Katholischer Sozialethiker Nass nimmt Merz bei Migration in Schutz
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Der Sozialethiker und katholische Theologe Elmar Nass hat den verschärften Migrationskurs der Union gegen den Vorwurf der Menschenfeindlichkeit und Diskriminierung von Migranten verteidigt. "Solche Diskussionen und auch kontroversen Vorschläge gehören zu einer funktionierenden Demokratie dazu. Wer das unterbinden möchte, schadet der Demokratie", sagte der Priester und Prorektor der Kölner Hochschule für Katholische Theologie, Elmar Nass, dem kirchlichen Internetportal "domradio.de" (Mittwoch).
Die Notwendigkeit einer neuen Migrationspolitik bestehe nicht erst seit den Anschlägen von Magdeburg und Aschaffenburg. Er sehe in den Vorschlägen der Unionsfraktion unter CDU-Chef Friedrich Merz auch keine pauschale Diskriminierung von Migranten, so der Professor für Wirtschafts- und Sozialethik. Hierzu blieben manche Positionen der Kritiker "unterkomplex". Deutschland habe überproportional viele Menschen aufgenommen und sei zu deren Integration nicht hinreichend in der Lage. "Dieser Missstand begünstigt nicht nur Radikalisierung, sondern auch psychische Erkrankungen."
"Wir schaffen das nicht"
Das Versprechen der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sei nicht eingelöst worden, betonte Nass: "Wir schaffen das nicht." Doch die Kritik an der schärferen Linie von CDU/CSU in der Migrationspolitik liefere zur Lösung dieses Problems keine Antworten. "Genau die braucht es aber jetzt." Dafür seien die von Merz vorgelegten Punkte "ein Vorschlag, der sich dieser Realität stellt". Das Asylrecht dürfe zwar nicht ausgehöhlt werden. Ein Weiter so mit einer unbegrenzten Zuwanderung könne es aber auch nicht geben. "Wir müssen auch die Proportionen sehen, wie viele von den Millionen Migranten hier tatsächlich Asylrecht genießen."
Nass wandte sich auch gegen pauschale Kritik des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), der der CDU eine Nähe zu Demokratie- und Menschenfeindlichkeit vorgeworfen hatte, und warnte zudem vor Nazivergleichen. "Mit solch populistischen Mutmaßungen und erst recht mit anklingenden Gleichsetzungen von Konservativen mit Nazis werden Gräben gezogen statt Brücken gebaut." Die Politikverdrossenheit wachse, wenn eine bestimmte politische Avantgarde sich zum einzigen moralischen Hüter der Demokratie aufschwinge und den politischen Gegner in die extremistische Schmuddelecke dränge.
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Michelle Becka ist Professorin für Christliche Sozialethik in Würzburg.
Widerspruch erntete Nass am Donnerstag von der Würzburger Sozialethikerin Michelle Becka. Nicht die am Dienstagabend bekannt gewordene gemeinsame Stellungnahme der beiden großen Kirchen zum sogenannten Zustrombegrenzungsgesetz der Union gefährde die Demokratie, "sondern das bewusste Inkaufnehmen einer Mehrheit allein durch die Stimmen einer in Teilen gesichert rechtsextremen Partei", sagte die Professorin für Christliche Sozialethik und Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Christliche Sozialethik katholisch.de. Dazu Stellung zu beziehen, gehöre zu einer funktionierenden Demokratie.
Becka: Es gibt keine unbegrenzte Zuwanderung nach Deutschland
Es gebe derzeit viele Probleme in Deutschland, auch in der Gestaltung der Zuwanderung und der Integration. "Diese sind sachlich zu lösen. Dazu tragen die gestern eingebrachten Anträge aber nicht bei, die zudem unvereinbar sind mit geltendem Recht", so Becka weiter. Auch die Art, wie die öffentliche Debatte über Einwanderung geführt werde, trage nicht dazu bei, sondern führe zu Politikverdrossenheit. "Es gibt eine problematische doppelte Engführung im aktuellen Diskurs: Die erste ist die Engführung auf das Thema Einwanderung – als gäbe es die anderen Probleme nicht. Die zweite ist die Engführung auf Einwanderung als Bedrohung." Dies werde weder den Menschen gerecht, die auf Schutz angewiesen seien, noch denen, die hier lebten.
Becka widersprach auch Nass' Aussage über eine weiterhin "unbegrenzte Zuwanderung" nach Deutschland. Diese gebe es nicht, so die Sozialethikerin. "Die aktuelle Migrationsdebatte ignoriert bewusst den Rückgang der Zuwanderung." Zudem sei bei der Integration seit 2015 vieles geschafft worden. Sieben Jahre später hätten zwei Drittel der 2015 gekommenen Geflüchteten eine Arbeit gehabt. Auch die schulischen Erfolge seien – bei allen Schwierigkeiten, die es auch gebe – teilweise beeindruckend. "Es wäre aber nötig, auch diese Geschichten zu erzählen", so Becka. (stz/KNA)
30.1., 12:09 Uhr: Ergänzt um die Reaktion von Sozialethikerin Becka.