergriffe und Vertuschung wird verschleiert", urteilt Barrett Doyle.
Dazu heißt es in dem Bericht, er sei "nicht als Prüfung der Häufigkeit von Missbrauch im kirchlichen Kontext gedacht" gewesen. Dazu habe insbesondere die Zeit und Kapazität gefehlt, aber auch in einigen Ländern an zuverlässigen Daten, insbesondere über die Zahl der sexuell missbrauchten Kinder. Es sei zu hoffen, dass künftige Berichte dies behandelten. "Dies könnte die langfristige Prüfungsfunktion der Kommission umfassender erfüllen."
Neben den Bischofskonferenzen behandelt der Bericht die Maßnahmen in zwei Ordensgemeinschaften und in der Hilfsorganisation Caritas. "Geistliche Gemeinschaften, die in vielen Ländern eine große Rolle spielen, kommen gar nicht vor, genauswenig wie katholische Universitäten, Schulen oder Internate", bemängelt Hans Zollner. "Die Frage des Safeguarding von Erwachsenen in Situationen von Vulnerabilität, der Missbrauch von Ordensfrauen oder der geistliche Missbrauch wären eigens zu behandeln." Er hoffe, dass der Prozess der Entwicklung eines Berichts, der die realen Verhältnisse angemessen widerspiegelt, weitergehe.
Ein auf "Sand gebautes Kartenhaus"
Der Mitbegründer des italienischen Betroffenennetzwerks "Rete l'abuso", Francesco Zanardi, sieht in dem Bericht keine konkreten Veränderungen für die Opfer. Die Arbeit der Kommission, ein auf "Sand gebautes Kartenhaus", stehe im völligen Gegensatz zu den Meinungen von "Opfern, Überlebenden und Verbänden".
Kommissionspräsident O'Malley sagte bei der Vorstellung, es gebe noch viel zu tun. Der 80-Jährige leitet das in seinen Kapazitäten sehr begrenzte Gremium seit seiner Einrichtung durch den Papst im Jahr 2014. Wie lange sein Mandat noch läuft, ist unbekannt. Aus Vatikankreisen wird ein Nachrücken seines Sekretärs Luis Manuel Ali Herrera vermutet. Die nächsten Berichte sind unabhängig davon für die nächsten Jahre geplant.