Gerade Ästhetik in der katholischen Liturgie fasziniere ihn

Was den Literaturnobelpreisträger Jon Fosse am Katholizismus reizt

Veröffentlicht am 27.01.2025 um 00:01 Uhr – Von Mario Trifunovic – Lesedauer: 

Bonn ‐ Er kehrte den Lutheranern den Rücken, fand ihre Gottesdienste langweilig – und konvertierte schließlich zum Katholizismus. In einem neuen Buch erzählt der Literaturnobelpreisträger von 2023, Jon Fosse, von seinem Glaubensweg.

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Glaube ist tiefes Vertrauen, weniger Wissen. So beschreibt es einer der bedeutendsten europäischen Schriftsteller der Gegenwart, der norwegische Literaturnobelpreisträger Jon Fosse. Über seinen persönlichen Glauben hat er viel zu erzählen – von Erlebnissen in protestantischen Gottesdiensten über katholische Messen bis hin zu seiner Konversion Ende der 1980er Jahre. Davon erzählt der Norweger in dem gemeinsamen Buch "Das Geheimnis des Glaubens" (Il mistero della Fede) mit dem katholischen Theologen Eskil Skjeldal, das im Dezember auf Italienisch erschienen ist. 

Darin wird der Leser durch die Gedankenwelt Fosses geführt. Dabei kommen nicht nur persönliche Glaubenserfahrungen des Norwegers, sondern auch philosophische Überlegungen zur Sprache. Das Buch ist aber keineswegs eine Verteidigung des Katholizismus, zu dem der Schriftsteller im Laufe seines Lebens konvertierte, sondern versteht sich vielmehr als Einladung, dem Geheimnis Gottes in seiner Vielschichtigkeit nachzuspüren. 

Aber wer ist Jon Fosse eigentlich? Der 1959 in der norwegischen Küstenstadt Haugesund geborene Schriftsteller gilt als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Autoren Europas. Seit 2022 ist er auch Mitglied der Akademie der Künste in Berlin. Bereits 2015 erhielt er für sein Prosawerk "Trilogie" den renommierten Skandinavischen Literaturpreis. Seine Werke spiegeln seine spirituelle Suche nach dem Geheimnis wider, das sich oft nicht direkt benennen lässt. Auch Fosses Glaubensweeg war nicht geradlinig, sondern führte ihn über viele Stationen – vom Gnostizismus über die christliche Mystik zur Quäkerbewegung und schließlich zum Katholizismus. Doch das Schreiben half ihm dabei. "Alles, was ich schreibe, ist eine Art Gebet", erzählt er und bringt immer wieder seine Überzeugung zum Ausdruck, dass Kunst und Glaube zusammengehören. Fosses Gedankenwelt ist stark geprägt von den Werken großer Denker wie Martin Heidegger, Meister Eckhart oder Ludwig Wittgenstein. Dabei versteht er den Glauben an Gott nicht als starres Dogma, sondern als lebendige, offene Bewegung und immer neue Herausforderung. 

Romane bekannt für stark reduzierten Stil 

Über Gott zu sprechen ist eine solche Herausforderung, meint Fosse. Und wenn er darüber spricht, dann hat der Schriftsteller eine Theorie: Über Gott könne man nichts sagen, weil er hinter den Dingen stehe. "Wir können nicht sagen, was war, bevor wir geboren wurden. Wir können nicht sagen, wohin wir gehen. Wir können nur sagen, dass wir vorher nicht auf der Welt waren und dass wir eines Tages von hier verschwinden werden." Alles andere sei auf der anderen Seite, Gott sei auf der anderen Seite, so der Norweger.  

„Alles, was ich schreibe, ist eine Art Gebet“

—  Zitat: Jon Fosse

An anderer Stelle in seinem Buch beschreibt er es etwas anders, indem er sagt, dass die Kunst das Unsagbare sagt oder zeigt. Gerade das Unsagbare spielt in Fosses Werk generell eine große Rolle – so groß, dass die Schwedische Akademie dies als Argument angeführt, um Fosse 2023 den Literaturnobelpreis zu verleihen. Seine Romane sind weltweit für ihren stark reduzierten Stil bekannt, der auch als "Fosse-Minimalismus" bezeichnet wird. Damit versucht er, dem "Unsagbaren", wie er es nennt, eine Stimme zu geben. 

Doch wie kam der Norweger zum Unsagbaren? Die Geschichte beginnt Ende der 1980er Jahre in den Bergen Norwegens, als er eine katholische Messe besucht. Die habe ihm viel besser gefallen als die protestantischen Gottesdienste, erzählt er. Mit letzteren sei er zwar aufgewachsen, doch habe ihm dort etwas gefehlt, das er nach einer spirituellen Suche und einem kurzen Aufenthalt bei den Quäkern – einer Religionsgemeinschaft mit christlichen Wurzeln im England der 1650er Jahre – schließlich in der katholischen Liturgie wiederfand. In der ständigen Wiederholung der Worte in der Liturgie sieht er "einen Zauber, einen Geist entwickelt".  

Aber das war nicht immer so. Im Buch mit Skjeldal erzählt Fosse, dass er sich nicht daran erinnern kann, jemals den Wunsch verspürt zu haben, zu glauben. Er habe in der christlichen Welt immer etwas Abstoßendes gesehen, vor allem "die Art und Weise, wie Christen mich und andere fast zwingen wollten, an etwas zu glauben, das absolut unvernünftig war und gegen jeden gesunden Menschenverstand verstieß". Deshalb rät er, niemandem etwas aufzuzwingen, "weder den Glauben noch andere Überzeugungen". Besonders bei Kindern sei Vorsicht geboten. 

Wenn das Staunen fehlt 

Das seien Erfahrungen, die jeder selbst machen müsse. Doch seine eigene Glaubenserfahrung hatte wenig mit Erlösung oder Hölle zu tun, wenig mit Vorschriften, Verboten und Geboten, wenig mit dem dogmatischen Christentum der lutherischen Staatskirche. Deshalb trat er aus. Aber auch, weil ihm dort das fehlte, was er "Geheimnis" nennt. Dazu gehörten auch die Predigten, die dem Norweger nicht gefielen: "Bei den Protestanten musste man sich unerträglich viel Gelaber von oft dummen Pastoren anhören. Im katholischen Gottesdienst wird über die feste Liturgie hinaus nur wenig geredet."  

Jon Fosse
Bild: ©picture alliance/Evan Agostini/Invision/AP

Doch die Glaubenserfahrung Jon Fosses hatte wenig mit Erlösung oder Hölle zu tun, wenig mit Vorschriften, Verboten und Geboten, wenig mit dem dogmatischen Christentum der lutherischen Staatskirche.

Das brachte Fosse schließlich dazu, aus der Staatskirche auszutreten und den Lutheranern den Rücken zuzukehren. "Ich schrieb dem Pfarrer einen Brief, in dem ich ihm mitteilte, dass ich nicht länger Mitglied der Staatskirche sein wollte", erinnert sich der Schriftsteller. Bei den Quäkern habe er Ruhe gefunden, sagt er, aber schließlich sei er zum Katholizismus konvertiert – unter anderem durch das Schreiben. Dieses verglich Fosse mit dem konzentrierten Beten von Menschen, die er in Kirchen und Kathedralen auf seinen Reisen gesehen habe. Das habe ihn tief beeindruckt, betont er. "Aber das ist nicht der Kern. Das Zentrum ist das Geheimnis des Glaubens. Alles andere kann man vergessen." 

In all diesen Erfahrungen, die sich in seinen Romanen und Dramen widerspiegeln, kristallisiert sich ein zentraler Begriff heraus: das Mysterium. Dieses Geheimnis bleibt für Fosse die treibende Kraft – eine Dimension des Glaubens, die weder definiert noch vollständig erfasst werden kann. Sein Fazit lautet jedenfalls: "Ohne das Staunen hat das Wort Gott keine Bedeutung". Dieses Staunen ist für Fosse nicht nur der Schlüssel zu seiner spirituellen Welt, sondern auch der Kern seiner Literatur – ein ständiges Ausloten des Unsagbaren, das uns an die Grenzen unseres Verstehens führt. 

Von Mario Trifunovic