Direktor der Katholischen Sozialakademie Österreichs zur politischen Lage

Theologe: FPÖ-Positionen aus christlicher Sicht ein No-Go

Veröffentlicht am 09.01.2025 um 00:01 Uhr – Von Christoph Brüwer – Lesedauer: 

Wien ‐ Nachdem andere Koalitionsgespräche gescheitert waren, hat nun die rechtspopulistische FPÖ den Auftrag bekommen, die nächste österreichische Regierung zu bilden. Im katholisch.de-Interview spricht Theologe und Sozialethiker Markus Schlagnitweit darüber, wie er auf die Entwicklungen blickt.

  • Teilen:

In Österreich laufen derzeit Verhandlungen zwischen der rechtspopulistischen FPÖ und der ÖVP über eine mögliche neue Regierung. Der Direktor der Katholischen Sozialakademie Österreichs, Markus Schlagnitweit, hat die Position der FPÖ zu vielen Themen schon im Vorfeld der Nationalratswahl im vergangenen Jahr als unvereinbar mit christlichen Grundsätzen bezeichnet. Im katholisch.de-Interview spricht er darüber, ob sich an dieser Haltung etwas geändert hat und inwiefern auch die Kirche unter einer FPÖ-geführten Regierung leiden könnte. 

Frage: Herr Schlagnitweit, am Montag hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen der FPÖ den Auftrag erteilt, die Regierungsbildung in Österreich zu übernehmen. Was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie davon gehört haben?

Schlagnitweit: Sie waren mehrschichtig. Zunächst hatte ich nach dem Rückzug der NEOS aus den Koalitionsgesprächen der vergangenen Wochen noch auf eine Einigung von ÖVP und SPÖ gehofft. Diese Hoffnung hat sich dann aber schnell erledigt. Dann war ich wütend auf den Wirtschaftsflügel der ÖVP, die schon seit den Nationalratswahlen eine Koalition mit der FPÖ fordern, weil sie ihre Wirtschaftsinteressen hier am ehesten vertreten sehen. Ich bin aber noch nicht überzeugt davon, dass zwischen FPÖ und ÖVP eine Koalition zustande kommt – und wie stabil diese dann wäre. Dazu müsste die ÖVP sich schon sehr verbiegen, vor allem in der Europa-Politik oder in der Position zu Russland und zum Ukraine-Krieg. Möglicherweise gibt es nur einen kleinen gemeinsamen Nenner – und vielleicht noch in diesem Jahr Neuwahlen.

Frage: FPÖ-Chef Herbert Kickl wird von vielen Experten als mindestens rechtspopulistisch oder sogar als rechtsextrem eingeordnet. Wie würden Sie ihn einordnen?

Schlagnitweit: Als populistisch auf alle Fälle und ich würde ihn auch rechtsnational nennen. Im Unterschied etwa zum früheren FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache halte ich Kickl für sehr intelligent und eloquent. Und er versteht sein Geschäft. Unter der Kickl-FPÖ sind rechtsnationale Positionen wieder salonfähig geworden. Da werden auch in der Sprache andauernd Linien überschritten, die leider nur für einigermaßen sensible Bürgerinnen und Bürger gelten.

Der Direktor der Katholischen Sozialakademie Österreichs, Markus Schlagnitweit
Bild: ©www.johannwagner.photos / Montage: katholisch.de

Markus Schlagnitweit ist Direktor der Katholischen Sozialakademie Österreichs in Wien. Der Theologe, Priester und promovierte Sozial- und Wirtschaftsethiker sieht eine mögliche FPÖ-geführte Regierung kritisch.

Frage: Ein Argument, dass immer wieder hervorgebracht ist ja, dass rechte Parteien sich am ehesten entzaubern, wenn sie in Regierungsverantwortung sind und sich dann nicht umsetzen lässt, was sie angekündigt haben. Wie sehen Sie das?

Schlagnitweit: Ich bin kein Unterstützer dieser Argumentation. Ich fürchte eher eine "Orbanisierung" Österreichs – mit äußerst negativen Auswirkungen für die menschrechtsbasierte rechtsstaatliche Demokratie. Die Kickl-FPÖ würde sehr rasch an neuralgischen Punkten ansetzen: bei öffentlich-rechtlichen Medien, in der Justiz etc.

Frage: In Ihrem Leitfaden zu den Nationalratswahlen im vergangenen Jahr haben Sie formuliert, dass viele der von der FPÖ vertretenen Positionen "klar unvereinbar sind mit christlichen Grundsätzen". Würden Sie diese Einschätzung auch heute noch so vornehmen?

Schlagnitweit: Ja, ohne Einschränkungen. Ich sehe nur ein Problem.

Frage: Und das wäre?

Schlagnitweit: Wir haben in Österreich – genauso wie in Deutschland und anderen europäischen Ländern – eine Gesellschaft, die immer älter wird. Somit wird auch die wahlentscheidende Gruppe immer älter. Dasselbe Phänomen haben wir auch in der Kirche. Und es gibt Untersuchungen, die belegen, dass liberal eingestellte, junge Menschen eher dazu tendieren, die Kirche zu verlassen. Die älteren Menschen, die bleiben, sind dagegen von ihrem Grundprofil her eher konservativ eingestellt und neigen dazu, Positionen der FPÖ eher zu teilen.

Zur Handreichung "Christlich verantwortlich wählen"

Im Vorfeld der Nationalratswahl in Österreich am 29. September 2024 haben die Katholische Sozialakademie Österreichs und der Fachbereich Sozialethik der Universität Wien verschiedene Politikfelder aus der Sicht der Katholischen Soziallehre beleuchtet. Dabei werden vor allem die Positionen der FPÖ als unvereinbar herausgearbeitet. Von der Partei gab es Kritik an der Handreichung. 

Frage: Gibt es denn Positionen, die von Kirche und FPÖ gleichermaßen vertreten werden?

Schlagnitweit: Da fällt mir nur eine Position ein, wo sich die FPÖ der offiziellen kirchlichen Lehre annähert, und zwar beim Thema "Abtreibung auf Krankenschein". Da hat sich die FPÖ als klare Gegnerin positioniert, und es gibt leider viele Kräfte in der Kirche, für die das die einzige wahlentscheidende Frage ist. Dabei hätten wir so viele andere Themen, die ebenso wichtig sind.

Frage: Welche Themen sind denn das, wo sich die Partei und die Kirche unvereinbar gegenüberstehen?

Schlagnitweit: Das ist beispielsweise das Thema Menschenrechte. Die FPÖ schreibt Menschen je nach ihrer Herkunft unterschiedliche Rechte zu. Das ist für mich als Christ ein grundsätzliches No-Go. Wie man das mit christlichen Werten in Einklang bringen kann, ist mir schleierhaft. Ich bin auch kein Befürworter von unregulierter Zuwanderung, aber Menschen aufgrund ihrer Abstammung etwa in ihren Schutzrechten unterschiedlich zu behandeln, ist für mich schlicht nicht argumentierbar als Christ.

FPÖ-Chef Herbert Kickl
Bild: ©picture alliance / HELMUT FOHRINGER / APA / picturedesk.com | HELMUT FOHRINGER

Anders als etwa der frühere FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache sei Herbert Kickl (Foto) intelligent und eloquent, sagt Markus Schlagnitweit. "Unter der Kickl-FPÖ sind rechtsnationale Positionen wieder salonfähig geworden", so der Theologe. "Da werden auch in der Sprache andauernd Linien überschritten, die leider nur für einigermaßen sensible Bürgerinnen und Bürger gelten."

Frage: Gibt es weitere Positionen, die Sie aus kirchlicher Sicht kritisch sehen?

Schlagnitweit: Allein die Art und Weise, wie die FPÖ politische Kommunikation betreibt, widerspricht jeglichen moralischen Regeln, indem sie beispielsweise "Hate Speech" fördert. Die katholische Soziallehre hat als Grundanliegen, ein gelingendes Zusammenleben unter Rücksichtnahme aller Glieder einer Gesellschaft zu ermöglichen. Die FPÖ hat aber einen ganz anderen Gemeinwohl-Begriff, der dazu geeignet ist, die Gesellschaft zu spalten, wo Demokratie nur noch als Herrschaft einer Mehrheit verstanden wird und Minderheitsrechte nicht respektiert werden. Die FPÖ würde wahrscheinlich dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk an den Kragen gehen. Sie hat als einzige Partei bereits eine eigene Fernsehanstalt, und viele ihrer Anhänger nutzen ausschließlich diese als Informationsquelle. Andere Themen sind etwa der weitestgehende Rückzug aus europäischen Institutionen, die Kooperationsvereinbarungen mit dem militärischen Aggressor Russland oder die Bereiche Bildungspolitik und Integration.

Frage: Inwiefern verbirgt sich hier denn ein Widerspruch zu christlichen Anliegen?

Schlagnitweit: Öffentlich-rechtliche Medien an sich sind natürlich kein originär christliches Anliegen – aber Medien, die möglichst objektive und geprüfte Informationen verbreiten schon. "Fake News" kann man durchaus unter dem Gebot "Du sollst nicht lügen" betrachten. Ich bin der Überzeugung, dass eine menschenrechtsbasierte rechtsstaatliche Demokratie die Staatsform ist, die mit der katholischen Soziallehre am besten kompatibel ist.

Frage: Was könnten denn Auswirkungen einer FPÖ-geführten Regierung für Österreich sein? Welche Personengruppen würden am meisten darunter leiden?

Schlagnitweit: Das wären zweifellos Menschen mit schwacher sozialer Ausstattung – gerade solche mit Migrationshintergrund. In Bundesländern, in denen die FPÖ mitregiert, werden Asylsuchende schon jetzt in Unterkünften weit ab von der Bevölkerung isoliert. Auch die LGBTQIA+-Bewegung wird unter der Gender-Politik der FPÖ leiden und bekäme mit ihren Anliegen sicherlich nicht viel Gehör. Und obwohl sich die FPÖ gerne als "Partei des kleinen Mannes" darstellt, bin ich mir sicher, dass es letztlich keine gute Sozialpolitik geben wird – zumal es ja kein Geheimnis ist, dass Österreich Budget-Probleme hat und sparen muss. Ich fürchte, das ist einer der Bereiche, in denen dann zuerst gespart wird. Da wird dann eher auf die Wirtschaftstreibenden und Vermögenden Rücksicht genommen.

„Aber dort, wo die Kirche sich im Sinne ihrer vorrangigen Option für die Ärmsten oder im internationalen Entwicklungsbereich einsetzt, würde sie unter der FPÖ zweifellos leiden.“

—  Zitat: Markus Schlagnitweit

Frage: Und welche Auswirkungen könnte eine FPÖ-Regierung auf die Kirchen haben?

Schlagnitweit: Der frühere FPÖ-Vizekanzler Strache hat bereits betont, man sei gegen ein Caritas-Christentum und für ein Kultur-Christentum. Dort, wo die Kirche mit ihrem Brauchtum also der Erhaltung der Folklore und der "autochthonen" Kultur dient, da hätte sie wohl keine Nachteile zu erwarten. Aber dort, wo die Kirche sich im Sinne ihrer vorrangigen Option für die Ärmsten oder im internationalen Entwicklungsbereich einsetzt, würde sie unter der FPÖ zweifellos leiden.

Frage: Schon vor der Wahl gab es Kritik der FPÖ an Ihrem Leitfaden – beispielsweise durch eine parlamentarische Anfrage zur Finanzierung der Studie. Fürchten Sie durch eine FPÖ-geführte Regierung auch Einschränkungen für Ihre Akademie?

Schlagnitweit: Für uns als Katholische Sozialakademie fürchte ich weniger Konsequenzen, weil wir aktuell keine öffentlichen Gelder erhalten. Wir werden ausschließlich von Geldern der Bischofskonferenz, von Spenden und von Honoraren für unsere Tätigkeit finanziert. Diese parlamentarische Anfrage hat sich vor allem auf die Katholisch-Theologische Fakultät der Uni Wien bezogen, die ja mit uns diesen Leitfaden erarbeitet hat und natürlich staatlich finanziert ist. Daran zeigt sich schon eine Neigung der FPÖ, Institutionen und Organisationen, die anderer Meinung sind, mit Konsequenzen bei der Finanzierung zu knebeln oder sie als aus dem Ausland "fremd-finanziert" darzustellen.

Frage: Die FPÖ hat mehrfach gefordert, die Kirche müsse sich aus der Politik heraushalten. Hat sie damit recht?

Schlagnitweit: Nein. Für das Verhältnis von Politik und Kirche in Österreich ist das "Mariazeller Manifest" (1952) maßgeblich. Hier wurde festgehalten, dass die jeweiligen Parteien durch ihre spezifischen Positionen ihr Nah- oder Fernverhältnis zur Kirche selbst bestimmen. Der Kirche steht es durchaus frei, diese größere Nähe oder Distanz auch zu benennen. Die Kirche geht kein festes Bündnis mit einer Partei ein – das bedeutet aber keine politische Abstinenz.

Von Christoph Brüwer