Theologin kritisiert Krippenspiele: "Manches tut mir da weh"
Wie sind die biblischen Erzählungen über die Geburt Jesu entstanden und was stimmt darin wirklich? Spielen wir in den Krippenspielen an Heiligabend eigentlich nur althergebrachte Mythen nach? Die Theologin und Frauenseelsorgerin Annette Jantzen zeigt im Interview mit katholisch.de auf, was uns die altvertrauten Geschichten und Bilder heute noch sagen können.
Frage: Frau Jantzen, die Tochter einer Bekannten sollte beim Krippenspiel die Maria, Jesu Mutter, spielen. Sie wollte aber den Satz "Ich bin deine Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Wort" nicht sagen. Was würden Sie da empfehlen?
Jantzen: Ich finde es in Ordnung, wenn man an dieser Stelle im Krippenspiel auch einen anderen Satz sagt. Das Beispiel zeigt doch, dass Kinder die Geschichte von der Geburt Jesu ernst nehmen. Laut der biblischen Erzählung hat Maria mit diesem Satz dem Engel geantwortet, als er ihr die Botschaft überbrachte, dass sie einen Sohn zur Welt bringen wird. Durch ihre Antwort sollte sie weder als Frau abgewertet noch klein gemacht werden. Im übertragenen Sinn geht es darum, dass Maria durch ihre Zusage, den Auftrag Gottes annimmt - und damit ihre Sendung als Prophetin. Sie wird von Gott mit etwas Großem ausgestattet. Und darauf lässt sie sich ein und sagt "Ja". Es ist keine Unterwürfigkeitsgeste. Anders formulieren könnte das Mädchen ihren Satz im Krippenspiel in Richtung zum Engel vielleicht so: "Ich vertraue darauf, dass das, was Gott von mir will, etwas Gutes ist. Und dass ich das mit Gottes Hilfe dann auch kann." Wenn ich an Krippenspiele denke, dann tut mir eher die Spielszene im Stall weh.
Frage: Was konkret kritisieren Sie an der Stallszene im Krippenspiel?
Jantzen: Wenn Maria und Josef bei einem heruntergekommenen Stall ankommen und dort anklopfen. Denn das hat der Evangelist Lukas so nicht erzählt und auch nicht erzählen wollen. Maria und Josef haben bei Lukas, wie im Orient üblichen, an einem Ein-Zimmer-Haus um Aufnahme gebeten. Darin lebten Menschen und Tiere zusammen. Nur für zahlende Gäste gab es mitunter einen angebauten Raum, ohne Tiere. Das ist die "Herberge". Als Maria und Josef an das Haus kamen, war diese Herberge schon voll. Das Paar wurde aber dennoch aufgenommen - in den Privatbereich, wo Menschen und Tiere zusammenlebten, und wo eine halbhohe Wand mit einer oben eingelassenen Vertiefung, der Futterkrippe, Menschen und Tiere notdürftig voneinander trennte. Der Evangelist Lukas erzählt keine vergebliche Unterkunftssuche, keine Ablehnung. Die damaligen Hörer der Geburtsgeschichte wussten, wie so ein Haus aussah. Sie hörten eine Geschichte von so selbstverständlicher Solidarität, dass sie ihnen sofort einleuchtete und nicht weiter ausgeschmückt werden musste. Am Ende des Lukasevangeliums kommt das Wort "Herberge" noch einmal vor: Das ist der Raum, den Jesus und die Seinen anmieten für das letzte Abendmahl. Das Problem, wenn wir mit der Krippe einen Stall verbinden, ist die negative Folgewirkung, denn es führt zu einem sehr negativen Menschenbild, weil angeblich alle das Paar hartherzig abweisen. Obwohl Lukas genau im Gegenteil eine Geschichte der Menschlichkeit und der Solidarität erzählt: Das Baby Jesus wurde in seiner Geschichte mit Maria und Josef ins Innere der Familie aufgenommen. Und daran sahen die Hirten, dass Frieden auf Erden möglich war. Manche Kinder erfassen das sehr intuitiv und wollen im Krippenspiel nicht der böse Wirt sein, weil sie spüren, dass das keine gute Geschichte ist.
Frage: Letztlich bleibt die Geburt Jesu also mehr eine Erzählung als eine wirklichkeitsgetreue Begebenheit?
Jantzen: Ja, es gibt keine historische Notiz über die Geburt Jesu. Wir wissen nur, dass Jesus geboren wurde. Die genauen Umstände kennen wir nicht. Um seine Geschichte nachzuerzählen, werden Motive aus der Kultur der Zeit verwendet und aus dem Ersten Testament, der Hebräischen Bibel. Die Autoren der Kindheitsgeschichte kannten keinen Advent, kein Weihnachtsfest und keine Krippe. Sie waren jüdisch geprägt. Sie brauchten damals auch keine Beweise, um zu glauben. Die glaubten schon an Jesus als Mensch-von-Gott. Sie brauchten nur eine Geschichte, um diesen Glauben tradierbar zu machen: Die Bibel ist Glaubensliteratur. Da ging es nicht um Fakten, sondern um die Weitergabe von Glaubenserfahrungen, die Menschen gemacht haben. Menschen haben mit Jesus Gotterfahrungen gemacht. Die Erfahrung satt zu werden, heil zu werden, dass es genug für alle gibt, dass Schuld vergeben werden kann und dass der Tod nicht das letzte Wort hat. Solche Erfahrungen brauchen Geschichten, damit man anderen Menschen davon erzählen kann. Es ist kein Defizit, dass die Bibel nur aus erzählten Geschichten besteht. Es ist Literatur, die den Glauben an Gott erschließen will.
Frage: Wenn ein Priester in seiner Predigt der Gemeinde einschärfen, dass das, was in der Bibel steht, historisch korrekt ist, dann ist das problematisch?
Jantzen: Ja, das ist sehr problematisch. Denn die Bibel ist nicht historisch korrekt. Diese Schrift hat auch nicht den Anspruch, historisch korrekte Antworten zu liefern, sondern es geht um Deutungen, um den Sinn dahinter. Genau darum kann die Bibel heute noch relevant für uns Menschen sein, denn sie gibt mir die Möglichkeit, mein Leben auf Gott hin zu deuten. Es geht nicht darum, zu fragen, wie es wirklich war, sondern, warum die Geschichte so oder so erzählt wurde. Die Sprache des Glaubens ist eine andere als die Sprache der Fakten. Diese Unterscheidung ist wichtig, weil wir sonst Gefahr laufen, den Glauben für etwas Beweisbares zu halten, und das wäre letztlich ein Glaube ohne Freiheit. Jesus konnte in den Evangelien mit ganz verschiedenen Bildern als der erwartete Mensch-von-Gott geschildert werden: Als Sohn einer Jungfrau, mit dem etwas wirklich Neues in die Welt kommt, und als Sohn einer alten Familie, der Familie von König David, auch wenn die Stammbäume Jesu da überraschend unterschiedlich sind.
Frage: Inwiefern?
Jantzen: Es gibt in den Evangelien zwei Stammbäume Jesu, einen bei Lukas- und einen bei Matthäus. Die sind bis auf wenige Generationen bei Abraham, Isaak, Jakob und nochmal bei David, Salomo und zwei, drei Generationen danach komplett unterschiedlich. Jesus hat dort sogar zwei unterschiedliche Großväter väterlicherseits. Daran erkennt man, dass es hier um Deutungen geht, nicht um Fakten.
Frage: Stimmt es, dass Jesus Geschwister hatte?
Jantzen: In der Apostelgeschichte werden vier Brüder erwähnt. Die Autoren sprechen sogar von Jakob als dem Herrenbruder. In den Evangelien werden auch Schwestern im Plural erwähnt. Also in der Forschung geht man von mindestens zwei Schwestern Jesu aus. Familie ist damals im Orient oft zusammengewürfelt, es gibt da viel Patchwork, schon allein wegen der niedrigen Lebenserwartung und der hohen Müttersterblichkeit. Aber die neutestamentlichen Schriften haben überhaupt kein Problem damit, dass Jesus eine ganze Reihe Geschwister hatte.
Frage: Kann man Weihnachten überhaupt noch so heimelig mit Stall und Krippe feiern?
Jantzen: Ich finde, man kann sehr gut so Weihnachten feiern. Es gibt unterschiedliche Traditionen, die man anschauen kann. Es ist etwas Gutes, wenn wir Weihnachten in ganz verschiedene Länder und Zeiten, in unser Heute übersetzen. Ich finde es bereichernd, unterschiedliche Anklänge mitzunehmen. Die Kindheitsgeschichten Matthäus und Lukas greifen an vielen Stellen Motive und Begriffe aus dem Ersten Testament auf. Das öffnet den Deutungshorizont und setzt ihn fort. Es bringt eine neue Fülle an Gottes Hoffnung hinein. Schwierig ist es nur, wenn wir eine dunkle, pessimistische Geschichte daraus machen, die die Evangelien gar nicht erzählen. Weihnachten ist eine Geschichte von Solidarität und Geborgenheit.
Buch "Das Kind in der Krippe"
Die Theologin Annette Jantzen hat in dem Buch "Das Kind in der Krippe" Weihnachtsmythen entstaubt. Das Buch ist im Herder Verlag erschienen und kostet 13,99 Euro.