Koch zur neuen Kathedrale: So katholisch wie nur wenige andere Kirchen
Für die Berliner Katholiken war es ein Tag der Freude: Am 24. November wurde die umgebaute Hedwigs-Kathedrale wiedereröffnet – mehr als sechs Jahre nach ihrer baubedingten Schließung. Im Interview mit katholisch.de äußert sich Berlins Erzbischof Heiner Koch über die bisherigen Gottesdienste in der Kathedrale und seine persönlichen Erfahrungen dabei. Außerdem spricht er über die Sorgen um den exponiert stehenden Altar, die neue Nähe zu den Gläubigen in der runden Kirche und die deutlich gestiegenen Baukosten beim benachbarten Bernhard-Lichtenberg-Haus.
Frage: Erzbischof Koch, vor einem Monat wurde die Hedwigs-Kathedrale wiedereröffnet. Sind Sie in Ihrer Bischofskirche seitdem schon wieder heimisch geworden?
Koch: Durch die zahlreichen verschiedenen Gottesdienste seit der Wiedereröffnung bin ich schon wieder richtig in der Kathedrale angekommen. Ich habe es geradezu genossen, mit vielen und ganz unterschiedlichen Personengruppen Gottesdienst zu feiern. Ich bin allen sehr dankbar, die mitgeholfen haben, dass bislang bei der Eröffnung alles weitgehend reibungslos geklappt hat. Ich merke aber auch, dass ich noch Zeit brauche, all die neuen Eindrücke zu verarbeiten. Nach dem intensiven Programm zur Wiedereröffnung und vermutlich erst nach Weihnachten werden wir erst im Alltag ankommen. Ich wünsche mir aber auch, dass wir uns eine gewisse "Un-Alltäglichkeit" bewahren können.
Frage: Was gefällt Ihnen an der umgebauten Kathedrale denn am besten?
Koch: Der Altar. Dass er nun im Zentrum der Kathedrale steht und eine enge Verbindung mit der zum Himmel hin geöffneten Kuppel bildet, ist ein wunderbares Zeichen. Dadurch wird klar, dass Jesus Christus der Mittelpunkt ist, um den wir uns als Kirche versammeln. Wir leben als Christen von der Mitte und sind zur Mitte berufen – dieses ganz katholische Element macht der neue Altar in Sankt Hedwig deutlich.
Frage: Ist der Altar auch Ihr Lieblingsort in der Kathedrale? Oder haben Sie nach der Wiedereröffnung noch einen anderen Ort entdeckt, an dem Sie sich gerne aufhalten?
Koch: Der Altar und der Platz unmittelbar davor, von dem aus ich predige, sind mir schon sehr ans Herz gewachsen. Ein anderer Ort, der mich emotional berührt, ist die Kapelle der heiligen Hedwig in der Krypta. Der Heiligenfigur wurde das Kirchenmodell aus ihrer linken Hand entwendet, wir haben es bewusst nicht nachschnitzen lassen, weil diese leere Hand für mich eine starke spirituelle Bedeutung hat. Ich hoffe sehr, dass es uns gelingt, die Krypta für alle Menschen zu einem Ort der Stille und der Anbetung werden zu lassen.
„In den bisherigen Gottesdiensten habe ich mich im Gegenteil geradezu getragen gefühlt vom Wohlwollen und der Freude der Gläubigen.“
Frage: Nach dem Gottesdienst zur Wiedereröffnung wurde in mehreren Medienberichten ausdrücklich Ihr Agieren – oder neudeutsch: Ihre Performance – während der Messe gelobt; Sie hätten den neuen Raum direkt für sich eingenommen, hieß es. Kommen der neue Standort des Altars im Zentrum der Kathedrale und die räumliche Nähe zu den Gläubigen Ihrem Predigtstil und Ihrer Art, mit der Gemeinde zu interagieren, entgegen?
Koch: Ja, ich denke schon. Ich habe nun einen viel direkteren und auch emotionaleren Zugang zur Gemeinde – das macht mir Freude. Dass Predigt Dialog ist, habe ich noch nie so stark gespürt, wie jetzt in Sankt Hedwig. Ich kann den Menschen bei der Predigt direkt ins Gesicht schauen – und zwar nicht nur denen in der ersten Reihe. Dadurch ist eine Form der Kommunikation möglich, die es so vorher nicht gab. Dass die Gläubigen das ähnlich wahrnehmen, merke ich an den Reaktionen: Seit ich zum Priester geweiht wurde, bin ich noch nie so oft auf meine Predigten angesprochen worden, wie jetzt nach den ersten Gottesdiensten in der umgestalteten Kathedrale.
Frage: Anders als bei Ihnen hatte man in den bisherigen Gottesdiensten etwa bei den Messdienern oder den Kommunionhelfern teilweise das Gefühl, dass diese sich erst noch neu in der Kirche orientieren und die richtigen Wege finden müssen. Ist eine kreisrunde Kirche aus liturgischer Sicht schwieriger zu bespielen als ein klassisch rechteckig angeordnetes Gotteshaus?
Koch: Wir sind es in der Tat nicht gewohnt, uns in runden Kirchen zu bewegen; das ist für uns alle eine neue Lernerfahrung. Wir werden deshalb weiterhin alle an den Gottesdiensten Beteiligten schulen, mit ihnen Abläufe einüben und reflektieren. Mir persönlich haben die Erfahrungen der ersten Wochen aber deutlich vor Augen geführt, welche Vorteile eine runde Kirche im Vergleich zu einem klassisch gebauten Gotteshaus hat. Wir sind in Sankt Hedwig nun deutlich flexibler, was die gottesdienstlichen Abläufe angeht, und wir sind viel näher an den Menschen dran. Ich merke, dass ich noch viel bewusster Eucharistie feiere.
Frage: Es ist für Sie also kein unangenehmes Gefühl, dass sie aufgrund der größeren räumlichen Nähe nun viel stärker "unter Beobachtung" stehen?
Koch: Nein, überhaupt nicht. In den bisherigen Gottesdiensten habe ich mich im Gegenteil geradezu getragen gefühlt vom Wohlwollen und der Freude der Gläubigen.
Frage: Von Besuchern der Kathedrale habe ich gehört, dass die kreisrunde Anordnung der Sitzreihen mit Blick auf die eigene Andacht nachteilig sein könne, weil man sich ständig beobachtet fühle und somit nur schwer zur Ruhe komme. Können Sie das nachvollziehen?
Koch: Das kann ich nachvollziehen, ja. Das Gemeinschaftsgefühl in der Kathedrale ist durch die Anordnung der Sitzreihen um den Altar viel intensiver als früher. In einer "normalen" Kirche sitzen viele Menschen hinter mir; die sehe ich gar nicht. Und von denen vor mir sehe ich meist nur den Rücken. Das ist in Sankt Hedwig nun anders. Ich sehe das aber, wie gesagt, als große Chance, und ich bin mir sicher, dass sich die Menschen mit der Zeit gut daran gewöhnen und es dann auch wertschätzen werden.
Frage: Der Altar steht nicht nur in der Mitte der Kathedrale, er ist physisch auch nicht vom sonstigen Kirchenraum abgetrennt. Das hat im Vorfeld zu Sorgen geführt, dass Besucher dem Altar zu nahekommen oder ihn gar als "Stativ" für Fotos von der neu gestalteten Kuppel missbrauchen könnten. Gab es in den ersten Wochen entsprechende Vorfälle?
Koch: Nicht, dass ich wüsste. Allerdings haben wir den Ordnungsdienst im Vorfeld auch intensiv dafür sensibilisiert. Was ich allerdings schon beobachtet habe, ist, dass einzelne Besucher erkennbar den Wunsch haben, den Altar einmal kurz zu berühren. Sofern das respektvoll und in Stille geschieht, finde ich das völlig in Ordnung.
Frage: Außerhalb der Gottesdienstzeiten lagen jüngst rund um den Altar DIN-A4-Zettel, auf denen dazu aufgefordert wurde, Abstand zu halten. Und auch auf Ihrem Bischofsstuhl lag ein Zettel, auf dem stand: "Reserviert für den Erzbischof. Bitte setzen Sie sich nicht auf die Kathedra." Solche Zettel können ja schon allein aus optischen Gründen keine Dauerlösung sein. Wäre eine physische Abtrennung, die man optisch ansprechend hätte gestalten können, nicht doch besser gewesen? Auch, um zu zeigen, dass insbesondere der Altar quasi ein heiliger Ort ist?
Koch: Natürlich ist der Altar für uns Christen ein heiliger Ort – aber das heißt ja nicht, dass er den Menschen vorenthalten werden muss. Wie gesagt: Es kommt darauf an, wie sich die Besucher dem Altar annähern. Wir werden das weiter genau beobachten und – sollte es Probleme geben – sicher noch einmal überlegen, ob es möglicherweise doch eine Abtrennung braucht. Wobei ja schon jetzt drei Kerzenleuchter und das Kreuz den Bereich rund um den Altar optisch maßvoll markieren.
„Ich habe in den vergangenen Jahren mit vielen Kritikern des Umbaus das Gespräch gesucht – bei manchen ist mir das gelungen, bei anderen nicht.“
Frage: Gibt es andere Gestaltungselemente, die im Entwurf des Architekturbüros Sichau & Walter und des Künstlers Leo Zogmayer zwar schön aussahen – sich nach der Wiedereröffnung der Kathedrale nun aber als wenig praktikabel erwiesen haben und deshalb möglicherweise geändert werden sollten?
Koch: Nicht direkt. Mit der großen Tür zur Sakristei bin ich nicht ganz glücklich. Wenn sie während des Gottesdienstes geöffnet werden muss, weil die Küsterin zum Beispiel noch etwas holen muss, stört das die Andacht nach meinem Empfinden doch ganz erheblich, zumal die Sakristei noch nicht ganz fertiggestellt ist. Ich erwähne das deshalb, weil in einer Kirche, die in ihrer Gestaltung und ihrer Ausstattung so sehr auf das Wesentliche reduziert ist, jede Kleinigkeit von enormer Bedeutung ist. Im Moment sammeln wir solche Rückmeldungen, wo was als störend oder noch nicht ganz stimmig gesehen wird. Insgesamt aber sind wir klar in der richtigen Richtung unterwegs.
Frage: Stimmt es eigentlich, dass Sie mit Blick auf entsprechende Vorgaben von Herrn Zogmayer eingeschränkt sind, wenn es darum geht, Elemente in den Kirchenraum hinzuzufügen? Ich habe gehört, dass es schon bei der Altarweihe vor einem Jahr Diskussionen um die Platzierung eines Blumenstraußes gab ...
Koch: In der Tat gibt es mit Blick auf den umgesetzten Entwurf klare gestalterische Vorgaben – die schränken uns liturgisch aber in keiner Weise ein. Ich hatte zu Herrn Zogmayer von Anfang an ein sehr gutes und dialogisches Verhältnis; gemeinsam haben wir viel über den Entwurf gesprochen und für alle Fragen immer gute Lösungen gefunden. Dabei war immer klar, dass ich als Bischof die liturgische Verantwortung trage und entsprechende Fragen nicht Sache des Künstlers sind.
Frage: Der Umbau der Kathedrale war umstritten, vor allem die Schließung der Bodenöffnung zur Unterkirche und der weitgehende Verzicht auf Schmuckelemente stieß auf viel Kritik. Umso bemerkenswerter finde ich, dass die Kritiken seit der Wiedereröffnung weit überwiegend positiv ausgefallen sind. Hat Sie das auch überrascht?
Koch: Das hat mich durchaus überrascht – mehr noch hat es mich aber erfreut und bewegt. Ich habe in den vergangenen Jahren mit vielen Kritikern des Umbaus das Gespräch gesucht – bei manchen ist mir das gelungen, bei anderen nicht. Ich habe die Kritik an den Umbauplänen, sofern sie sachlich vorgetragen wurde, immer ernstgenommen, auch wenn ich selbst eine andere Meinung hatte. Ich wünsche mir sehr, dass wir die Gräben, die durch den Umbau aufgerissen wurden, nun wieder zuschütten können. Dass das Ergebnis des Umbaus jetzt, wo die Kathedrale für alle Menschen endlich wieder offensteht, so positiv wahrgenommen wird, lässt mich hoffen, dass uns das gelingt.
Frage: Allerdings gab es, das gehört zur Wahrheit dazu, nach der Wiedereröffnung auch kritische Kommentare. Unter anderem konnte man etwa die als Vorwurf gemeinte Aussage lesen, dass Berlin nun eine neue protestantische Kirche habe, der alles Katholische abgehe. Was antworten Sie darauf?
Koch: Ich kann eine solche Aussage nicht nachvollziehen – schon allein deshalb nicht, weil es mir nie in den Sinn käme, "katholisch" und "protestantisch" als gegensätzliche Kampfbegriffe zu verwenden. Ich halte die Aussage aber auch deshalb für falsch, weil die umgebaute Kathedrale nach meiner festen Überzeugung gerade so katholisch ist wie nur wenige andere Kirchen. Der Altar und damit das Sakrament der Eucharistie steht im Zentrum – was könnte katholischer sein! Die Kathedrale ist durch ihre Form bestens für die Feier der Liturgie geschaffen; sie blüht geradezu auf, wenn in ihr Gottesdienst gefeiert wird.
Frage: Trotz der Wiedereröffnung der Kathedrale ist das Bauprojekt "Sankt Hedwig Mitte" noch nicht abgeschlossen: Das benachbarte Bernhard-Lichtenberg-Haus, in das nach seiner Fertigstellung auch Sie einziehen sollen, befindet sich aktuell noch im Bau. Wie sehr verhageln Ihnen die dort rapide gestiegenen Baukosten aktuell die Stimmung?
Koch: Die Baukosten für das gesamte Projekt – also für die Kathedrale und das Bernhard-Lichtenberg-Haus – sind von 2016 bis 2025, also über knapp zehn Jahre, jährlich um circa drei Prozent gestiegen, von geschätzten 60 Millionen Euro auf voraussichtlich rund 78 Millionen Euro. Dazwischen lagen Corona, der Angriffskrieg auf die Ukraine, nicht absehbare Verzögerungen beim Teilabriss, der Anstieg bei den Baustoffkosten und weitere Unwägbarkeiten. Durch kostenbewusste Umplanung, Optimierung der Baumaßnahme und Controlling ist es gelungen, die Preissteigerung im Rahmen zu halten. Und auch weiterhin werden kontinuierlich alle Ausgaben auf ihre Notwendigkeit und gegebenenfalls Einsparmöglichkeiten hin überprüft. Es geht nicht um eine Stimmung, und schon gar nicht um meine neue Wohnung: Wir brauchen das Bernhard-Lichtenberg-Haus als Ort der Bildung, der Begegnung, der Beratung und der Gastfreundschaft in Ergänzung zur Kathedrale.
Frage: Fürchten Sie dennoch eine Art "Tebartz-Effekt"? Immerhin werden Sie als Erzbischof in ein Haus einziehen, dessen Um- und Neubaukosten sich am Ende wahrscheinlich mehr als verdoppelt haben werden ...
Koch: Erneut: Bernhard-Lichtenberg-Haus und Kathedrale sind nicht getrennt zu betrachten, sie ergänzen einander in ihren Funktionen. Ich lade Sie schon jetzt ein, sich meine künftige Wohnung dort anzuschauen, die Gastfreundschaft ist ernst gemeint!