Striet: Habe mich von klassischer Lehre von der Erlösung verabschiedet
Das Glaubensbekenntnis benennt die wichtigsten Glaubensinhalte des Christentums. Gläubige sprechen es seit fast 1.700 Jahren – oft wahrscheinlich derart routiniert, dass sie sich keine Gedanken über seinen Inhalt machen. Was können uns die alten Formen heute noch sagen? Der Freiburger Fundamentaltheologe Magnus Striet versucht in einem neuen Buch eine Neuauslegung für die Gegenwart und spricht im Interview mit katholisch.de über die zentralen Glaubensätze in diesem Bekenntnis.
Frage: Professor Striet, das Glaubensbekenntnis entstand im vierten Jahrhundert. Was war damals der Kontext?
Striet: Im nächsten Jahr wird ein großes Jubiläum begangen, 1.700 Jahre Konzil von Nizäa. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass überhaupt nicht feststand, worin der Kern des sich rasch im römischen Reich verbreitenden christlichen Glaubens liegt. Welche Bedeutung hat die Person Jesu? Was bedeutet es, getauft zu sein, was bedeutet es, erlöst zu sein? Die Konzilsväter versuchten damals zu Formulierungen zu finden, die bis heute so etwas wie den "Minimalkonsens" des christlichen Glaubens bilden. Umstritten ist aber auch dieser.
Frage: Was sind die zentralen Glaubensgrundsätze im Glaubensbekenntnis?
Striet: Die Kernaussage lautet: Gott selbst ist Mensch geworden; Jesus, der Sohn, ist wesensgleich mit dem Vater. Dieser Festlegung gingen heftige theologischen Debatten voraus. Nach meinem Eindruck ist es allerdings so, dass sich diese Grundüberzeugung in der Gegenwart wieder verflüchtigt.
Frage: Wie kommen Sie zu diesem Eindruck?
Striet: Die Kirchen beschäftigen sich sehr stark mit sich selbst und den selbstproduzierten Skandalen. Zentrale theologische Fragen werden kaum diskutiert. Und der starke Anthropozentrismus des christlichen Glaubens irritiert ja auch: Kann man ernsthaft glauben, dass Gott nach 13,8 Milliarden Jahren, die dieses Universum alt ist, selbst Mensch wurde, um dem Menschen als Mensch zu begegnen? Der Zweifel nagt. Der Mensch scheint im unendlichen Universum doch eher eine zu vernachlässigende Nebenrolle zu spielen. Gleichzeitig ist er nach unserem Kenntnisstand jedenfalls auf der Erde die einzige Lebensform, die derart vernunftgeleitet agieren kann.
Frage: In Ihrem Buch wollen Sie das Glaubensbekenntnis für die Gegenwart erschließen. Wie geht das etwa mit der Aussage über Gott als „Schöpfer des Himmels und der Erde“?
Striet: Um die absolute Freiheit Gottes denken zu können, hatte man sich in der alten Kirche dazu durchgerungen, von einer Schöpfung aus dem Nichts zu reden. Die Welt existiert nur deshalb, weil Gott sie wollte. Die moderne Astrophysik geht zwar davon aus, dass dem Urknall ein Vakuum zugrunde lag – aber: Dies war gerade kein "Nichts". Im Gegenteil, dies Vakuum existierte als eine unvorstellbare Dichte von Energie. Die theologische Frage lautet, ob man Gott so gedanklich ins Verhältnis zu diesem Vakuum setzen kann, dass er immer noch freier Schöpfer bleibt. Der freie Gott, so wie ihn ja auch schon die Bibel will, ist deshalb das Sehnsuchtswort des Menschen schlechthin, weil nur ein freier Gott interessiert am Menschen sein kann.
Frage: Wie interpretieren Sie die Vorstellung, dass Jesus als Sohn Gottes stellvertretend für uns am Kreuz gestorben ist?
Striet: Von der klassischen Soteriologie, also der Lehre, dass Gott stellvertretend für die Menschen ihre Sünden am Kreuz sühnen musste, verabschiede ich mich ganz entschieden. Aber es wäre doch wunderbar, wenn Gott von Anfang an den Willen hatte, in dem Moment, wo sich ein ihm ähnliches Leben in seinem Universum zeigt, dieses Leben mit dem ihm Ebenbildlichen zu teilen und ihm zu begegnen. Das ist für mich auch die Grundbotschaft von Weihnachten: Gott riskiert alles, um sein freies Gegenüber für sich zu gewinnen und Gott für ihn, den Menschen, sein zu dürfen.
Frage: Im Glaubenskenntnis stehen ja noch andere Aussagen, an denen manche Gläubige heute sicher ihre Zweifel haben, zum Beispiel die von Auferstehung und Heiligem Geist.
Striet: Dieses Jahr feiern wir den 300. Geburtstag von Immanuel Kant. Kant hat davon gesprochen, dass, wer von Gott und Glaube spreche, die "Redlichkeit" brauche, "seine Zweifel unverhohlen einzugestehen". In der Tat: Ein Glaube, der sich noch nie dem Zweifel ausgesetzt sah, muss sich fragen lassen, ob er sich gegen die seit Jahrhunderten gärenden Anfragen abgeschottet hat. Dies bezieht sich insbesondere auf den Kern christlichen Glaubens, den Auferweckungsglauben. In ihm spricht sich die Hoffnung aus, dass Gott nicht nur den Gekreuzigten zu einem neuen Leben auferweckt hat. Sondern dass in diesem Geschehen das Versprechen Gottes begründet ist, dass er keinen Menschen dem abgründigen Schlund des Todes endgültig ausgeliefert sehen will. Das ist doch ein großartiger Glaube.
„Das Glaubensbekenntnis ist so etwas wie der "Minimalkonsens" des christlichen Glaubens.“
Frage: Und was ist mit dem Heiligen Geist?
Striet: Die Rede vom Heiligen Geist ist vielleicht die komplizierteste überhaupt. Ich verstehe darunter die Gegenwart Gottes in der Welt, in der Gesellschaft, in den sozialen Verhältnissen. Wer sich auf den Heiligen Geist beruft, muss sich am historischen Jesus orientieren, dem Juden aus Nazareth und dem, was er als Geist Gottes verkündet hat. Da ging es nicht primär eine kultische Verehrung Gottes, sondern um Gerechtigkeit in den sozialen Verhältnissen, damit gerade die, die am Rande der Gesellschaft leben, mehr Leben gewinnen, was der bleibenden Anwesenheit des menschenfreundlichen Gottes entspräche.
Frage: Angesichts des Glaubens im Wandel: Ist es denkbar, dass das Glaubensbekenntnis ergänzt oder abgeändert wird, wie etwa beim Filioque?
Striet: Das sehe ich im Moment nicht. Ich halte es auch nicht für nötig. Viel interessanter bezogen auf die Traditionsfähigkeit des christlichen Glaubens in die nächsten Generationen hinein ist meines Erachtens ohnehin, ob es eine lebendige Auseinandersetzung um die Frage geht, ob noch geglaubt werden kann, was das Credo vorgibt. Hier auf ein Lehramt zu setzen, das autoritäre Vorgaben meint machen zu können, halte ich für illusorisch. Wenn die Kirchen künftig nicht nur eine gemeinschaftsbildende Funktion übernehmen wollen wie Sportvereine und Fastnachtsgruppen, werden sie ihren Markenkern herausarbeiten müssen.
Frage: Sie beziehen sich in Ihrem Buch auf den Philosophen Hans Blumenberg. Welche Verbindung hat er zum Glaubensbekenntnis?
Striet: Hans Blumenberg ist einer der interessantesten Intellektuellen des 20. Jahrhunderts. Seine Mutter war Jüdin, der Vater Katholik. Als Halbjude ist er den Nazis nur knapp entkommen. Nach umfänglichen Studien in der klassischen metaphysisch-theologischen Tradition des Mittelalters entwickelt er sich in den 50er Jahren zum Agnostiker und einem der schärfsten Kritiker einer herkömmlichen christlichen Theologie. Vor allem die Theodizeefrage hat ihn irritiert. Was ist von einem Gott zu halten, dem angeblich nichts unmöglich ist, selbst eine Jungfrauengeburt, und der Auschwitz geschehen lässt? Ich habe Blumenberg in meinem Buch deshalb als Gesprächspartner gewählt, um zu schauen, ob sich eine Auslegung des Glaubensbekenntnisses auch bezogen auf seine Anfragen bewähren kann.
Buchtipp
Magnus Striet: Alte Formeln – lebendiger Glaube. Das Glaubensbekenntnis ausgelegt für die Gegenwart. Verlag Herder, Freiburg 2024, 176 Seiten, 18 Euro. ISBN: 978-3-451-39859-9